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Von der Krücke zur Hilfe

Technik. - Mit dem Alter steigt die Zahl der Menschen mit Hörschäden. Bei den 40- bis 49-jährigen sind es nur moderate sechs Prozent, bei den 50- bis 59-jährigen schnellt der Anteil hoch auf 25 Prozent, und bei den über 70-jährigen leiden schon mehr als die Hälfte unter Schwerhörigkeit. Hörgeräte können in den meisten Fällen die Defizite ausgleichen. Die neuesten Entwicklungen bei den Winzlingen hinterm oder im Ohr wurden in den letzten drei Tagen auf dem 51. Internationalen Hörgeräteakustiker-Kongress in Frankfurt/Main vorgestellt.

Von Mirko Smiljanic | 20.10.2006
    Hörgeräte werden erstens immer kleiner und unscheinbarer, und zweitens lassen sich Hörgeräte mit freiprogrammierbaren Chips präzise auf die jeweilige akustische Situation anpassen.

    "Grundsätzlich kann man sagen, es gibt vielleicht vier, fünf große Klassen, das ist das Sprachverstehen in ruhigen Umgebungen, das Spracheverstehen in lärmbehafteten Umgebungen, lärmbehaftete Umgebungen alleine und dann selbstverständlich auch Musik und Musikwahrnehmung","

    sagt Stefan Launer, Forschungsleiter der Phonak AG, Schweiz. Die größten Probleme haben Hörgeschädigte in lauten Umgebungen, weil die Elektronik alles verstärkt – also auch Autolärm und Stimmen. Und besonders problematisch ist da wiederum der impulshaltige Schall – das Klackern von Schuhabsätzen etwa oder eine Tasse, die etwas fester auf den Tisch gestellt wird. Lauer:

    ""Wir haben jetzt eine Technologie entwickelt und eingeführt, die Soundrelax heißt, die es ermöglicht impulshaltigen Schall nicht zu eliminieren, sondern zu reduzieren, so dass die Geräusche vernünftig und authentisch klingen."

    Soundrelax funktioniert wie ein rasend schnell arbeitender Limiter: Zwei bis vier Millisekunden dauern die Schallimpulse. In dieser Zeit müssen sie erkannt und auf den Umgebungspegel gesenkt werden. Viel Zeit bleibt der Elektronik dafür nicht. Das Delay, also die Zeitverzögerung des Schallverstärkers, beträgt gerade mal sechs Millisekunden. In diesem Zeitraum wird aber nicht nur der Impulsschall gedämpft, gleichzeitig verstärkt die Elektronik den restlichen Schall. Das aber wiederum möglichst gezielt. BassBoost etwa heißt ein System, das es ermöglicht,…

    "in den tiefen Frequenzen eine größere Verstärkung zu erreichen und da haben wir interessante Ergebnisse gefunden, die zeigen, dass es vor allem mittelgradig Schwerhörige hilft, im Störgeräusche besser zu verstehen."

    Ebenfalls raffiniert ist ein System der dänischen Firma Widex, das die Lautstärke einzelner Frequenzbereiche gezielt verändert. Daniela Casella.

    "”Man hat hier die Möglichkeit, dass man einen bestimmten definierten Frequenzbereich – ich nenne das mal bildlich so – herausschneidet und eine Oktave tiefer, also in einen Bereich wo der Hörgeräteträger wieder hören kann, einsetzt, das ist eine so genannte Frequenztransposition, und das ermöglicht dem Kunden dann, dass er diese hochfrequenten Signale in einem Bereich, wo er wieder besser hört, verarbeiten kann.""

    Diese Technik erfordert allerdings ein komplett neues elektronisches Konzept. Das Stichwort heißt "integrative Signalverarbeitung". Casella:

    "Die Besonderheit an der integrativen Signalverarbeitung ist, dass alle Prozesse zusammenlaufen, alle Prozesse werden in einer Datenbank – wir nennen das Dynamic integrator – gespeichert und werden dann von dort aus organisiert, so dass in jeder speziellen Situation der Hörgeräteträger die Möglichkeit hat, dass das Hörgerät sozusagen in dieser Höhesituation das Hörgerät die richtigen Optionen und richtigen Funktionen steuert."

    Und zwar automatisch. Auch das ist ein Trend auf dem Hörgeräteakustiker-Kongress in Nürnberg: Die Feinsteuerung übernimmt eine Software, die wie im Falle einer Phonak-Entwicklung lernt, was der Hörgeräteträger wünscht. Stefan Lauer:

    "Das Hörgerät basiert darauf, dass es sich im alltäglichen Leben merkt, wie ein Hörgerätebenutzer das Hörgerät einstellt auf die jeweiligen akustischen Hörsituationen, das Hörgerät merkt sich das und wenn der Hörgeräteträger das nächste Mal in die gleiche oder eine ähnliche Situation kommt, dann nimmt er schon die bevorzugte Einstellungen automatisch an und geht nicht auf die ursprünglich vom Hörgeräteakustiker eingestellte Einstellung zurück, es lernte also wie der Hörgeräteträger das Hörgerät in den verschiedenen Situationen getragen hat."