Sonntag, 12. Mai 2024

Archiv


Von Irdischem und Überirdischem

Giorgio Agamben will die Nähe von Religion und Politik vorführen. Die Engel werden Bürokraten und umgekehrt. So ist es zu lesen in "Die Beamten des Himmels. Über Engel".

Von Hans-Martin Schönherr-Mann | 30.04.2008
    Seit sich in modernen Demokratien die Menschen nicht mehr als Untertanen, sondern als mündige Bürger fühlen, achten sie staatliche Institutionen und Hierarchien immer weniger, so das bekannte Lamento vom Wertezerfall. Stellt die Wiederkehr der Religion in der Politik darauf eine Reaktion dar, um den Menschen wieder Respekt vor der göttlich staatlichen Ordnung beizubringen? Eine solche Vermutung bestärkt das kleine Buch von Giorgio Agamben "Die Beamten des Himmels - Über Engel".

    Die drei monotheistischen Weltreligionen sehen sich seit ihren Anfängen mit der Frage konfrontiert, ob Gott die Welt regiert oder ob er sich aus ihr heraushält. In der Trinität hat das Christentum die inneren Gegensätze des Monotheismus aufgehoben: der kontemplative, geheimnisvolle Gott, der Sohn, der die Verbindung zur Welt herstellt, der heilige Geist, der die Welt beherrscht. Wie aber kann der Gott in die Welt eingreifen? Nun, die Antwort lautet: durch Engel! Denn die Engel der christlichen Tradition haben zwei verschiedene Aufgaben: erstens Gott zu assistieren, genauer Gott zu loben und zu preisen. Gewisse Engel halten sich in seiner Nähe auf und genießen dadurch eine kontemplative Glückseligkeit.

    Zweitens befinden sich andere im Außendienst und greifen tätig im Sinne eines bürgerlichen Lebens in die Welt ein, die sie verwalten, so dass sie also das Weltgeschehen lenken. Engel führen die ordinatio oder providentia generalis, also die allgemein Vorsehung aus und garantieren dadurch die göttliche Ordnung. Die Angelologie reflektiert folglich Macht in ihrer konkreten Form, nämlich als Regierung, genauer Regierungsführung.

    Die staatlichen Bürokratien mit ihren Ämtern, Ministerien und Missionen kopieren daher die himmlischen Heerscharen und die himmlische Herrlichkeit, die Ränge und Ämter der Engel.

    Nach Giorgio Agamben

    "neigen Engel und Bürokraten dazu, ununterscheidbar zu werden: Nicht nur die himmlischen Boten sind nach Aufgaben und Ämtern angeordnet, sondern auch die irdischen Beamten (…) werden befähigt, wie die Engel zu behüten, zu erleuchten und zu vervollkommnen."

    Thomas von Aquin betont die hierarchische Gliederung unter den Engeln. Nicht alle Engel sind in der Lage, Gott in seinem Glanz und in seinen Geheimnissen wahrzunehmen. Das können nur die Ranghöchsten, die wiederum ihre Weisheit den niederen mitteilen. Es verwundert nicht, dass die Gottesnähe einen höheren Wert hat als der Außendienst, die Verwaltung der Welt. Aber stellt solcherart Gotteslob nicht eine unpolitische Seite der Religion dar? Im Gegenteil, so Agamben,

    "auch der Engel, der die Lobeshymne schreit, ist aufgrund seiner zweifachen, zugleich kontemplativen und administrierenden Natur wesentlicher Teil der providentiellen Maschine der göttlichen Weltregierung."

    Die ranghöchsten Engel loben Gott unablässig in ihren Hymnen, so dass diese Hymnologie den Hintergrund der himmlischen Regierungstätigkeit ausmacht. Die hierarchische himmlische Ordnung der Engel verleiht der irdischen staatlichen eine höhere Weihe, jedenfalls wenn die Religion in der Politik wiederkehrt. In diesem Sinne präsentieren sich gerade die höchsten Engel in ihrer hymnischen Verehrung Gottes als die Vorbilder für die Menschen, Gott und den Staat zu preisen und nicht zu kritisieren:

    "Die verzückten Chöre, die im Himmel die ewige Herrlichkeit Gottes besingen, sind nichts anderes als der zeremonielle und liturgische Widerpart der fleißigen geflügelten Beamten, die auf der Erde die 'historischen' Verfügungen der Vorsehungen vollstrecken."

    Der bürokratischen als der göttlichen Ordnung sollen sich die Menschen fügen. Aber wenn die bürokratischen Mühlen, wie es Franz Kafkas Romane vorführen, zu langsam mahlen? Nun, wir werden jedenfalls dabei medial intensiv unterhalten und könnten beinahe meinen, wir wären schon im Paradies. Denn was tun die Engel nach dem jüngsten Gericht? Mit dieser Frage beschäftigt sich Thomas von Aquin sehr ernsthaft. Braucht man dann keine Engel im Außendienst mehr?

    "Das Reich, das nun anbricht, ist sozusagen bar jeder Regierung. Doch ist ein Reich ohne Regierung überhaupt denkbar? Um dieser Aporie zu begegnen, vervielfacht Thomas seine Unterscheidungen. Es geht um nichts Geringeres, als die Hierarchie von ihrer Funktion zu trennen, um ein Überleben der Macht auch nach dem Ende ihrer Ausübung denken zu können."

    Aber wie lässt sich nach dem jüngsten Gericht ein untätiger Gott vorstellen? Nun, es bleiben ja noch die Verdammten, die in der Hölle eine Ewigkeit lang leiden müssen. Also wird ein Teil der Engel sicherlich noch als Höllenwärter gebraucht. Zudem ergibt sich daraus auch eine Aufgabe für kontemplative Engel und die Menschen im Himmel, nämlich als Zuschauer des Höllenspektakels, so Thomas von Aquin.

    "dass es den Heiligen, 'damit ihre Seligkeit noch erfreulicher wird (...) verliehen ist, die Strafe der Gottlosen vollkommen zu schauen.'"

    Und dieser Horrorfilm erregt bei den himmlischen Zuschauern nicht mal nach einer gewissen Weile ein bisschen Mitleid, nein, sondern eine Ewigkeit lang Vergnügen an der Strafe der Verdammten. Marquis des Sade lässt grüßen! Oder sollten wir angesichts der uns überall medial präsentierten Gewalt etwa schon im Himmel sein? Aber die Religion kommt ja gerade erst wieder. Im Himmel müsste sie ja längst da sein.


    Giorgio Agamben: Die Beamten des Himmels - Über Engel
    gefolgt von der Angelologie des Thomas von Aquin
    Frankfurt/M., Leipzig 2007
    Verlag der Weltreligionen
    153 Seiten, hardcover