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Von den Anfängen bis zum CD-Player

Der Name des Germanisten Karl Otto Conrady ist seit mehr als 30 Jahren so etwas wie ein Synonym für die deutsche Lyrik von den Anfängen bis zur Gegenwart. Im Jahr 1977 erschien zum ersten Mal der "Conrady", das "große deutsche Gedichtbuch", eine auch im Wortsinne gewichtige Sammlung deutscher Lyrik von den althochdeutschen Anfängen bis zur Gegenwart. Demnächst gibt es den Conrady auch auf die Ohren.

Von Frank Olbert |
    "Lauter Lyrik" benannte der Patmos-Verlag seine Edition, die auf 21 CDs 1082 Gedichte aus 900 Jahren versammelt. Produziert wurde das Lyrik-Projekt von den ARD-Anstalten unter der Federführung des SWR. Man hat sich bei der Auswahl der Sprecher an eine Art Bestenliste gehalten: Hanns Zischler ist ebenso dabei wie Ulrich Matthes, Donata Höffer, Corinna Kirchhoff und Sophie Rois. Natürlich fehlt Christian Brückner nicht, ebenso Rosel Zech, Matthias Habich, Jürgen Hentsch, Jürgen Holtz, Sandra Hüller, Sebastian Rudolph, Samuel Weiss und Alexander Khuon.
    Herr Conrady, Sie haben sich mit den Texten Ihrer Sammlung jahrzehntelang befasst. Wie erging es Ihnen eigentlich, als sie die Gedichte jetzt gehört haben?
    Das ist nicht in Begriffe zu fassen. Ich sage es mal metaphorisch: Die Gedichte begannen zu leben. Besonders bei Gedichten, die bei bloßer Lektüre wie verschlossen scheinen, stellte sich beim Rezitieren ein, dass sie sich öffnen - auch an Stellen, die dunkel blieben und dunkel bleiben dürfen. Die Sprache erweckt den bloßen Text auf dem Papier auf eine schwer beschreibbare Weise zu neuer Gestalt.
    Welches Interesse hat Sie damals geleitet, den ersten "Conrady" zusammenzustellen?
    Die erste Fassung erschien ja zur Buchmesse 1977. Die Leiter des damaligen Athenäum-Verlages wollten gerne eine kleine Sammlung von Lyrik des 18. Jahrhunderts, die bei Rowohlt erschienen war, neu drucken. Das war Anfang 1977. Ich weiß noch wörtlich, was ich sagte, als wir darüber sprachen: "Wenn Sie jetzt etwas für die Lyrik tun wollen, scheint mir die Zeit gekommen zu sein, eine große Sammlung zu machen - unter dem Motto: Jetzt klotzen, nicht kleckern!" Sie gingen darauf ein. Die erste Sammlung umfasste über 1000 Seiten. Mir ging es darum, eine Sammlung zu machen, die nicht die "Meisterwerke" versammelt. Denn mit einem solchen Begriff, bringt man sein eigenes Urteil ein. Ich wollte, eine Dokumentation der unterschiedlichen Spielarten deutschsprachiger Lyrik von den Anfängen bis zur Gegenwart bereit stellen, sodass sich die Leser mit Einzelheiten beschäftigen können. Und wenn sie durch das Buch gehen, gehen sie durch die Geschichte der deutschsprachigen Lyrik.
    Leuchtete Ihnen die Idee einer CD-Edition unmittelbar ein?
    Im Herbst 2006 entstand beim Patmos-Verlag, beim SWR und bei Radio Bremen der Plan, ein Hörbuch zu machen. Die Grundlage sollte die dritte Fassung der Sammlung sein, die unter dem - nicht von mir stammenden - Titel "Der neue Conrady. Das große deutsche Gedichtbuch" im Jahr 2000 erschienen ist. Man konnte nicht alle Gedichte aufnehmen. Es sind über 2000. Also kam die Bitte, diese Sammlung für ein Hörbuch auf fast 1100 Gedichte zu kürzen. Das habe ich gemacht, bedenkenvoll, immer in Sorge um die richtige Auswahl, aber es ist doch so etwas wie eine kürzere Form des dicken Buches herausgekommen.
    Es ist eine Verführung gewesen, nun auch aus diesem großen Bestand ein Hörbuch zu machen - in einem Umfang, den es bisher noch nicht gibt.
    Die vollständige, 25 Stunden umfassende Lyrik-Lesung erscheint im April. Vorab gibt es eine kleine Kostprobe: Eine einzelne CD, deren Kaufpreis angerechnet wird, wenn man sich danach für das Gesamtwerk entscheidet. Zum Mitlesen gibt es die Lyrikauswahl auch als Taschenbuch. Und im Juli soll eine neue, und vom Herausgeber ergänzte Buchausgabe der Gedichtsammlung, der "Große Conradi", erscheinen.