Als ahnte der Autor, daß sein autobiographischer Text eher zu Ende geschrieben, als die Kardinalfrage nach seiner Notwendigkeit beantwortet sein könnte, schlägt Auster einen lapidaren, auf die Nebensächlichkeit seiner persönlichen Erlebnisse zielenden Ton an. Er ist klug und professionell genug, aus seiner verflossenen Schriftstellerarmut kein Spektakel zu machen. Aber die einfache Tatsache, daß dem Text schlichtweg ein Thema fehlt, mithin die Hauptsache also, kann der Untertreibungs- und Bescheidenheitsgestus nicht kompensieren. Das Thema, das Auster diffus vor- und das er heimlich anstrebt, ist vermutlich der amerikanische Tellerwäscher-Mythos. Aber in dessen Kategorien paßt seine Lebensgeschichte einfach nicht hinein. Paul Auster war nie weit genug unten,seinem Überlebenskampf auf dem milieufremden Terrain der Gelegenheitsarbeiter haftete immer die soziale Mimikry der Feldforscherei an. Und Auster ist für die Tellerwäscherlegende heute nicht weit genug oben. Er ist kein Wundermilliardär, kein Konzernchef, nicht der Onassis von Brooklyn, bei dessen biographischer Erzählung einem der Mund offen stehenbliebe. Paul Auster war ein Highschool-Abgänger der 60er Jahre, der eine selbstbewußte und zutreffende Ahnung von seiner literarischen Begabung, den Kopf voller Flausen vom bohemehaften, unautoritären Leben und nicht die geringste Lust auf einen bürgerlichen Beruf und dessen Sicherheitsrahmen hatte. Er streunte herum, lebte in New York, einmal auch für zwei Jahre in Paris, schrieb in großen Mengen, ließ große Mengen des Geschriebenen in den Papierkorb wandern, war ein gruppenscheuer Einzelgänger mit interessanten Kontakten, mithin kein Aktivist, eher ein wohlwollender Zaungast der amerikanischen 68er-Revolte, und ein unruhiger Geist, der lieber ins Gefängnis als zum Militär gegangen wäre und den es immer nur für Monate in seinen, zugegeben bisweilen bizarren Jobs hielt. Er fuhr zur See, schrubbte Kombüsen und Toiletten und lernte beim Geldverdienen tatsächlich Leute kennen, denen nur begegnet, wer harte körperliche Arbeit nicht scheut. Was ein Höhepunkt des schmalen autiobiographischen Werks sein könnte, die Porträtierung solch schräger Vögel aus den Verwerfungen der bürgerlichen Gesellschaft, gerät mangels Bindung an ein einleuchtendes Erzählmotiv zum Schwachpunkt des Ganzen, zur Kuriositätenparade, zur Folklore des komischen Völkchens an der Perpherie. Schmal, wie gesagt, ist Austers Bericht aus seinem Leben als junger Mann. Dickleibig ist indes das Buch, das dieser Bericht mehr oder weniger nur präludiert. Denn das eigentliche Volumen des Buches "Von der Hand in den Mund" macht ein mehrere hundert Seiten füllender sogenannter "Anhang" aus, in dem Paul Auster literarische Arbeiten seiner erfolglosen Jahre zum Besten gibt, kurze Theaterstücke, die Anleitung des von ihm erfundenen und vom Markt abgewiesenen Kartenspiels, sowie ein unter Pseudonym verfaßter Detektivroman, ein wunderliches Konglomerat, das zuletzt das ganze Buch zum Kuriosum macht. Wollte Paul Auster ein vergessenes Jugendwerk an die Öffentlichkeit bringen und verfiel dabei auf die Idee, ihm mit einer autobiographischen Plauderei Starthilfe zu leisten? Oder ist es umgekehrt, wollte er eine Autobiographie von Größe zu Papier bringen, verwechselte diese dabei mit schierer Quantität und schickte ihr einen Roman hinterher, dem er einen Soloauftritt in der Literatur so wenig zutraut wie dem Lebensbericht?
Auf alle Fälle ist die Wirkung des Produkts fatal, fast ein wenig blöde. Erinnert fühlt man sich an einen bestimmten Typus verzweifelter literarischer Alterswerke, die als Container für den Inhalt von Schriftstellerschubladen mißbraucht werden. Aber Paul Auster ist noch nicht sehr alt und, soviel man weiß, auch nicht verzweifelt. Daß ihm ein strenger Lektor fehlt, das allerdings könnte schon sein.