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"Von Körpern und anderen Dingen"

Geradezu hilflos wirkt die Körperhaltung der antiken Statue, die, mit dem Rücken halb dem Betrachter zugewandt, auf einer leichten Anhöhe vor einem horizontweiten Ruinenfeld steht. Ihr Kopf und ihre Hände sind abgeschlagen, das schön herausgearbeitete Gewand ist von kleinen Wunden bedeckt. Diese Fotografie mit strengen Konturen in Schwarzweiß stammt allerdings nicht aus einer zerstörten Stadt in den ersten Tagen nach dem zweiten Weltkrieg. Herbert List, der die Antikenfotografie seinerzeit zu einer neuen, geradezu meditativen Kunstform erhob, hat den "Torso einer Gewandfigur" bereits 1936 in Korinth aufgenommen. Das Bild wirkt allerdings dennoch wie ein Orakel, insbesondere im Rahmen dieser Ausstellung mit ihren über dreihundertfünfzig Fotografien von 54 Künstlern, in denen es immer wieder mehr oder weniger um die Frage geht, wie sich das Bild des fotografierten Körpers im 20. Jahrhundert verändert hat.

Carsten Probst |
    Ausgeschlossen sind allerdings alle Arten sogenannter Gebrauchsfotografie: Klaus Honnef und Gabriele Honnef-Harling, die beiden Kuratoren, reklamieren diese nicht immer ganz unheikle Unterscheidung für diese Schau ganz selbstverständlich. Es geht um kunsthistorisch relevante Fotografie, um "Ikonen" des Körperlichen, wie man ganz freimütig, vielleicht sogar mit leichter Ironie formuliert. Das begreift zwar durchaus den gebürtigen Berliner Helmut Newton seine Big Nudes oder F.C. Gundlachs Modefotografie mit ein. Auch erweitert man den Kreis hin und wieder gern um die Architekturfotografie, weil Gebäude schließlich auch etwas mit Körpern, mit Leben und Wohnen, mit körpergemäßen Proportionen zu tun haben. Aber die Straßenfotografie etwa einer Sybille Bergemann oder die Porträts einer Helga Paris, um nur wenige Beispiele zu nennen, fallen offenkundig durch das Kunst-Raster und gelten womöglich als "Reportagefotografie". Vielleicht treffen sie auch einfach nicht den Geschmack der Honnefs, was insofern bedauerlich wäre, als diese Ausstellung primär dafür konzipiert ist, die deutsche Körperfotografie des 20. Jahrhunderts im Ausland zu präsentieren, in Prag zum Beispiel oder in Moskau.

    Die Frage nach den Kriterien also, was in der Fotografie als Kunst und was als Nicht-Kunst zu betrachten ist, hätte man sich um einiges präziser gelöst vorstellen können. Gleichwohl gelingt es den Kuratoren hin und wieder, elementare Entwicklungen in der Fotografie herauszuarbeiten. Herbert Lists antike Torsi lassen noch Verehrung und Idealisierung des antikischen Körperbildes nachklingen, das die europäische, vor allem auch die deutsche Fotografie bis zum ersten Weltkrieg ausgeprägt hat. Die edle Entstelltheit der Statuen kündet jedoch auch vom radikalen Bruch mit diesem Ideal nach 1918, als die massiven psychischen Auswirkungen der Kriegsniederlage, der Anblick von Kriegstoten und entstellten Soldatenkörpern sich auch im fotografierten Körperbild spiegelten.

    Der antike Körper ist noch ahnbar in seiner Grazie, doch verstümmelt und zerschnitten: Noch im selben Jahr, in dem Herbert List in Korinth oder Delphi fotografiert, hält der Kult einer neuen gestählten Körperlichkeit in Deutschland Einzug: in den Aufnahmen von Leni Riefenstahl zur Berliner Olympiade von 1936. Der Barberinische Faun, aus den Möchtegern-Propyläen Leo von Klenzes am Münchner Königsplatz, wird hier suggestiv dem Reigen nackter junger Athletinnen gegenübergestellt. Max Ehlert formt aus der Masse gestählter Körper die grandiosen Aufmarschformationen der NSDAP-Parteitage in Nürnberg. Wenige Jahre später fotografiert Herbert Tobias schonungslos die Soldaten im russischen Bunker-Elend. Nur noch flüchtige Reflexe auf die untergegangenen Ideale der abendländischen Zivilisation finden sich in Arno Jansens Aufnahmen vom Pariser Friedhof Montmartre von 1979, auf denen in verwitterten Grabnischen zerstörte Zitate antiker Trauerskulpturen kauern. Bei Floris Neusüss schließlich verschwinden die antiken Silhouetten im Off der Negativbelichtung oder, wie bei Candida Höfer, in Depots von Museen. An die Stelle des Idealen treten die flirrenden, oft ortlos wirkenden Realitäten der Becher-Schule oder von Wolfgangs Tillmans, der ironische Ästhetiszismus der Massen- und Großformate wie bei Andreas Gursky oder der Tanz um eine entfesselte Selbstbezogenheit wie bei Annette Frick oder Thomas Florschuetz.

    Insgesamt bietet die Ausstellung immer wieder Ungesehenes, kleine Überraschungen in den Konfrontationen und bestätigt auf fast beiläufige Weise auch den führenden Rang, den zeitgenössische Fotografie aus Deutschland auch international innehat. Das Bestreben, alles mit allem zu verbinden, Herlinde Koelbl und Michael Ruetz mit den Blumes und Nothelfers zusammenzubringen oder in eine Linie mit Moholy-Nagy zu stellen, gibt ihr allerdings einen Touch von Beliebigkeit, die trotz aller anderslautenden Unterstellungen ganz so ausgeprägt nun doch nicht für die zeitgenössische Fotografie in Deutschland zu akzeptieren ist.