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Von Heulsusen und Machtworten

Dem SPD-Vorsitzenden Kurt Beck ist der Spaß in jüngster Zeit häufig vergangen. Knapp anderthalb Jahre führt er die Partei von August Bebel und Willy Brandt. Aber offenbar fühlte er sich von seinen Genossen nie so häufig hintergangen wie in diesem Sommer.

Von Frank Capellan und Anke Petermann; Redakteur am Mikrofon: Hans-Jürgen Bartsch |
    Guten Abend, meine Damen und Herren, die SPD im tiefen Fall: Seit Juli 2005 waren die Umfragewerte nicht mehr so schlecht wie heute. Die Partei würde nach einer neuen Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes infratest dimap nur noch auf 27 Prozent kommen. Der Minustrend hält an, obwohl Parteichef Kurt Beck vor wenigen Tagen sein erstes großes Machtwort gesprochen hat. Sogar jeder zweite SPD-Anhänger würde sich lieber für eine Bundeskanzlerin Angela Merkel aussprechen als für einen Bundeskanzler Beck.

    Warum erholen sich die Genossen nicht, wer trägt die Schuld? Unser Berliner Korrespondent Frank Cappelan fasst die Stimmung zusammen.


    Störungen im Mannschaftsspiel
    Kurt Beck: "Es ist jetzt gut! Wer nur von hinten hinterm Busch hervorruft, der muss sich sagen lassen: So nicht!""

    Matthias Platzeck: "Ich möchte, dass wieder mehr Leidenschaft reinkommt, keine kalte SPD. Ich möchte eine richtig heiße SPD haben"

    Peer Steinbrück: "Führung in dieser Partei heißt, nicht nur zu sammeln die Kräfte, sondern auch Erklärungen zu liefern und einen Führungsanspruch geltend zu machen."

    Hans-Jochen Vogel: "Was hätte wohl Willy Brandt dazu gesagt?"

    Mahnende Worte des Ex-Vorsitzenden Hans-Jochen Vogel, als er im Atrium des Willy-Brandt-Hauses auf die überlebensgroße Figur des sozialdemokratischen Übervaters blickt. Zu beobachten ist eine Partei, der der Gleichschritt erst wieder verordnet werden muss, eine SPD, die nicht weiß, wie sie in der Großen Koalition bestehen soll, und die sich verunsichert durch miserable Umfragen fragt, ob sie mit Kurt Beck an der Spitze eine Chance hat, die nächste Bundestagswahl zu gewinnen.

    Dem SPD-Vorsitzenden ist der Spaß in letzter Zeit allzu häufig vergangen. Knapp anderthalb Jahre führt er die Partei von August Bebel und Willy Brandt. Aber offenbar fühlte er sich von seinen Genossen nie so häufig hintergangen wie in diesem Sommer. Dass ihm am vergangenen Montag der Kragen platzte, weil er die anonymen Querschüsse gegen seine Person und seine Politik nicht länger ertragen will, das hat manchen überrascht. Kurt Beck ist kein Basta-Mensch vom Schlage Gerhard Schröders. Kurt Beck ließ sich als Moderator, nicht als Machtpolitiker in die Pflicht nehmen.

    "Wer Verantwortung an der Spitze einer Partei hat, der muss auch Führungskraft zeigen, das will ich auch tun","

    so der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz am 14. Mai 2006, als ihn 95 Prozent der Delegierten eines Sonderparteitages zum neuen Vorsitzenden der SPD wählen.

    ""Aber ich will genauso im Team arbeiten."

    Aber das Mannschaftsspiel in Berlin will nicht mehr funktionieren. Die Union ist ständig am Ball, die Linkspartei greift an, und die Abwehr der SPD ist schlecht aufgestellt. Wenige Wochen vor dem Hamburger Parteitag, auf dem sich die SPD ein neues Grundsatzprogramm geben will, erhält das sozialdemokratische Publikum nur wenig Orientierung.

