Sonntag, 05. Mai 2024

Archiv


Von der Leyen: "Das reicht nicht" reicht nicht

Ursula von der Leyen (CDU) hat der Opposition vorgeworfen, noch keine eigene Berechnung für die Höhe der Hartz-IV-Bezüge vorgelegt zu haben, und sie aufgefordert, klar zu sagen, wie hoch der Regelsatz aus ihrer Sicht sein solle. Einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn lehnte die Bundesarbeitsministerin ab, da er Arbeitsplätze zerstöre.

Ursula von der Leyen im Gespräch mit Christoph Heinemann | 07.01.2011
    Christoph Heinemann: Im Anfang war das Urteil - das Bundesverfassungsgericht kassierte die Regelsätze, das heißt, die Berechnungsgrundlage für Hartz IV, die aus der Zeit der rot-grünen Bundesregierung stammten. Dann stoppte der Bundesrat mit den Stimmen der Opposition die Neuregelung der schwarz-gelben Regierung, fünf Euro mehr für Erwachsene plus Bildungspaket für Kinder und Jugendliche. Das reicht der Opposition nicht. Eine Arbeitsgruppe des Vermittlungsausschusses, jeweils acht Vertreterinnen und Vertreter des Bundestages und des Bundesrates, treffen sich heute in Berlin. Bevor wir gleich mit der zuständigen Fachministerin sprechen werden, wollen wir uns die Gemengelage und die Haltung der Opposition erst einmal erklären lassen von unserem Kollegen Gerhard Schröder.

    Am Telefon ist Bundesarbeits- und -sozialministerin Ursula von der Leyen, CDU, guten Morgen!

    Ursula von der Leyen: Guten Morgen, Herr Heinemann!

    Heinemann: Frau von der Leyen, ohne fairen Mindestlohn keine Zustimmung, sagt die Opposition. Wie weit können Sie der Opposition entgegenkommen?

    von der Leyen: Nun, zunächst einmal halte ich einen Mindestlohn weder für eine Katastrophe noch für ein Allheilmittel. Die Frage ist, wie man ihn errechnet. Und ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn ist immer ein politischer Mindestlohn. Das wird Arbeitsplätze zerstören. Daran kann eine Arbeitsministerin weiß Gott nicht gelegen sein, sondern mir geht es darum, in den Branchen, in denen sich Arbeitgeber und Gewerkschaften auf eine vernünftige Lohnuntergrenze geeinigt haben, dort als Politik dann auch zu helfen, dass dieses dann umgesetzt wird. Das ist zum Beispiel das Thema Zeitarbeit, da haben sich beide Seiten zusammengerauft, aber Sie merken jetzt auch schon an meinen Ausführungen: Das ist allgemeines Arbeitsrecht, das ist Tarifgefüge. Ich muss auch an diesem Punkt irgendwann einmal sagen, liebe Leute, wir können nicht alles Wünschenswerte in Deutschland jetzt in den Hartz-IV-Gesetzen verhandeln. In den Hartz-IV-Gesetzen geht es um die Erwachsenen und ihren Regelsatz und vor allem um die Kinder, die ihr Bildungspaket brauchen, und darauf sollten wir uns jetzt in den Verhandlungen konzentrieren.

    Heinemann: Aber die Opposition, deren Stimmen Sie brauchen, verknüpfen es eben mit dem Mindestlohn, also flächendeckend, da sagen Sie njet?

    von der Leyen: Ganz klar nein, weil ein politisch gegriffenen Mindestlohn - das zerstört Arbeitsplätze. Vielleicht noch mal einen Punkt, zu dem man der Opposition immer auch deutlich sagen muss, wenn sie argumentiert, na ja, es gibt Leute, die arbeiten und brauchen dazu Hartz IV. Stimmt, aber die überwiegende Mehrzahl derer, die arbeiten und dazu Hartz IV brauchen, haben kein Problem mit einem zu niedrigen Lohn, sondern ein Problem mit zu wenig Zeit, die sie arbeiten. Sie arbeiten 400-Euro-Jobs, sie arbeiten Teilzeit, und da wird jeder wissen: Das reicht nicht für den Lebensunterhalt. Und die zweite Gruppe, die Hartz IV zusätzlich braucht, das sind meistens große Familien, das heißt, der Vater oder die Mutter arbeitet, sind sehr gering qualifiziert, und da reicht das Einkommen eben nicht für viele Köpfe, die mit am Tisch sitzen. Deshalb sind das typische Gruppen, die zusätzlich Hartz IV brauchen.

