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Von Krönungen und Kniefällen

Rituale und Symbole der Macht werden bis heute eingesetzt: Sei es eine Krönungszeremonie, die Eröffnung eines Parlaments oder der Händedruck zweier Politiker vor den Fernsehkameras. Die Ausstellung "Spektakel der Macht" in Magdeburg zeigt diese Macht-Rituale - aus dem späten Mittelalter bis in die Neuzeit.

Von Christiane Raasch |
    Wenn ein Papst gewählt, ein König gekrönt oder ein Parlament eröffnet wird, geschieht das in feierlicher Atmosphäre mit ganz bestimmten Ritualen. So war es immer schon. Im späten Mittelalter und in der Vormoderne, der Zeit bis 1800, hießen solche Demonstrationen von Macht nicht "Rituale", sondern "Solennitäten" oder "Spectacula". "Spektakel der Macht" ist der Name einer Ausstellung, die am Sonntag im Kulturhistorischen Museum in Magdeburg eröffnet wurde. Christiane Raasch sprach mit zwei Mitarbeiterinnen aus einer Forschungsgruppe der Wilhelms Universität Münster, deren wissenschaftliche Arbeit die Grundlagen für diese einzigartige Ausstellung sind:

    "Mit "Spektakel der Macht" meinen wir Rituale, Herrschaftsrituale, also feierliche, förmliche Akte mit denen jemand in eine Position, in einen Status eingesetzt wird, und damit gewissermaßen sich selbst verwandelt in jemand anders."

    Professorin Dr. Barbara Stollberg-Rilinger von der Universität Münster. Sie lehrt Geschichte der frühen Neuzeit und ist Mitarbeiterin des Sonderforschungsbereiches "Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme vom Mittelalter bis zur Französischen Revolution". Im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit gab es eine gemeinsame Kultur der Rituale, 250 Ausstellungsstücke zeugen davon. So fanden etwa Königskrönungen immer mit großem Pomp statt. Ob im späten Mittelalter oder in der frühen Neuzeit, immer galt es, die Macht des Amtes sichtbar zu machen:
    "Man erkennt natürlich Macht vor allem an materiellem Aufwand. Das heißt, in der Vormoderne musste ein König mit ungeheurer Pracht mit Gold, Glanz und so weiter sich inszenieren."

    Der König zeigte Prunk und Pracht aber er brauchte bei diesem Ritual seiner Krönung auch die Zuschauer. Denn wer zugegen war, bekundete damit seine Zustimmung zu seiner Einsetzung. Seine neue Macht wurde durch die Zuschauer öffentlich anerkannt. So erhielt das Ereignis eine gesellschaftliche Verbindlichkeit. In der Ausstellung "Spektakel der Macht" ist das Gemälde von der Krönung Josefs des II. zum römischen König zu sehen. Martin van Meytens hat es um 1765 gemalt. Es zeigt den Moment in dem der Mainzer Erzbischof Josef dem II. die Krone auf den Kopf setzt. Das geschah im Frankfurter Dom. Dicht an dicht drängen sich die Zuschauer im unteren Teil des Bildes um die Empore mit dem Bischof und dem knienden Herrscher. Die hohe Domkuppel, die weit über die Anwesenden hinaufragt, die fast zweidrittel des Bildes füllt, weist den Betrachter auch darauf hin, dass die neue Macht nicht von den Menschen, sondern von Gott kommt. Das Gemälde sollte zudem den Zeitgenossen, die bei der Zeremonie nicht dabei waren, beweisen, dass die Krönung wirklich stattgefunden hat.

    In der Ständegesellschaft der Vormoderne gab es auf allen Ebenen der gesellschaftlichen Ordnung ganz parallele Herrschaftsrituale, sagt Barbara Stollberg-Rilinger, die sich in ihrer äußeren Form sehr ähnelten. Kirche, Königshof, Stadt und Universität, überall wurde Herrschaft ausgeübt, Macht demonstriert. Ein Beispiel: Promotionsfeiern in der Vormoderne.

    "Da wird ja jemand in einen neuen Status versetzt, verändert seinen Stand. Und das sah eben so aus, dass eine feierliche Prozession stattfand zur Kirche. Dann fand eben das eigentliche Ritual in der Universität statt, wobei der Doktorand auf eine Bühne ans Katheter geführt wurde, er musste einen Eid sprechen."

    Zu den Ritualen einer Einsetzung in ein Amt, gehörten auch die Insignien, die Kennzeichen, der neuen Macht, auch bei der Promotionsfeier:

    "Das waren Doktorhut, Doktorring, dann ein offenes und ein geschlossenes Buch, zum Zeichen seiner Gelehrsamkeit. Und damit wurde ihm angezeigt, dass er seinen Stand verändert, dass er jemand anderes wurde."