    Dabei müht sich Kurt Beck redlich, den Draht zur Basis zu pflegen. Der Elektromechaniker aus Rheinland-Pfalz spricht die Sprache der Malocher, bei denen das Herz trotz aller Einschnitte der Agenda 2010 noch links schlägt, und zwar sozialdemokratisch links.

    Wenn Kurt Beck in Betriebe mit sozialdemokratisch geprägter Belegschaft kommt, ist er ein gern gesehener Gast. Wenn er beim Treffen von SPD-Kommunalpolitikern auf der Wartburg kämpferisch die Union angreift, kann er sogar für bayerische Bierzeltatmosphäre sorgen:

    "Die fahren einen Kurs, dagegen ist der Schwanz einer Wutz geradezu eine gerade Linie."

    Doch in solchen Momenten vergessen manche SPD-Mitglieder, dass ihre Partei im fernen Berlin nicht in der Opposition ist, sondern Juniorpartner einer Großen Koalition mit den Konservativen:

    "Ich bin enttäuscht von der SPD in dieser Großen Koalition. Die SPD müsste sehr viel stringenter auftreten und sich nicht jede Sache aus der Hand nehmen lassen."

    Beck sucht dann die Diskussion mit den Parteifreunden, etwa mit dem thüringischen Ortsvereinsvorsitzenden, der vor Becks Annäherungsversuchen gegenüber der FDP warnt:

    "Jetzt habe ich den Eindruck, dass du den Rest des Profils auch noch dranzugeben im Stande bist, wenn du Schnittmengen mit der FDP plötzlich erkennst."

    "Ja, wir haben in Rheinland-Pfalz weiß Gott sozialdemokratische Politik gemacht, und am Ende hatten wir eine absolute Mehrheit. So schlimm kann das nicht sein. Vielleicht siehst du das mal aus diesem Blickwinkel."

    Mit wem kommen die Sozialdemokraten aus dieser Großen Koalition heraus? Mit welchem Programm? Mit wem an der Spitze, das treibt die Partei um.


    Jungsozialisten werden staatstragend
    Streit über den grundlegenden Kurs, gerade für die Jungsozialisten gehört er seit Jahrzehnten zum Alltag. Noch unter Kanzler Schröder wetterten die Jusos gegen die Reformen der Agenda 2010. Und nun? In den Tagen eines umstrittenen Kurt Beck? Anke Petermann war bei den jungen SPD-Mitgliedern in Wiesbaden.

    Erster Stock in einer graffitibemalten früheren Fabrik hinter dem Wiesbadener Bahnhof - ein bis auf zwei mannshohe Palmen kahles, neonbeleuchtetes Hinterzimmer, mit zu langen Tischreihen und zu vielen Stühlen für die sieben Wiesbadener Jusos, die an diesem Abend - keine fünf Monate vor der hessischen Landtagswahl - hier zusammenkommen.

    "Ich freue mich, dass ihr da seid. Einen kurzen Abriss über die Tagesordnung: Es geht um unsere Internetpräsenz..."

    Den neuen Basta-Beck hat Mark Kneiper ebenso wenig auf die Tagesordnung gesetzt wie das Buch "Auf der Höhe der Zeit" der Reformer Platzeck, Steinmeier und Steinbrück. Das haben die sechs noch nicht gelesen, aber die Ideen des Trios sind ihnen vertraut. Nichts Neues, rechtzeitig zum Höhepunkt der Programmdebatte zwischen zwei Buchdeckel gepresst. Die Wiesbadener Jusos sehen keinen Grund, sich darüber aufzuregen. "Ja, die drei sind vorgeprescht", gibt Christoph Manjuri mit Blick auf die Herausgeber zu,