    Heinemann: Frau von der Leyen, zu welchen Änderungen am Regelsatz sind Sie bereit?

    von der Leyen: Na ja, die Frage stellt sich andersherum: Wir haben einen transparenten, plausibel verfassungsrecht... durchgerechneten Regelsatz vorgelegt. Das war übrigens die Forderung des Gerichtes. Das Gericht hat nicht gesagt, der Regelsatz ist zu hoch oder zu niedrig, sondern es hat gesagt: Rechnet sauber und legt diese Rechnung vor. Und jetzt liegen seit drei Monaten umfangreiche Berechnungen, über 1000 Seiten Material vor. Ich habe ehrlich gesagt bisher noch keine konkrete und plausible Gegenrechnung der Opposition gesehen, was sie eigentlich richtig wollen. Ich erwarte einfach, dass es jetzt mal die Opposition ist, die sagt, wie hoch der Regelsatz aus ihrer Sicht sein soll und warum. Ich höre immer nur den Satz, das reicht nicht, aber das ist ein Satz, der vor dem Verfassungsgericht nicht standhält.

    Heinemann: Aber das hat Gerhard Schröder [vom Hauptstadtstudio des Deutschlandradios, Anm. d. Red.] eigentlich eben ganz gut erklärt, eben nicht nur die 15 Prozent der Ärmsten, sondern auch 20 Prozent Kosten für Tabak und Alkohol und so weiter, Schnittblumen, was da alles dazukommt. Noch mal die Frage: Wo bewegen Sie sich? Sie brauchen der Stimmen der Opposition, Sie müssen zusammenkommen. Wo bewegen Sie sich?

    von der Leyen: Also bei den Regelsätzen noch mal sehr klar: Wir sollten das untere Klientel, also die unteren 20 Prozent der Einkommen betrachten, haben die Richter gesagt - das haben wir getan -, und wir sollten von dieser Gruppe die Hartz-IV-Empfänger abziehen - das haben wir auch getan. Insofern ist dies eine klare und verfassungsfeste Berechnung, die vorliegt. Natürlich kann man darüber streiten, dass man sagt, wir möchten zum Beispiel als Opposition, dass der Alkohol in Hartz IV bezahlt wird, oder dass Tabakausgaben in Hartz IV bezahlt werden. Wir sagen - und das ist legitim, da haben die Richter auch gesagt, das kann man tun -, wir sagen: Zum Existenzminimum gehören diese Ausgaben nicht. Das Existenzminimum, das ist gesichert mit dem Regelsatz, der übrigens nicht nur die 364 Euro sind, sondern da kommt dann eben auch die Warmmiete dazu, da kommen die Krankenversicherung, die Pflegeversicherung dazu. Das Entscheidende ist doch, dass Hartz IV ... Die Hartz-IV-Zahlungen sind eine Überbrückung für die Zeit der Arbeitslosigkeit. Das Einzige, was raus hilft, ist Arbeit, und in einer Zeit wie jetzt, wo wir einen Aufschwung haben, wo die Nachfrage steigt, wo zum ersten Mal bei der Langzeitarbeitslosigkeit seit vielen Jahren sich etwas bewegt, nämlich dass die Menschen zurück in Arbeit kommen, sollte man darauf den Schwerpunkt setzen und nicht darauf den Schwerpunkt legen, dass man sagt, wir wollen Alkohol oder Tabak in Hartz IV finanzieren.

    Heinemann: Frau von der Leyen, bei zwei Punkten bewegen Sie sich also nicht, beim Mindestlohn nicht, beim Regelsatz nicht.

    von der Leyen: Darf ich da vielleicht noch mal ganz einfach sagen: Wir haben beim Mindestlohn Bewegungsbereitschaft signalisiert, vielleicht sollte man auch sich vor Augen halten, dass Verhandlungen nicht eine Einbahnstraße sind, wo die Opposition Maximalforderungen in den Raum stellt, übrigens noch keinen Iota von diesen Maximalforderungen abgewichen ist, alles Wünschenswerte, was vielleicht in ein Wahlprogramm gehört - da kann man es reintun -, in diese Forderungen reinpackt, sondern bei Verhandlungen müssen beide Seiten aufeinander zugehen. Und noch mal: Beim Thema Mindestlohn, Zeitarbeit sind wir gesprächsbereit, da sind die Probleme auch am drückendsten, und jetzt sollte man eigentlich die ausgestreckte Hand und das Gesprächsangebot einfach auch mal annehmen.

