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Von Beirut nach Aleppo
Mit dem Bus durchs Krisengebiet

In Syrien herrscht nach wie vor Krieg, besonders im Norden des Landes in der Stadt Aleppo. Dennoch verkehren täglich Busse zwischen Beirut und dem umkämpften Krisengebiet. Die Fahrt führt über Nebenstrecken und Umwege - aber sicher ist sie nicht.

Von Sabine Rossi | 18.06.2016
    Ein Fahrer steht vor seinem Bus in der Busstation Charles Helou in Beirut.
    Von Beirut fahren die Busse mehrere Gebiete in Syrien an. (AFP)
    Die Gepäckklappe des Reisebusses steht offen. Feinsäuberlich aufgereiht: Eier, ein Gaskocher, eine Plastikdose mit Oliven. "Die sind aus Aleppo, meiner Heimatstadt", sagt Mahmud und stellt die Oliven auf eine Steinbank, die er kurzfristig zum Tisch umfunktioniert hat. Frühstückszeit am Busbahnhof Charles Hellou in Beirut.
    Mahmud sitzt in Jogginghose auf einem weißen Plastikstuhl und nippt an einem Becher mit heißem süßem Tee. Ein- bis zweimal in der Woche fährt der Busfahrer von der libanesischen Hauptstadt Beirut ins umkämpfte Aleppo in Syrien. Erst gestern ist er von dort angekommen.
    "Gott sei Dank, der Weg ist sicher. Es gibt keine Bewaffneten. Die reguläre Armee ist dort, und die Checkpoints sind von der Regierung."
    Vier Busunternehmen bedienen die Strecke, jeden Tag mehrmals. Vor dem Krieg benötigten sie drei Stunden für einen Weg.
    Jetzt sind es zwölf, 13 oder 14 Stunden, sagt Mahmud –, wenn sie gut durchkommen. Die Hauptroute von Beirut nach Aleppo fahren sie schon lange nicht mehr. Es geht über Nebenstraßen, auf Umwegen, im großen Bogen an Idlib vorbei. In der Provinz sind zahlreiche bewaffnete Gruppen aktiv. Eine davon die Jabhat al-Nusra, der syrische Ableger von Al-Qaida.
    Checkpoints - Segen und Fluch zugleich
    Vor ein paar Wochen war auch diese Strecke gesperrt. Mahmud und sein Assistent Mohammed haben tagelang in Beirut gewartet. Andere Kollegen hätten unterwegs festgesteckt, an Mini-Raststätten mit einem kleinen Restaurant und ein paar Toiletten oder an den Checkpoints, den Kontrollpunkten des Regimes. Entlang der Straße in Syrien gibt es viele davon. Sie sind Segen und Flucht zugleich.
    "An den Checkpoints erfahren wir, wie der Weg ist. Sie sagen uns, ob es Kämpfe gibt, Anschläge oder Ähnliches. Manchmal lassen sie uns nicht durch."
    Sie, das sind entweder die Soldaten der syrischen Armee – und auf die lassen Mahmud und Mohammed nichts kommen. Oder es sind die sogenannten Nationalen Verteidigungskräfte, syrische Milizen, die für das Regime kämpfen – und von den Busfahrern eine Art Wegzoll verlangen. Zum Tausch versprechen sie Sicherheit.
    Mohammed, der Busfahrer Mahmud auf der Fahrt nach Aleppo unterstützt und den Fahrgästen Getränke serviert, kann seinen linken Arm nicht richtig bewegen. Die Ellenbeuge ist eine einzige große Narbe. Mohammed weiß nicht, ob es eine Rakete oder eine Granate war, die neben dem Bus eingeschlagen ist.
    "Das ist jetzt zwei Jahre her. Zunächst hieß es, die Straße ist sicher. Es wird nichts passieren. Aber als wir ankamen, gab es den Einschlag."
    25 Menschen waren im Bus. Ein Mann starb, etliche wurden wie Mohammed verletzt.
    "Der Fahrer hat es geschafft, den Bus weiter zu fahren. Im Krankenhaus sind wir dann behandelt worden."
