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Von sanftmütigen Madonnen und Göttinnen

Sandro Botticelli war einer der ganz Großen. Seit etwa 1470 betrieb er eine eigene Werkstatt. Bekannt wurde er als Freskenmaler in der Sixtinischen Kapelle. Wer Frank Zöllners Monografie endlich aus der Hand legt, weiß, Botticellis künstlerische Leistung zu würden. Exquisite Farbabbildungen sowie das bislang ausführlichste Werkverzeichnis des Malers runden das Grundlagenwerk ab.

Von Martina Wehlte | 07.12.2005
    Mit dem Namen Sandro Botticellis verbindet sich die Vorstellung von sanftmütigen Madonnen und Göttinnen, die immer ein wenig gedankenverloren und durchaus nicht von dieser Welt zu sein scheinen. Schön und grazil sind sie, aber nicht von warmem Leben durchpulst, wie ja auch Botticellis markante Porträts der Florentiner Adeligen, zumal der männlichen, von einer physiognomischen Strenge und geistigen Klarheit gekennzeichnet sind, die ihnen etwas Unnahbares, fast Stilllebenhaftes verleiht.

    Wie erstaunlich anziehend wirkt demgegenüber der Kopf des schlafenden jungen Mannes auf dem Einband von Frank Zöllners opulenter Monographie des italienischen Malers. Es ist ein Ausschnitt aus Botticellis berühmtem Gemälde "Mars und Venus" in der Londoner National Gallery. Und was dieser Ausschnitt verspricht - der halb geöffnete Mund, die entspannten Gesichtszüge, die von dichten braunen Locken umrahmt sind -, das hält die Gesamtansicht des makellosen Körpers. Kaum je ist ein Mann mit größerer sinnlicher Ausstrahlung gemalt worden. In stiller Betrachtung sitzt Venus ihm gegenüber, während einige Satyrn mit Waffen und Rüstung des Kriegsgottes spielen.

    Die Komposition entstand um 1487/88 als Auftragsarbeit anlässlich der Hochzeit von Jacopo di Giovanni Salviati mit Lucrezia, der ältesten Tochter Lorenzo de Medicis. Das Hochzeitsarrangement war politisch motiviert und zielte auf einen Ausgleich der gegnerischen Familien, von denen die Salviatis an einer Verschwörung beteiligt gewesen waren. Das dürfte den Maler zu seiner Interpretation des literarisch damals gängigen Themas vom mutigen und tapferen, aber unberechenbaren Mars und der sanften, durch die Liebe bezwingenden Venus veranlasst haben. Völlig neu an diesem Gemälde ist nämlich, dass Venus bekleidet ist, Mars aber nackt bis auf ein Lendentuch und hingegossen wie eine der großen Verführerinnen späterer Jahrhunderte. Dieser Rollentausch spiegelt zum einen den höheren gesellschaftlichen Status Lucrezias de Medici gegenüber ihrem Gemahl.

    Zum anderen bietet er eine Identifikationsfigur für die keusche Braut, was als Bildschmuck in einer hölzernen Wandverkleidung, einer "spalliera", oder als "lettuccio"-Bild oberhalb des Bettes wohl passend erschien. Doch Vorsicht! Zu den interessantesten und zugleich gefährlichsten Eigenschaften der antiken Göttergeschichten zählt deren Vieldeutigkeit, warnt Frank Zöllner. Die schalkhaften Satyrn, die für Triebhaftigkeit und Lust stehen, sind im Begriff den Schlummernden zu wecken. Und die hohe erotische Spannung zwischen Gott und Göttin ruft uns ins Gedächtnis, dass Venus ja die Gemahlin des Vulkan und Mars ihr Liebhaber war!

    Der Deutungsgehalt, ja die Vieldeutigkeit der Gemälde Botticellis, von denen das genannte sicher zu den leichter verständlichen gehört, erschließt sich dem heutigen Betrachter nicht mehr ohne weiteres. So ist es kein geringes Verdienst Frank Zöllners, dass er an den Schlüsselwerken dieses Renaissancekünstlers Konnotationszusammenhänge aufzeigt, die uns nicht mehr gewärtig sind.

    Wissenschaftlich gesehen liegt der Hauptwert seiner Monographie in dem bislang ausführlichsten Werkverzeichnis des Malers, das den aktuellen Wissensstand zum Oeuvre dokumentiert. Mit exquisiten Farbabbildungen und nirgends sonst verfügbaren Detailaufnahmen versehen, ist somit ein Grundlagenwerk entstanden, das seinen Verfasser als profunden Kenner der Materie ausweist und für lange Zeit Bestand haben wird. Zöllner vertritt einen sozial- und gattungsgeschichtlichen Untersuchungsansatz, nach dem auch sein darstellender Text in neun Kapiteln strukturiert ist. So lässt sich zum einen die Bildpolitik der Medici, der Hauptauftraggeber des Florentiner Malers, erkennen, zum anderen das innovative Potential des Meisters, das ihm zum herausragenden italienischen Künstler der Frührenaissance machte und seine nachhaltige Wirkung in der Kunstgeschichte begründet. Er gilt als "Erfinder" der mythologischen Gemälde, deren Stoffe er aus literarischen Quellen oder von Sarkophagreliefs übernahm. Und in seiner "Ankunft der Venus" schuf er um 1490 den ersten lebensgroßen Akt in der Malerei.

    Einen Boticelli - das heißt "Fässchen", sein richtiger Name war Alessandro Filipepi -, einen Botticelli also, erkennt das geübte Auge gut. Allein sein Figurentypus ist einzigartig: der zeichnerische Stil mit den klaren Umrisslinien, die Plastizität der ruhigen, weitgehend emotionslosen Gesichter mit ihren elegant geschwungenen Augenbrauen und dem scharfen Nasengrat. Hier wie im zentralperspektivischen Aufbau und in der differenzierteren Auffassung des Raumes bildet sich schon im Frühwerk ein Personalstil heraus, mit dem er sich von seinem Lehrer Filippo Lippi bald absetzt. Seit etwa 1470 betreibt Botticelli eine eigene Werkstatt im väterlichen Haus und wir lernen ihn bei Zöllner als hoch angesehenen Florentiner Porträtisten kennen, als Freskenmaler in der Sixtinischen Kapelle und, in einem zentralen Kapitel, als Inszenator der grausamen Geschichte um Nastagio und Anastagio aus dem "Dekameron". Er schuf die Entwürfe für die vier Tafelbilder, die - nach heutigem Forschungsstand - von seiner Werkstatt ausgeführt wurden. Schließlich in den neunziger Jahren des Quattrocento sein Stilpluralismus, der beispielsweise zu gravierenden Maßstabunterschieden in seinen Gemälden führte, womit er eine innerbildliche Spannung und einen gesteigerten unmittelbaren Ausdruck in der Bildaussage erzielen wollte.

    Ja, Sandro Botticelli war einer der ganz Großen; wer die Monografie endlich aus der Hand legt, weiß das. Und deshalb ist zu wünschen, dass der Prachtband seinen Weg nicht nur in Fachbibliotheken findet.

    Frank Zöllner: "Sandro Botticelli"
    Eine Biographie des Künstlers
    Prestel Verlag, München