    "zumal ja das Grundsatzprogramm in gut acht Wochen Ende Oktober in Hamburg verabschiedet wird und der vorsorgende Sozialstaat, der ja auch im Titel des Buches enthalten ist, auch Teil des Entwurfs ist. Im Prinzip bedeutet ja der vorsorgende Sozialstaat ein Fokus auf die Bildungspolitik bei gleichzeitiger Rücknahme der sozialen Transferleistungen, wie sie es jahrelang gegeben hat und mehr auf eine Grundsicherung im sozialen Bereich. Das ist in der SPD heiß umstritten. Es gibt viele Befürworter, es gibt auch viele Gegner auf Seiten des linken Parteiflügels, und die SPD würde gut daran tun, einen vernünftigen Kompromiss zu finden, um auch weiterhin Partei der sozialen Gerechtigkeit zu bleiben, und das ist, glaube ich, auch im Interesse der hier anwesenden Jusos, dass allein mit der Rücknahme sozialer Transferleistungen in Zukunft kein Sozialstaat machbar ist."

    Lieber Kompromisse als Grabenkämpfe, Blick nach vorn - staatstragende Leitsätze aus dem Mund junger Genossen und nur sehr verhaltene Kritik am Kurs der SPD. Es sind ganz klar keine Linksaußen-Revoluzzer, die sich hier in der buntbemalten Fabriketage versammelt haben. Die Mutterpartei links zu überholen, zeigen sie keinen Ehrgeiz. Der jungsozialistische Hang zum Antiautoritären - Fehlanzeige. Zwar wissen die jungen Wiesbadener Sozialdemokraten auch nicht, wen und was Kurt Beck genau gemeint hat, aber die Schelte des Parteichefs für Heckenschützen aus den hinteren Reihen finden sie gut und richtig.

    "Ich denke, dass das Machtwort von Kurt Beck durchaus notwendig war. Man kann sicherlich Kritik äußern, aber dann intern und nicht immer über die Presse. Ich glaube schon, dass Kurt Beck ein Vorsitzender ist, der gestärkt werden muss. Auch von Stiegler, der ja als Linker gilt, kam Lob für Kurt Beck. Und das sollte auch so sein. Wir sollten weniger über Personen diskutieren als über die Sache."

    Warum sollte der Pfälzer nicht bis Ende nächsten Jahres mit der Entscheidung über die Kanzlerkandidatur warten, fragt Hendrik Schmehl, die CDU habe sich doch auch Zeit gelassen. Aber wird da nicht gerade mit Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier ein Konkurrent aufgebaut?

    "Kurt Beck ist ein erfolgreicher Ministerpräsident, er hat die absolute Mehrheit geholt, und da habe ich auch nicht so Zweifel, dass das noch klappen wird, also warum soll er nicht auch im Bund sich entsprechend durchsetzen können? Und Steinmeier ist ja nun eher jemand, der im Hintergrund wirkt, deshalb würde ich da eher Kurt Beck bevorzugen.

    "Er hat eine sehr offene Art, als Rheinland-Pfälzer sehr gemütlich, die mir sehr gut gefällt, aber leider, was ich auch sehe, in Berlin noch nicht so ganz gut angekommen ist und von vielen anderen Politikern noch so ein bisschen beäugelt wird. Aber vielleicht muss er da noch ein bisschen hineinwachsen. Aber ich traue ihm das schon zu."

    So viel jungsozialistisches Lob für die Mutterpartei und deren Chef - ist es der nahende Wahltag Anfang kommenden Jahres, der die Jusos in Wiesbaden zähmt? Dementis von allen Seiten. Und dann geht doch noch einer auf Gegenkurs. Philipp Schneider kritisiert den Sozialabbau im Rahmen der Agenda 2010.

    "Die Richtung, in die es jetzt schon läuft, ist auf jeden Fall die falsche meiner Meinung nach, und auf jeden Fall sollte es wieder das Ziel sein, dass wirklich alle mitgenommen werden und dass solche Zumutbarkeitssachen wie in Hartz IV - und es gibt ja noch sehr viele Dinge, über die man sehr kontrovers diskutieren kann - eben nicht sozusagen Ziel werden. Das kann ja kein Ziel sein zu sagen, wir bauen immer mehr ab."

