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Vom tiefsten Texas auf die Weltbühne des Fußballs

Zum US-Team gehört mit Clint Dempsey ein Mann, der zu den wichtigsten Akteuren in seiner Mannschaft zählt. An der Seite von Landon Donovan lenkt und leitet der Mittelfeldmann das Spiel der Amerikaner. Auch bei seinem Verein, dem FC Fulham aus der Premier League, ist Dempsey längst unverzichtbar.

Von Heiko Oldörp |
    Sein Weg zum Erfolg und auf die große Fußball-Bühne war steiniger als der anderer Profis. Und er war vor allem mit einem schweren Schicksals-Schlag in Dempseys Kindheit verbunden.
    Warum Clint Dempsey im Alter von drei Jahren einst im Garten seiner Großmutter mit dem Fußball spielen angefangen hat, weiß er heute nicht mehr. Schließlich wuchs der Mittelfeldakteur der US-Nationalmannschaft in Nacogdoches auf, einer Kleinstadt im tiefsten Texas, die aufgrund ihrer Abgeschiedenheit von vielen schlichtweg Naco-nowhere genannt wurde. Hier war und ist Football zwar die klare Sportart Nummer eins, allerdings die amerikanische Variante mit dem Ei. Fußball spielen in Nacogdoches nur die Hispanics. Und mit den mexikanischen Nachbarskindern kickte der kleine Clint oft:

    "Wenn ich mit meiner Familie telefoniere, fragen wir uns oft, warum ich Fußballer geworden bin - ein Antwort finden wir nie. Es kamen viele Dinge zusammen, ich hatte auch Glück und bin dankbar für alles, was ich habe."

    Im Alter von neun Jahren war Dempsey bereits der Beste im Ort. Um besser gefordert und gefördert zu werden, sollte er zu den Dallas Texans wechseln. Das Team spielte in einer richtige Liga und hatte ausgebildete Trainer. Aber Dallas war 250 Kilometer entfernt - und Geld bei Familie Dempsey immer knapp. Vater Aubrey war Eisenbahner, Mutter Debbie eine Krankenschwester - beides Berufe mit bescheidenem Einkommen. Neben Clint hatten sie noch zwei weitere Söhne und Töchter:

    "Ich würde nicht sagen, dass wir total arm waren, aber untere Mittelklasse. Mein Vater musste sein Boot und einige seiner Waffen verkaufen und wir hatten Schulden."

    Teure Kleidung oder Urlaub waren nicht finanzierbar. Oft genug ging Debbie Dempsey sogar zur Bank und versuchte, die monatliche Rate für das bescheidene Haus zu drücken. Denn neben Clint war auch seine vier Jahre ältere Schwester Jennifer äußerst talentiert. Sie gewann sämtliche Tennis-Turniere der Umgebung und war die Nummer eins ihres High School-Teams.
    Trotz knapper Kasse konnten die Eltern Jennifer die Tennis-Stunden finanzieren und Vater Aubrey fuhr Clint dreimal die Woche nach Dallas zum Training:

    "Drei Stunden hin und drei Stunden zurück. Das Schwerste war für mich die Rückfahrt. Je älter ich wurde, desto öfter habe ich während des Trainings geschlafen, um fit zu sein."

    Nach zwei Jahren wurden die Kosten jedoch zu hoch. Die Eltern mussten eine schwere Entscheidung treffen - Fußball für den Sohn oder Tennis-Stunden für die Tochter? Jennifer bekam den Zuschlag und Clints großer Traum vom Fußball-Profi in Europa schien mit zwölf Jahren vorbei zu sein.

    "Meine Eltern meinten, sie wollten sich mehr auf Jennifer konzentrieren. Ich sei ja noch jung, später würden sie mich wieder unterstützen, jetzt müssten sie jedoch eine finanzielle Pause machen."

    Dempsey kickte wieder in Nacogdoches und war gänzlich unterfordert. Als er ein Jahr später, an einem Novembertag 1995 Jennifer daheim anrief, gab es eigentlich nichts Besonderes:

    "Ich wollte einen Freund besuchen und meine Eltern um Erlaubnis fragen. Jennifer wusste nicht wo sie fahren. Okay, sagte ich, bis später."

    "See you later" - waren seine letzten Worte, Dempsey sah seine Schwester nie wieder. Die 16-Jährige hatte schon den ganzen über Kopfschmerzen geklagt, erlitt plötzlichen einen Gehirnschlag und starb wenige Stunden später im Krankenhaus. Clint war zwölf Jahre alt und verstand die Welt nicht mehr:

    "Es war hart für mich, wie ein Alptraum. Du wachst jeden Tag auf und fragst dich, ist das wirklich passiert, ist meine Schwester nicht mehr da? Ich war wütend, die Zeit hat letztlich die Wunden geheilt, aber ich habe lange gebraucht, um damit zu Recht zu kommen."

    Das Schicksal seiner Schwester ermöglichte ihm die Rückkehr zum hochklassigen Fußball. Dempsey spielte wieder für die Dallas Texans und machte die Karriere, die ihm viele schon frühzeitig vorausgesagt hatten - Collegeteam, New England Revolution in der Major League Soccer, US Nationalmannschaft.

    2006 wechselte Dempsey für die damalige US-Rekordablöse von vier Millionen Dollar zum FC Fulham in die Premier League. Hier spielt er noch heute und hat sich mit einem traumhaften Heber zum 4:1-Sieg im Achtelfinal-Rückspiel der Europa-League gegen Juventus Turin bereits für immer in der Vereinshistorie verewigt:

    ""Wonderful, absolutely brilliant. The goal of a lifetime for the American, the Texan, Clint Dempsey.”"

    Dempseys Treffer sicherte Fulham den Viertelfinaleinzug, letztlich schaffte der Londoner Klub sogar den Sprung ins Finale in Hamburg. Bei der 1:2-Niederlage nach Verlängerung gegen Atletico Madrid war Dempsey der erste Amerikaner, der in einem europäischen Endspiel stand.

    Jedesmal, wenn Clint Dempsey zurück in seine texanische Heimat nach Nacogdoches kommt, geht er zum Grab seiner Schwester. Durch ihren Tod, so sagt er, habe er den Wert des Lebens noch mehr schätzen gelernt. Sein Motto lautet: "Morgen kannst du tot sein, also mach das Beste aus dem heutigen Tag." Mit dieser Einstellung geht er nachher auch ins WM-Achtelfinalspiel gegen Ghana.