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Von Hilfe und Selbsthilfe

Somaliland, das ist der nordwestliche Teil Somalias, erlebt seit dem Ende des Bürgerkriegs 1991 eine Aufwertung durch Initiativen vor Ort und Geld durch im Ausland lebende somalische Spender. Dabei ist die Region bemüht einen gesunden Ausgleich zwischen Selbst- und Fremdhilfe zu finden.

Von Bettina Rühl |
    Faduma Yusuf führt die Gartenschere mit geübtem Griff durch die Äste eines Papayabaumes. Trotz ihrer 70 Jahre geht sie jeden Tag zwei Mal in ihren Garten, um Gemüsepflanzen, Obststräucher und -bäume zu wässern und zu pflegen. In ihrem Garten, der etwas außerhalb des Dorfes Odweyne im Osten von Somaliland liegt, wachsen außer Papayabäumen auch Guaven, Mangos, Tomaten und Auberginen.

    "Ich will hart arbeiten, so lange ich das noch kann. Wenn ich einfach nur zu Hause sitze, gedeiht mein Garten nicht. Wir brauchen das Geld, das ich durch den Verkauf von Obst und Gemüse verdiene. Außerdem möchte ich meinen Töchtern noch beibringen wie man einen Garten pflegt, damit sie das auch können, wenn sie so alt sind, wie ich jetzt bin."

    Faduma Yusuf ist seit fast 17 Jahren Witwe. Ihr Mann hatte sich als Söldner für Kuweit verpflichtet und fiel 1991 im Krieg des Emirats gegen den Irak. In Somaliland fing währenddessen die Nachkriegszeit an: Ein Friedensabkommen beendete den Bürgerkrieg, der dort 1988 begonnen hatte. Nach dem Sturz des letzten Diktators Siad Barre im Jahr 1991 erklärte sich die Region im Nordwesten vom Rest des Landes unabhängig. Die Bevölkerung fing an, die zerstörten Städte und Dörfer wieder aufzubauen und einen neuen Staat zu bilden. Doch Faduma Yusuf empfand nicht nur Aufbruchstimmung, sie war Witwe und für fünf Kinder verantwortlich. Um Geld zu verdienen, wagte sich die ehemalige Nomadin auf Neuland und experimentierte als gut 50-Jährige erstmals mit der Gartenarbeit.

    "Ich habe es einfach mal versucht und schnell gemerkt, dass ich das kann. Da habe ich weiter gemacht - was sollte ich auch sonst tun, mein Mann war ja tot und ich für die Familie verantwortlich."

    Obst und Gemüse verkauft sie auf dem Markt von Odweyne. Von dem Ertrag hat sie ihre Hütte und ihre Wasserstelle ausgebessert und in Odweyne außerdem einen Laden aufgemacht. So ist die ehemalige Hirtin auf ihre alten Tage noch zur Geschäftsfrau geworden.

    "Ja, das stimmt. Aber ich stehe nicht selbst im Laden, sondern meine jüngste Tochter. Ich kümmere mich vor allem um den Garten. Im Moment sind zum Beispiel die Mangos reif. Die nehme ich mit in den Laden, wir pressen Saft daraus und verkaufen ihn. Außerdem führen wir Seife, Hefte und Kugelschreiber. Es ist ein großer Laden."

    Eine Baumschule in Burao, der zweitgrößten Stadt von Somaliland. Hierher kommen die Pflänzchen und Pflanzen, die an Faduma Yusuf und alle anderen Interessenten kostenlos verteilt werden. Farhán Aden, der für die Deutsche Welthungerhilfe arbeitet, füllt eine Gießkanne mit Wasser, um die Setzlinge zu wässern.

    "Im Krieg wurde viel Buschland zerstört, viele Bäume wurden abgeholzt und verheizt. Hier ziehen wir Setzlinge, die wir an die Bevölkerung verteilen, um den Bestand wieder aufzubauen. Denn die Vegetation war durch Überweidung und Abholzung schon vor dem Krieg viel zu spärlich geworden."

    Die Baumschule befindet sich auf dem Gelände der Universität von Burao. Denn die Deutsche Welthungerhilfe und die Universität wollen in den Bereichen Landwirtschaft und Gartenbau künftig zusammenarbeiten. Um die dramatische Verwüstung in der halbtrockenen Region Somaliland zu stoppen, müssen alle Kräfte gebündelt werden: Forschung ist nötig, um robuste Bäume für die Wiederaufforstung zu entwickeln. Geeignete Pflanzen müssen vervielfältigt und verteilt werden. Gemüse und Obstbäume sollen der Bevölkerung zu ergänzenden Einnahmequellen verhelfen.