    Mohammed zieht sein T-Shirt hoch und zeigt die Narben links unter den Rippen. Dort habe er Metallsplitter abbekommen. Ebenso auf dem Rücken.
    "Gott sei Dank, es ist nicht viel passiert", sagt er.
    Zwei Wochen war Mohammed im Krankenhaus. Einen weiteren Monat hat er sich zu Hause kuriert, bevor er wieder in den Bus von Aleppo nach Beirut gestiegen ist. Eigentlich benötige er eine Operation, um den Arm wieder zu bewegen – aber die kann er sich nicht leisten.
    Busfahrer Mahmud war bei dem Angriff vor zwei Jahren nicht dabei. Mohammed und er sind erst später ein Team geworden. Sein Assistent sei mit dem Schrecken davon gekommen, meint Mahmud. Beide kennen etliche Geschichten, die nicht so glimpflich ausgegangen sind. Erst wenige Tage zuvor hätten Bewaffnete in der Nähe von Aleppo das Feuer auf einen Bus eröffnet und den Fahrer getötet, sagt Mahmud. In Beirut hat er davon im Radio gehört. Trotzdem wird er am Abend nach Aleppo starten.
    "Sie zielen nicht auf den Bus oder auf die Fahrgäste. Sie zielen auf den Fahrer oder auf die Reifen. Damit wollen sie den Bus ins Schleudern bringen, einen Unfall herbeiführen."
    Die Dunkelheit ist gefährlich
    Dann würden die Kämpfer den Bus stürmen. Was danach passiere? Die beiden schweigen und nippen an den weißen Plastikbechern mit Tee. Wenn du in der Dunkelheit unterwegs bist, ist es gefährlicher, sagt Mahmud schließlich. Deshalb fahren die Busse in Beirut am späten Abend oder in der Nacht ab.
    "Wenn wir an der Grenze ankommen, wird es hell. Danach können wir sicher fahren und kommen mittags gegen eins oder zwei an."
    Der Busbahnhof am späten Abend. Fahrer Mahmud hat die Jogginghose gegen eine graue Jeans getauscht. Das gestreifte Poloshirt ist gebügelt. Sein Assistent Mohammed steht an der Gepäckklappe, hilft den Männern, die schweren Koffer zu verstauen und weißt den Frauen die Sitzplätze zu. Neben der Bank, auf der Mahmud am Morgen die Oliven serviert hat, steht Samah. Das Kopftuch der jungen Frau ist leuchtend pink, genauso wie ihre Turnschuhe. Auf dem Arm hält sie ihre jüngste Tochter. Selma ist in Libanon geboren. Seit gut zwei Jahren lebt die Familie in Beirut.
    "Ich sehne mich sehr danach, Aleppo zu sehen. Aber ganz ehrlich: Ich habe Angst, denn ich weiß nicht, was auf dem Weg ist."
    Samah versucht zu lachen. Als die Tränen rollen, lehnt sie den Kopf an die Schulter ihres Mannes. Er wird nicht mit nach Aleppo fahren. Die Arbeit, er könne nicht freinehmen. Und was wenn sie ihn in Syrien zur Armee einziehen, fragt er.
    "Ich würde lügen, wenn ich sage, dass ich keine Angst habe. Ich habe Angst, aber ich bete zu Gott, dass nichts passiert."
    In Aleppo wartet morgen Mittag Samahs Familie auf sie. Alle Verwandten seien noch dort. Alle meine Verwandten sind dort. Auch Mahmud und Mohammed freuen sich, nach Hause zu ihren Familien zu fahren. Mahmuds Töchter sind bereits Teenager. Mohammeds Zwillinge sind vor kurzem drei Jahre alt geworden. An der Windschutzscheibe des Busses lehnt ein großer Teddybär.
    "Wollt ihr was aus Aleppo?", ruft Mohammed. Dann schließt Mahmud die Tür und steuert den Bus los Richtung Aleppo.