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Von Schröder zu Müntefering:

Am Sonntag hat es auf dem SPD-Sonderparteitag in Berlin den Stafettenwechsel an der Spitze der Sozialdemokraten gegeben: beim Parteichef von Gerhard Schröder zu Franz Müntefering. Und eine Klasse tiefer: beim Generalsekretär von Olaf Scholz zu Klaus-Uwe Benneter. Von dem neuen Spitzenduo der SPD, von "Münte" und "Benni", wie sie von ihren Anhängern genannt werden, erwarten die Genossen nun wahre Wunder: Sie sollen den Mitgliederschwund stoppen, die Partei aus ihrer Lethargie wachrütteln, den Schulterschluss mit den Gewerkschaften wieder herstellen, die Agenda 2010 als nicht nur notwendige, sondern erfolgreiche Politik vermitteln, die SPD aus ihrem wohl größten Stimmungstief in der Geschichte der Bundesrepublik herausholen und schließlich wieder Wahlen gewinnen. Hohe Erwartungen. Der frühere Parteivorsitzende Hans-Jochen Vogel glaubt, dass sie erfüllt werden können:

Von Gode Japs und Frank Capellan |
    Vergesst nie, diese Partei hat schon schwerere Stürme durchgestanden, schwerere Proben bestanden. Und vielleicht darf ich Dich jetzt einmal zitieren, lieber Franz, aber etwas ausführlicher als Du das in Bochum gesagt hast: Franz Müntefering ist gut, Gerhard Schröder ist gut, Benneter wird auch gut (Gelächter), die deutsche Sozialdemokratie wird wieder gut und unser Land, unser Deutschland, muss auch in Zukunft gut bleiben. Ich danke euch.

    Der neue Parteivorsitzende Franz Müntefering hat einen Riesen-Vertrauensvorschuss von den Parteitagsdelegierten bekommen. Vor drei Stunden gab die Vorsitzende der Wahlkommission das Ergebnis bekannt:

    Es gab eine Enthaltung, 22-Nein- und 448-Ja.(Anhaltender Beifall)Das bedeutet eine Zustimmung in 95,11 Prozent. (Beifall)

    Von Müntefering erwartet man, dass er sich mehr als Gerhard Schröder um die SPD kümmern kann. Mit ihm kann sich – so die Überlegung der SPD-Parteistrategen – die Partei wieder identifizieren. Müntefering ist – anders als Schröder – der Mann mit dem richtigen Stallgeruch, "einer von uns", er steht gleichermaßen für die alte und neue SPD, für Tradition und Moderne. Der scheidende Parteichef Gerhard Schröder meinte denn auch:

    Franz ist für dieses Amt der Beste, den wir für unsere Partei bekommen können. (Beifall) Und ich bin sicher, die Arbeitsteilung wird zu mehr Geschlossenheit und als Folgen dessen zu neuer Stärke führen.

    Über den neuen Parteivorsitzenden ein Porträt von Frank Capellan:

    Franz Müntefering, auf dem Gipfel seiner Macht – vielleicht – denn nicht wenige trauen ihm auch noch die Kanzlerschaft zu, sollte Schröder irgendwann die Brocken schmeißen. "Das Originelle an mir ist, dass ich überhaupt nicht originell bin",sagt er und straft sich immer wieder selbst Lügen:

    Das ist das schönste Amt neben dem Papst, Vorsitzender der SPD zu sein.

    Müntefering erfüllt das Bild vom treuen Parteisoldaten, einer der von ganz unten kommt, sich hochgearbeitet hat durch den Parteiapparat. Mit 26 tritt er in die SPD ein, kurz darauf in die IG Metall – bis 1975 ist er kaufmännischer Angestellter in einem mittelständischen Betrieb der metallverarbeitenden Industrie. Dann Mitglied des Bundestages, Sprecher für Wohnungsbau bis 1992:

    Es gibt Spätzünder und Frühzünder, und das hat auch seine Vorteile.