    Visionen sollten ins Programm statt sozialer Grausamkeiten diktiert von knappen Finanzen, meint der 21-Jährige und riskiert damit, der "Heulsusenfraktion" seiner Partei zugerechnet zu werden, wobei seine Mitstreiter der Steinbrück-Schelte sogar Konstruktives abgewinnen.

    "Also die Interpretation, dass die Sozialdemokraten in letzter Zeit nicht gerade selbstbewusst nach außen treten und vielleicht ein bisschen weinerlich wirken aufgrund der schlechten Umfragewerte, aufgrund dessen, dass wir nicht mehr bei 40 Prozent liegen wie bei der Bundestagswahl '98 - dieser Tatsache geschuldet hat Steinbrück wahrscheinlich von Heulsusen gesprochen und angemahnt, dass die SPD und die Mitglieder wieder selbstbewusster und vor Kraft strotzend nach außen treten sollten und die Politik, die gemacht wurde, gerade weil Steinbrück sie für grundlegend richtig hält und die meisten SPD-Mitglieder das, glaube ich. auch im Gros tun, deshalb sollten die Leute wieder selbstbewusster auftreten und die SPD nach vorn treiben","

    kommentiert Christoph Manjura. Die neuesten Umfragen allerdings, das geben die Wiesbadener Jusos zu, bieten mal wieder nicht allzu viel Anlass für strahlendes Selbstbewusstsein. Immerhin aber liegt die wahlkämpfende Hessen-SPD mit ihrer Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti bei 32 Prozent und damit fünf Prozentpunkte über dem sozialdemokratischen Bundestrend.


    Die Herausgeber Frank-Walter Steinmeier, Matthias Platzeck und Peer Steinbrück wollen mit ihrem Buch "Auf der Höhe der Zeit" der Debatte um das neue Grundsatzprogram der SPD neue Impulse geben.
    Das Buch "Auf der Höhe der Zeit". (AP)
    Die Frage der Kanzlerkandidatur
    Bei all dieser Kritik, ob nun verhalten oder nicht: Welche Alternativen bleiben der Partei? Wer könnte sie sonst noch führen außer Kurt Beck? Frank-Walter Steinmeier vielleicht, der amtierende Außenminister oder Peer Steinbrück, der Bundesfinanzminister? Eben jene beiden haben zusammen mit Becks Vorgänger im Parteivorsitz, Matthias Platzeck zur aktuellen Krise beigetragen - durch ihre Buchveröffentlichung. Ob gewollt oder nicht. Dazu noch einmal Frank Capellan.

    Dass er die Führungsmannschaft umgebaut hat, dass er neben dem Bundesfinanzminister nun auch noch den Bundesaußenminister zu seinem Stellvertreter macht, dass er damit zwei leidenschaftliche Vertreter der Agenda 2010 an die Seite geholt und zugleich mit der designierten Parteivize Andreas Nahles eine profilierte Kritikerin dieser Politik der sozialen Grausamkeiten eingebunden hat, dafür wurde Kurt Beck selbst vom politischen Gegner Respekt gezollt. Doch mittlerweile scheint ihm die Truppe aus dem Ruder zu laufen. Ein Stellvertreter, der die halbe Partei als Heulsusen diffamiert, weil sie sich sorgt, wie die SPD neben einer übermächtigen, schon beinahe sozialdemokratisch regierenden Kanzlerin überleben soll, das kann einem Parteichef nicht gefallen.

    ""Ich wähle natürlich die SPD, ist doch logisch. Ich bin ja auch sehr angetan von unserer Frau Merkel. Die ist doch SPD? Die ist CDU? - Dann muss ich mir das noch mal ganz genau überlegen!"

    Dass Angela Merkel in der Wählerschaft als Sozialdemokratin wahrgenommen wird, dass die Union in den Augen vieler Genossen regelrechte Produktpiraterie betreibt, sich etwa die neue Familienpolitik samt Elterngeld und Krippenbetreuung ganz auf die eigenen Fahnen schreibt, das sorgt an der Parteispitze für Ratlosigkeit. Es mangelt an einer überzeugenden Antwort.