    Heinemann: Die SPD möchte das Geld für das Bildungspaket, nein, die Opposition eigentlich, die Grünen ja auch, für das Bildungspaket Kommunen, Schulen und Kindergärten zur Verfügung stellen. Ist es dort nicht besser aufgehoben als in den Familien, die es nutzen werden oder auch nicht?

    von der Leyen: Ja, jetzt kommen wir zum Kern des Urteils. In der Tat hat das Gericht gesagt: Du, Bund, musst dafür sorgen, dass das einzelne Kind in Hartz IV eine Chance hat, in der Schule mitzukommen und da mitmachen kann, wo die Gleichaltrigen sind. Und wir haben entschieden, nicht mehr Geld auszuzahlen, sondern Sachleistungen zu organisieren. Die Kinder sollen zum Mittagessen in der Schule mitgehen. Sie sollen Lernförderung bekommen. Sie sollen in den Vereinen, in den Schulsportvereinen, sie sollen in den Musikschulen mitmachen können. Sie sollen bei den Schulausflügen mitmachen können. Also ganz konkrete Leistungen, dass diese Kinder nicht ausgegrenzt sind, sondern mitten da sind, wo auch die Gleichaltrigen sind.

    Heinemann: Da widerspricht Ihnen doch kein Mensch, Frau von der Leyen, aber jetzt die, Entschuldigung, jetzt die, ganz kurz, die Erwartung, dass die Kinder jetzt von Hartz-IV-Beziehern mit dem Bildungsgutschein Musikschulen, Sportvereine stürmen, ist die nicht vielleicht ein bisschen naiv? Das muss doch vorgelebt werden.

    von der Leyen: Jetzt zunächst einmal der Teil Ihrer Frage Kita und Schule - das betrifft alle Kinder, das ist wünschenswert, Sie wissen selbst, dass ich mich massiv eingesetzt habe für den Ausbau der Kinderbetreuung zum Beispiel in der letzten Legislatur. Aber das sind gesamtstaatliche Aufgaben. Das Gericht hat konsequent gesagt, das einzelne Hartz-IV-Kind muss konkret ein Recht auf diese Leistungen haben und das auch umsetzen können. Deshalb der zweite Punkt: Wir müssen vor Ort organisieren, und das ist im Gesetz auch angelegt, dass diese Kinder ganz klar Angebote der Lernförderung kriegen, wenn sie in der Schule Probleme haben, dass sie verschiedene Vereine, Angebote annehmen können, dass sie dort mitmachen können. Ich finde richtig - und dafür haben wir auch Geld zur Verfügung gestellt -, dass sich Menschen kümmern müssen vor Ort, also dass wir Lotsen haben, die sagen, wir nehmen diese Kinder an die Hand und sorgen dafür, dass sie im Sportverein sind. Übrigens: Die Vereine, die begrüßen das sehr. Der Deutsche Olympische Sportbund mit seinen 91.000 Vereinen vor Ort hat gesagt, klasse, wir brauchen diese Kinder, die Türen sind offen, wir freuen uns, wenn die kommen. Und wenn die Kinder in diesem Verein mitmachen - das ist ein Nebeneffekt, der mich freut -, dann fließt das Bundesgeld für diese Kinder direkt in die Vereine in Deutschland vor Ort, die gute Arbeit leisten, nachhaltig sich um die Kinder kümmern. Das wollen wir ja, dass die Kinder mitmachen können.

    Heinemann: Frau von der Leyen, warum zahlt die Bundesregierung nicht die bereits beschlossenen zusätzlichen fünf Euro pro Monat an die Hartz-IV-Bezieher aus?

    von der Leyen: Weil es dazu ein Gesetz braucht. Wir leben in einem Rechtsstaat, und jeder Minister, jede Ministerin weiß, man kann nicht einfach Geld auszahlen ohne eine gesetzliche Grundlage. Allerdings: Es wird rückwirkend diese Geldleistung geben, denn das Gesetz sollte eigentlich zum 1. Januar in Kraft treten.

    Heinemann: Frau Schwesig von der SPD sagt, den Beamten werden Gehaltserhöhungen regelmäßig ausgezahlt, bevor das jeweilige Gesetz fertiggestellt ist. Warum geht das nicht bei Hartz-IV-Beziehern?

    von der Leyen: Ja, da sprechen wir über Tarifgefüge, das ist eine andere gesetzliche Grundlage, und beim Existenzminimum sprechen wir von Pflichten und Rechten des Staates und des Einzelnen, und hier, ich meine, das bedrückt mich auch, aber hier ist die Rechtslage ganz eindeutig so, dass es eine Gesetzesgrundlage geben muss, um dieses Geld auszuzahlen. Es geht immerhin - wenn man mal Hartz IV nimmt - um 40 Milliarden Euro. Und bei solchen Größenordnungen in der Tat kann man nicht schlankweg vorweg oder nachträglich etwas geben, sondern es muss eine ganz klare gesetzliche Grundlage geben.

    Heinemann: Bundesarbeits- und -sozialministerin Ursula von der Leyen, CDU. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!

    von der Leyen: Danke Ihnen!