Von Cordova zum Prinz-William-Sund

"Forschung Aktuell" möchte ein Kollegengespräch mit mir machen. Also stehe ich wegen der Zeitverschiebung besonders früh auf und bastle ich mir ein Radiostudio. Fast alle Zutaten dafür finden sich in jedem Hotelzimmer der Welt.

Von Prinz-William-Sund |
    Ich hocke mich auf den Boden vor mein Bett und hänge die Bettdecke über den Stuhl, der hinter mir steht. Die dicke Matratze vor mir und die Decke hinter mir dienen als provisorische Studiowände, die möglichst viel Schall schlucken sollen. Dann geht es los. Die Kunst dabei ist, trotz des Vor-dem-Bett-Hockens noch seriös zu klingen, obwohl man aussieht, als hätte man nicht mehr alle Tassen im Schrank und würde im eigenen Schlafzimmer verstecken spielen.

    Nach dem Gespräch mache ich mich auf, Cordova zu erkunden. Die Stadt hat etwa 2000 Einwohner und es hat keine 24 Stunden gedauert, bis sie alle mich zu kennen scheinen. Ich bin wahrscheinlich das erste fremde Gesicht seit Tagen, wenn nicht seit Wochen. Für meine Arbeit ist das ideal: Ich werde von einem Interviewpartner an den nächsten weitergereicht. Es macht nicht einmal etwas aus, das mein deutsches Mobiltelefon in Cordova seinen Dienst verweigert. Ich muss nur fünf Meter die Straße entlang gehen und schon fragt mich jemand, ob ich die Reporterin aus Deutschland sei.

    Heute Morgen treffe ich mich mit Scott Pegau am Hafen. Es ist noch dunkel, als wir auf einen der Bootsanleger steigen, und so kalt, dass vom warmen Hafenwasser weißer Dampf aufsteigt. Der Meeresforscher hat einen großen Eimer dabei, aus dem er ein feines Netz herausholt. In einem eleganten Bogen fliegt es aufs Wasser und sinkt langsam zum Grund. Vorsichtig zieht er es wieder an Land und auf dem verschneiten Steg landen etwa 50 winzig kleine, zappelnde Heringe, die größten von ihnen etwa so lang wie mein Zeigefinger. Scott Pegau und seine Kollegen vom Prinz-William-Sund-Forschungszentrum in Cordova wollen herausfinden, warum sich die Heringspopulationen seit dem Ölunfall von 1989 nicht mehr erholt haben. Dafür untersuchen sie, ob die Jungfische mit genügend Fettreserven in den Winter gehen.

    Ein paar Stunden später klettere ich auf das Deck der Auklet. Kapitän David Janka nimmt im Sommer Touristen an Bord, um ihnen die Naturschönheiten des Prinz-William-Sunds zu zeigen. In Cordova gibt es nicht viele Touristen. Die meiste Zeit des Jahres sind er und sein Boot deshalb mit Forschern unterwegs. Heute sind es der Hydroakustiker Richard Thorne und sein Sohn James. Sie bringen ein etwa zwei Meter langes metallenes, flugzeugförmiges Gefährt mit, an dessen Unterseite ein schwarzer Kasten hängt. Als wir nach eineinhalb Stunden Fahrt in einem Seitenarm des Prinz-William-Sunds, der Simpson Bay, angekommen sind, lassen sie das Ding ins Wasser und ziehen es neben dem Boot her, das langsam weitertuckert.

    Ähnlich wie ein Echolot sendet der schwarze Kasten unter dem Gefährt Schallimpulse ins Wasser aus. Je nachdem, worauf diese Wellen treffen, senden sie unterschiedliche Schallwellen zurück - Gestein sieht so anders aus etwa die luftgefüllten Schwimmblasen von Heringen. Damit versuchen die Forscher herauszufinden, wie viele Heringe in der Bucht leben. Es ist vier Uhr nachmittags, als wir wieder in den Hafen von Cordova einlaufen. Die Sonne versinkt in spektakulären Farben hinter den schneebedeckten Bergen, die den Sund umgeben. Als ich zum ungefähr hundertsten Mal erwähne, was für eine wunderschöne Landschaft das sei, lächelt der Kapitän nur müde. Ja, bei Sonnenschein sei es schon schön hier. Allerdings scheine die Sonne höchsten 60 Tage im Jahr. Den Rest der Zeit regne es in Cordova. Und wenn es nicht regne, dann schneie es.

    Die weiteren Tagebucheinträge von Monika Seynsche finden Sie unter:
    Wunden der Erde - Ein Reisetagebuch

    Die Recherchereise wurde mit Mitteln der Robert Bosch Stiftung im Rahmen der Initiative Wissenschaftsjournalismus gefördert.
    Monika Seynsche interviewt den Hydroakustiker Richard Thorne
    Monika Seynsche interviewt den Hydroakustiker Richard Thorne (David Janka / www.auklet.com)
    Prinz-William-Sund im November
    Prinz-William-Sund im November (Monika Seynsche)
    Die Auklet bringt Forscher in den Prinz-William-Sund
    Die Auklet bringt Forscher in den Prinz-William-Sund (Monika Seynsche)