    Müntefering, der Spätzünder. "Die Zeit der 68er ist vorbei, jetzt kommen die 64er!" erklärte er kürzlich vor Journalisten:

    Wenn ich Ihre Zeitung lese, und da steht immer 'ne Klammer, da steht 64 dahinter, Klammer zu - da denke ich, wieso schreiben Sie das dazu, muss ja nicht sein. Ich fühle mich gar nicht so alt. Also lassen Sie’s weg, Sie müssen das nicht weiter verbreiten!

    Zwar hat er schon als Vorsitzender des mächtigen SPD-Bezirks Westliches Westfalen großen Einfluss, bundesweit aber wird Müntefering erst bekannt, als ihn SPD-Chef Scharping im Oktober 95 zum Bundesgeschäftsführer macht:

    Meine Parole: Mundwinkel hoch und Ärmel hochgekrempelt - es geht um viel.

    Mitglieder werben, die Partei stärken, die Außendarstellung der SPD verbessern – das macht er schon damals zu seinem Motto. Später organisiert er erfolgreich den Wechsel zu Rot-grün, als Bauminister unter Schröder ist er zuständig für den Regierungsumzug, doch schon nach einem Jahr wird er im eigenen SPD-Haus gebraucht: Nach einer Serie von Wahlniederlagen wird das Amt eines Generalsekretärs geschaffen, Müntefering am 7. Dezember 1999 mit fast 95 Prozent der Stimmen gewählt. Damit ist er schon damals das, was er von heute an auch als Parteivorsitzender sein soll: der "Seelendoktor der Genossen". Müntefering, der Mittler - zumindest verbal scheint er den unbequemen Reformen Schröders ihre Schärfe nehmen zu wollen:

    Was errungen ist über Jahrzehnte, kann nicht verlorengehen, nämlich dass die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer sich in gleicher Augenhöhe begegnen müssen. Keiner Herr, keiner Sklave, heuern und feuern darf nicht an der Tagesordnung sein.

    Später sagt Müntefering häufiger, auch er habe lernen müssen, dass sich schmerzliche Einschnitte am Sozialstaat, Kürzungen bei Arbeitslosen-, Krankengeld oder Rente nicht verhindern lassen. Wenn einem an der Parteispitze das abgenommen wird, dann ist es Franz Müntefering.

    Er hat diesen Stallgeruch, den die Partei liebt. Er ist geradeheraus... Herr Müntefering hat zumindest das Herz auf der richtigen Seite sitzen. Er kann sich bei den kleinen Leuten wahrscheinlich besser artikulieren als der Schröder... Er ist die Persönlichkeit, die die Partei geschlossen hinter die Entscheidungen der Regierung bringen kann...

    Dass Müntefering ein verlässlicher Partner Schröders ist, hat er oft genug bewiesen. Im September 2001 etwa, als der Generalsekretär bei der Abstimmung über den Mazedonien-Einsatz der Bundeswehr den Nein-Sagern in der Fraktion mit schlechten Listenplätzen für die Bundestagswahl droht.

    Zur parlamentarischen Demokratie gehört, dass da nicht lauter freie Unternehmer im Deutschen Bundestag sitzen, sondern dass man die Bundesregierung dann auch gemeinsam fragen muss...

    Oder im April vergangenen Jahres, als er – mittlerweile auf dem Posten des Fraktionsvorsitzenden – die Abweichler der Agenda 2010 in die Schranken weist:

    Wir müssen alle miteinander verstehen, dass die Rahmenbedingungen so sind, dass man nicht einfach festhalten kann an dem, was ist.

    Frank Capellan über Müntefering. Gerd Schröder fiel der Abschied vom Parteivorsitz sichtlich schwer – nachdem er dieses Amt fünf Jahre inne hatte:

    Mir fällt der Abschied vom Vorsitz unserer Partei nicht leicht. In der Nachfolge von August Bebel und Willy Brandt zu stehen, das war für miche eine große Ehre, und ich habe es auch als eine Verpflichtung verstanden und so gut zu machen versucht, wie ich’s konnte. Ja, ich kann sagen, und ich möchte, dass Sie das wissen, ich war stolz darauf, Vorsitzender dieser großen, ältesten demokratischen Partei Deutschlands sein zu dürfen.