    "Wenn die Kanzlerin als sozialdemokratisch wahrgenommen wird, warum sollen wir das eigentlich schlecht finden?"

    Die gespielte Gelassenheit des Umweltministers verfängt kaum. Sigmar Gabriel wird eine gute sozialdemokratische Politik bescheinigt, doch er steht ständig im Schatten der Weltklimakanzlerin. Gabriel verbreitet dennoch Zuversicht:

    "Wir haben jetzt anderthalb Millionen Arbeitslose weniger. Wir investieren endlich wieder in Bildung. Das hat doch Gerhard Schröder angelegt mit seiner Agenda 2010. Darauf nicht stolz zu sein, das geht nicht."

    Mit stolzgeschwellter Brust durch die Lande ziehen, sich daran erinnern, wie tief der Karren im Dreck steckte, als die Sozialdemokraten 1998 die Regierung von Helmut Kohl übernahmen, das ist auch die Devise von Becks künftigem neuen Stellvertreter, Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, der die sozial- und wirtschaftspolitischen Entscheidungen von Gerhard Schröder als Kanzleramtschef umsetzte:

    "Das ist kein Weg, für den sich die Sozialdemokratie entschuldigen muss. Das sind auch keine politischen Entscheidungen, die kompensiert werden müssen durch Entscheidungen anderer Natur, sondern das ist ein Weg, den wir weitergehen sollten."

    Dass Steinmeier, Bundesfinanzminister Steinbrück und Brandenburgs Ministerpräsident Platzeck allerdings mit einem übereifrigen Bekenntnis zur Agenda 2010 alte Gräben wieder aufreißen, das muss den Parteivorsitzenden wenige Wochen vor dem wichtigen Programm-Parteitag beunruhigen. "Auf der Höhe der Zeit" heißt das Buch, das die drei gerade herausgegeben haben und dessen Quintessenz sich in den Worten von Matthias Platzeck so anhört:

    "Wir dürfen keine Sozialstaatskonservativen sein. Wer aufhört, drüber nachzudenken, wie man ihn auf die Anforderungen der Zeit justieren kann, gibt den Sozialstaat auf. Weil ich das nicht möchte, müssen wir über eine Weiterentwicklung des Sozialstaats nachdenken, und dazu gehört das Modell des vorsorgenden Sozialstaates."

    Sind die Linken Sozialstaatskonservative? Muss der Sozialstaat mehr vor- als nachsorgen? Andrea Nahles vom linken Parteiflügel fühlt sich da an alte Debatten erinnert:

    "Dass versucht wurde, wieder alte Konflikte, Vergangenheitsdiskussionen über die Agenda 2010 vor diesem Grundsatzprogramm-Parteitag in den Medien zu platzieren, das wollten wir nicht."

    Wie können die Reichen am Umbau des Sozialstaates beteiligt werden? Wie kann soziale Gerechtigkeit realisiert werden? Wie soll man zum Beispiel der eigenen Klientel die Rente mit 67 verkaufen? Das sind Fragen, die die Linke in den Vordergrund stellt, während Bundesfinanzminister Peer Steinbrück versucht, seine Partei als Wirtschaftspartei zu profilieren:

    "Die SPD muss diese Republik im wirtschaftlich-technischen Wandel auf der Höhe der Zeit halten, das bedeutet, dass wir die Rollos an unseren Landesgrenzen nicht runterlassen können nach dem Motto: Die Globalisierung findet woanders statt. Ich meine, wir Deutsche wollen alle ein T-Shirt für 4 oder 5 Euro haben, wir wollen alle mit 19 Euro nach Malle fliegen, wir wollen einen DvD-Player haben für 39,95 – ja, das ist Ausdruck der Globalisierung."