    Die Ausstellungsmacher haben Exponate aus ganz Europa zusammengebracht. Darunter so wertvolle Stücke, dass ihre Versicherungssummen mehrere Millionen Euro betragen. Kunsthistorikerin Dr. Jutta Goetzmann:

    "Wir haben also in der Auswahl der Exponate ein sehr breites Spektrum von hochmittelalterlichen Elfenbein-Krümmen, Bischofskrümmen, über dreidimensionale Ausstellungsstücke wie beispielsweise den Reisethron oder das Faldistorium für die Bischofsweihe. Das ist ein Faltstuhl, den der bei liturgischen Zeremonien verwandt worden ist und das Exponat, das wir jetzt ausgewählt haben, das ist Bestandteil gewesen des Limburger Domschatzes."

    Eine andere Kostbarkeit kommt aus Cambridge in England. Sie ist das erste Mal auf dem europäischen Festland zu sehen:

    "Eine wunderbare Pergamentrolle, die eine Prozession zeigt, Heinrich der VIII., der zur Parlaments Eröffnung einzieht. Und diese Pergamentrolle hat einen Umfang, eine Länge von sieben Metern. Das ist ein Aquarell, ein Pergament mit Aquarell."

    Neben den Gemälden über Einsetzungen oder andere feierliche Akte, neben den dinglichen Zeichen von Macht wie Krone, Zepter oder Bischofsstab, den Insignien, gibt es auch eine Art eigene "Sprache" der Rituale. Damit ist gemeint, dass die in Ritualen benutzten Gesten, Gebärden, Gegenstände und Kleidungsstücke Sinn transportieren, wie die Wörter einer Sprache. Ein Beispiel für ein nonverbales Ritual ist der Kuss. Barbara Stollberg-Rilinger:

    "Also, dass ein Kuss ein Zeichen von Frieden, von Zuneigung und so weiter ist, dürfte wahrscheinlich in allen Kulturen geläufig sein, aber die werden natürlich in verschiedenen Kulturen ganz verschieden eingesetzt. Und es ergibt sich dann aus dem jeweiligen Kontext, aus der Frage, wer die vollzieht. Wohin wird geküsst, auf die Hand auf den Mund, auf die Wange, auf den Fuß?"

    Die Historikerin benennt zwei ganz unterschiedliche Verwendungsweisen des Rituals "Küssen". Zuerst das Küssen eines Bischofsrings:

    "Zum einen hat man beim Küssen des Bischofsrings natürlich eine asymmetrische Beziehung. Das Küssen des Rings bedeutet natürlich ein Verehrungsgeste - und des Rings und nicht der Hand, bedeutet eine Verehrung der Institution und nicht der Person."

    Das zweite Beispiel für einen rituellen Kuss ist der sogenannte "sozialistische Bruderkuss:

    "Beim sozialistischen Bruderkuss hat man eine Geste der Symmetrie, der Gleichheit zwischen den beiden Küssenden, die sozusagen in die Moderne hinübergerettet worden ist, und die aber, denke ich, auch zeigt, wie man in unterschiedlichen kulturellen Kontexten das unterschiedlich wahrnimmt. Was im Sozialismus gang und gäbe war, wurde gleichzeitig hier im Westen natürlich als ungeheuer lächerlich empfunden."

    Rituale der Macht aus dem späten Mittelalter bis in die Neuzeit, bis 1800, das ist das Hauptthema der Ausstellung "Spektakel der Macht" in Magdeburg. Doch Rituale der Macht gab es natürlich auch nach 1800, auch nach der Französische Revolution, die die alte gesellschaftliche Ordnung in Mitteleuropa erschüttert und verändert hatte. Rituale sind auch aus dem modernen Leben nicht wegzudenken. Das kann man in einem Raum der Ausstellung sehen, in dem Wochen- und Tagesschauen aus der Jetztzeit zu sehen sind. Auch ein Foto aus dem Jahr 1970 ist ausgestellt. Es zeigt den Kniefall Willy Brandts in Warschau am Denkmal für die Opfer des Warschauer Ghettoaufstandes:

    "Das ist eine universelle Geste der Selbsterniedrigung, die hier - möglicher Weise spontan, möglicher Weise auch inszeniert, das ist ja bis heute umstritten - eingesetzt wurde, vor dem Hintergrund einer ganz, ganz langen Tradition solcher Fußfälle, die es eben im Mittelalter und in der frühen Neuzeit in allen möglichen Kontexten gab, und auf diese Grundvokabel konnte Willy Brandt vertrauen, dass die jeder Mann verstehen würde."