    Somaliland steht nicht als einzige Region vor der Herausforderung, Umweltschutz, Landwirtschaft und Armutsbekämpfung gleichermaßen entwickeln zu müssen. Aber: Somaliland ist in einer besonderen Situation, weil der Staat nach dem Zusammenbruch aller Strukturen im Jahr 1991 erst wieder im Aufbau - und international nicht anerkannt - ist. Peter Sass von der Deutschen Welthungerhilfe:

    "Sie sind im Prinzip in einem Übergangsstadium, und wir versuchen in den Dörfern das Bewusstsein zu fördern und darauf hinzuarbeiten, dass von den Dörfern ausgehend da etwas unternommen wird. Die Schwierigkeit liegt darin, das dann auch mit der Regierung abzustimmen. Dass die klaren Vorgaben fehlen ist schon hinderlich, weil man längerfristig nicht planen kann. Auf der anderen Seite hat man jetzt auch die Möglichkeit, aus dem Dorf heraus einen Plan zu entwickeln und auf die Regierung einzuwirken und das auch dem Ministerium vorzulegen, sodass ich sagen kann: Das ist teilweise gut und teilweise schlecht."

    Denn die etwas strukturlose Situation bietet gleichzeitig große Freiräume bei der Entwicklung von neuen Initiativen. So etwa bei der Zusammenarbeit mit der noch jungen Universität von Burao, der zweitgrößten Stadt von Somaliland. Deren Entstehung ist bezeichnend für alles, was derzeit in Somaliland geschieht: Wer Energie und Ideen hat, kann in der gegenwärtigen Aufbaustimmung nahezu alles erreichen.

    Die Universität wurde vor gerade mal drei Jahren gegründet und hat rund eintausend Studenten. Die Männer und Frauen werden Grundschullehrer oder Tiermediziner, studieren Islamwissenschaft oder Wirtschaftswissenschaften. Abdisalam Yassin Mohammed ist Vize-Kanzler der Hochschule:

    "Das Geld für diese Universität kam ganz überwiegend von Somaliern, die im Ausland leben: In den Golfstaaten, Europa oder Nordamerika. Die Auslands-Somalier haben Netzwerke, und wenn hier in Somaliland ein Entwicklungsprojekt nötig ist, werden die Mitglieder dieser Netzwerke kontaktiert. Sobald sie wissen, dass für ein bestimmtes Vorhaben Geld gebraucht wird, werden sie in Übersee aktiv und sammeln Spenden. Ich habe selbst in Saudi-Arabien gelebt und dort als Teil eines solchen Netzwerkes um Unterstützung für diese Universität geworben. Dann kam ich zurück und wurde Vize-Kanzler der Hochschule."

    Als Gründungskapital reichten 125.000 Dollar, denn die Gebäude sind einfach und auf das Nötigste reduziert. Die Bibliothek wird durch Bücherspenden aus aller Welt aufgebaut. Gibt es weiteren finanziellen Bedarf, springen die Exil-Somalier ein. Die Gehälter für insgesamt 54 Professoren und zehn Verwaltungsangestellte werden allerdings von den Gebühren der Studenten gezahlt: 30 Dollar pro Kopf und Monat, die wiederum für die Lehramtsanwärter von der Europäischen Union bezahlt werden. Das Gehalt der Professoren ist bescheiden: Es liegt, je nach Qualifikation, zwischen 300 und 1.000 Dollar im Monat. Für jemanden, der bis dahin in den Golfstaaten oder dem Westen gelehrt hat, ist das nicht viel - und die meisten Universitätsmitarbeiter haben vor dem Start dieses Projektes im Ausland gelebt.

    "Was den Komfort angeht, hat Somaliland weniger zu bieten als Europa und die Golfstaaten, aber das hier ist unsere Heimat. Es ist ein gutes Gefühl, zu Hause zu sein. Außerdem wollen wir zur Entwicklung unseres Landes etwas beitragen, und wenn uns das gelingt, haben wir das Gefühl, etwas erreicht zu haben. Das alles entschädigt reichlich für den fehlenden Komfort."

    Abdisalam Yassin Mohammed hat eine klare Vorstellung davon, wie das Ausland bei der Entwicklung Somalilands helfen könnte - wenn es denn helfen möchte:

    "Die Somaliländer sollten bereit sein, ihre Angelegenheiten alleine in Angriff zu nehmen. Selbst wenn sie große Projekte realisieren wollen, müssen sie selbst den ersten Schritt tun. Erst danach sollten internationale Organisationen ihre Unterstützung oder Hilfe anbieten. Denn wir haben ja immer wieder gesehen, wie es üblicherweise verläuft: Die internationalen Geber zahlen große Summen für alle möglichen Entwicklungsprogramme, aber ein Großteil dieser Mittel verschwindet irgendwo, statt in den Projekten anzukommen."