    Und Hans Jochen Vogel zollte dem scheidenden Vorsitzenden Respekt:

    Es ist nicht alltäglich, dass jemand sich um der Sache der gemeinsamen Ziele wegen in der Art und Weise selbst zurücknimmt, wie Du das mit Deiner Entscheidung getan hast.

    Das neue Spitzen-Duo wird sich verstärkt der SPD zuwenden, durch die SPD-Bezirke und Landesverbände touren, durch die Kreisverbände tingeln, mit den Hauptamtlichen vor Ort sprechen, Mitglieder-Dialoge organisieren. Haben die Partei-Oberen doch die Vermittlung ihrer Politik als das Hauptproblem ausgemacht. Das soll jetzt anders werden. Klaus-Uwe Benneter:

    Solltet Ihr mir Euer Vertrauen schenken, werde ich als Generalsekratär nutzen, den Dialog in der Partei zu stärken. Ich komme in die Landesverbände und Bezirke und werde unsere Politik verständlich machen. Und ich werde zuhören, was Euch unter den Nägeln brennt. Ich will der Generalsekretär der Partei sein.

    Eines wurde heute in Berlin deutlich: Das Reformtempo wird nicht gebremst. Auch nicht das Ausmaß der Reformen reduziert. Im Gegenteil: eher noch beschleunigt und ausgeweitet. An dem mit der Agenda 2010 eingeleiteten Kurs wird festgehalten. Die Staatsinteressen stehen über den Parteiinteressen. Darin waren sich Schröder und Müntefering einig:

    Wir halten Kurs. Was beschlossen ist, wird nicht verändert. Wir werden den Weg, den wir mit der Agenda 2010 eingeschlagen haben, gemeinsam konsequent weitergehen. Denn wir wissen, diese Reformen sind notwendig, und wir haben dafür gesorgt und werden das weiter tun, dass sie unserer sozialdemokratischen Leitlinie folgen, und die heißt Innovation und Gerechtigkeit.

    Wir müssen diese Politik gemeinsam hinbekommen. Ich will, wenn Ihr mich wählt, meinen Beitrag dazu leisten, dass soziale Gerechtigkeit und Wohlstand für alle heute und in Zukunft in Deutschland möglich ist. Dafür will ich werben, dafür will ich kämpfen.

    Und die Nummer eins in der Politik, die bleibt Bundeskanzler Gerhard Schröder. Daran ließ der neue Parteichef keinen Zweifel. Er sicherte dem Bundeskanzler die volle Unterstützung durch die Fraktion und durch die Partei zu. Ohne Frage: Mit dem Stabwechsel zu Franz Müntefering hat Gerhard Schröder ein Stück Macht abgegeben. Und da wurde am Rande des Parteitags immer wieder die Frage aufgeworfen: War Schröders Rücktritt vom Parteivorsitz nur ein erster Schritt? Bereitet er sich auf einen vollständigen Rückzug vor? Müntefering wischte diese Spekulationen vom Tisch:

    Und Du wirst Kanzler der Bundesrepublik Deutschland sein, und alles, was ich dafür tun kann, weit über das Jahr 2006 hinaus - Doris stimm zu.

    Mit der Ausbildungsplatzabgabe – seit vielen Jahren von der Parteilinken und den Gewerkschaften gefordert – will Franz Müntefering seine erste Duftmarke als Parteivorsitzender setzen – unter dem Motto:

    Kein junger Mann, keine junge Frau von der Schulbank in die Arbeitslosigkeit! Das wollen wir erreichen, liebe Genossinnen und Genossen.

    Hier weiß er den Bundeskanzler auf seiner Seite:

    Aber es ist klar, wenn die Verpflichtungen zur Bereitstellung von Ausbildungsplätzen nicht erfüllt werden, dann müssen wir gesetzgeberisch handeln. Uns geht es nicht um ein Instrument, sondern uns geht es um das Ziel, jedem jungen Menschen einen Ausbildungsplatz zu ermöglichen.