    Dem Parteivorsitzenden kommt also einmal mehr die Rolle des Vermittlers zu, um die große linke Volkspartei auf eine gemeinsame Linie zu bringen. Gerade streitet die Partei über Art und Umfang des Afghanistan-Einsatzes. Auch dabei fühlen sich manche Sozialdemokraten von der Parteiführung übergangen. Kaum anders sieht es bei Themen wie der Privatisierung der Bahn aus, in den Augen vieler ein Synonym marktwirtschaftlicher Auswüchse. Vor dem Parteitag soll das ungeliebte Projekt durch den Bundestag gebracht werden. Unruhe an der Parteispitze kann Kurt Beck da überhaupt nicht gebrauchen. Mit seinem Machtwort kann er wohl kaum allein die Parteifreunde aus der dritten und vierten Reihe gemeint haben, schon eher die Strippenzieher hinter den führenden Köpfen. Auch der Vizekanzler spielt eine undurchsichtige Rolle.

    "Diese Koalition ist ganz erfolgreich."

    Franz Müntefering erweckt immer wieder den Eindruck, als sei die Regierungsarbeit das Wichtigste, als könnten die Sorgen der Partei vernachlässigt werden.

    "Die Kanzlerin hat Recht. Alles ist so, wie sie gesagt hat, und so werden wir das machen."

    Trotz manch ironischer Anfälle: Allzu Merkel-freundlich kommt der Vizekanzler vielen Genossen daher. Dass Müntefering dem Parteichef beim heiklen Thema "Umgang mit der Linkspartei" in die Parade fährt und ohne Not erklärt, Koalitionen seien Sache der Landesverbände, während Kurt Beck gerade noch zwischen der einigermaßen akzeptablen PDS im Osten und den nicht ernstzunehmenden Linken im Westen unterscheidet, das kann dem SPD-Vorsitzenden nicht gefallen haben. Auch ein Mosaiksteinchen, dass das Fass beim sonst so gemütlichen Weintrinker Beck zum Überlaufen brachte.

    "Es gibt keine Diskussionen um Kurt Beck. Er ist völlig unumstritten. Das wird unser Parteitag in Hamburg auch deutlich zeigen."

    Es gibt keine Diskussionen um Kurt Beck. Wenn einer wie Fraktionschef Peter Struck so etwas betont, dann muss vorher etwas im Busch gewesen sein. Die Mäkelei am Parteivorsitzenden, das Lästern darüber, dass er aus der pfälzischen Provinz noch nicht in der Hauptstadt angekommen sei, die Berichte über Reibereien zwischen dem Willy-Brandt-Haus in Berlin und der Staatskanzlei in Mainz, vor allem aber die ewige Frage nach seiner Eignung für die Kanzlerkandidatur - all das hat ihn am Ende zu sehr gereizt.

    "Ende 2008/Anfang 2009 wird der Parteivorsitzende, wie es seines Amtes ist, den Parteigremien einen Vorschlag machen, und dann werden wir diesen Vorschlag veröffentlichen. So wird es sein, nicht anders."

    Für sich habe er die Frage längst entschieden, versichert Kurt Beck immer wieder. Denkbar, dass er sich am Ende mit der Ehre begnügt, der SPD vorzustehen und es Außenminister Frank-Walter Steinmeier überlässt, die Kanzlerin herauszufordern. Aber unterschätzt ihn nicht, meint Ex-Minister Hans Eichel, der gern an einen anderen unterschätzten Landsmann des SPD-Vorsitzenden erinnert.

    "Die Pfälzer haben natürlich, das muss man sagen, einen speziellen Dialekt und eine spezielle Ausstrahlung. Das wird keiner los, auch Kurt Beck nicht. Nur, darin liegt auch die Unterschätzung seiner Person, und darin lag auch die Unterschätzung von Helmut Kohl."

    Vieles bleibt also offen bei der SPD, und ratlos fragt sich mancher Genosse wie Hans-Jochen Vogel:

    "Was hätte wohl Willy Brandt dazu gesagt?"
    Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht mit Vize-Kanzler Franz Müntefering zu Beginn der Kabinettsitzung im Bundeskanzleramt in Berlin.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht mit Vizekanzler Franz Müntefering. (AP)