    Die Lage der SPD war selten so mies wie heute. Allensbach prognostizierte diese Woche 23,8 Prozent. Die SPD seit Monaten in einem Umfrage-Dauertief. Da waren dann die Zahlen vom Polit-Barometer des ZDF vom letzten Freitag schon ein kleiner Hoffnungsschimmer. Die Sozialdemokraten legten erstmals wieder zu: von 25 auf 26 Prozent. Ist das vielleicht schon die von Müntefering erhoffte Trendwende? Ein leichtes Zeichen der Konsolidierung jedenfalls wurde auch schon in der SPD-Zentrale gesichtet: die Austrittswelle wurde gestoppt. Und die war besonders bitter: 130.000 Mitglieder hat die SPD verloren, seit Gerhard Schröder vor nunmehr fünf Jahren den Parteivorsitz von Oskar Lafontaine übernahm, der über Nacht alle seine Ämter geschmissen hatte.

    Woher dieser Aderlass bei SPD-Mitgliedern und Wählern? Nur einige Stichworte als Antwort: Gesundheitsreform, Renten-Nullrunde, Kürzungen beim Arbeitslosengeld und Lockerungen des Kündigungsschutzes. All das hat zum Vertrauensverlust geführt – neben schlechtem Handwerk und mangelnder Kommunikation. Diese Politik wird an der viel gerühmten Basis häufig als ungerecht empfunden. So ungerecht, dass zwei Tage vor diesem Parteitag, am vergangenen Freitag, eine Handvoll langgedienter SPD-Mitglieder und Gewerkschafter in Bayern ankündigte, sie würden eine Konkurrenzpartei gründen, wenn die SPD nicht endlich einen Kurswechsel einleite. Ihnen hielt die stellvertretende SPD-Vorsitzende Heidemarie Wieczorek-Zeul heute entgegen:

    Wer links neben der SPD splittern will, wird feststellen, dass er nur der Opposition hilft. Das haben wir in Frankreich ja erlebt!

    Die SPD wird eine klare Kante zum linken Rand ziehen, wo einige Abweichler eine neue Partei gründen wollen. Da wird sich der neue Generalsekretär Klaus-Uwe Benneter auch um Parteirausschmisse kümmern müssen. Und hier hat er eigene Erfahrung. Benneter, der heute mit fast 79 Prozent der Delegierten-Stimmen zum neuen Generalsekretär gewählt wurde, wird vorgestellt von Frank Capellan.

    Wovor sollen wir Angst haben? Wir zeigen ja gerade durch die Art und Weise unseres unverzüglichen Vorgehens, dass wir keine Angst haben.

    Nicht zaudern! Den Blick nach vorn richten! Als Klaus-Uwe Benneter Ende 2002 im Bundestag den Untersuchungsausschuss zum vermeintlichen Wahlbetrug der Bundesregierung übernimmt, kann er nicht ahnen, wie sehr diese Devise mit dem 21. März 2004 zu seinem Motto werden würde.

    Wir haben ja einen enormen Vertrauensverlust, dem werde ich mich natürlich zuerst widmen müssen.


    Ob er der Richtige ist, verspieltes Vertrauen zurück zu gewinnen, das muss sich zeigen. Zurückhaltender hätten die Reaktionen kaum sein können, als er am 7. Februar dem Vorstand präsentiert wird, Benneter – der Unbekannte:

    Die werden den kennenlernen, der wird das gut machen...

    ... versucht Franz Müntefering zu beruhigen. Ein Hinterbänkler, nicht einmal zwei Jahre im Parlament, ein Rechtsanwalt aus Zehlendorf, ein ehemaliger Berliner Kommunalpolitiker, der seinen Aufstieg nun wohl vor allem der Nähe zu Gerhard Schröder verdankt. Beide spielen nicht nur zusammen Tennis, sondern stehen sich politisch nah – seit vielen Jahrzehnten:

    Was Benni angeht, ist das mein Freund. Er ist es gewesen, und er ist es geblieben. Das ist nämlich unabhängig davon ,ob jemand in einer Partei ist oder nicht.

    Gerhard Schröder im Jahr 1979 in einem Monitor-Interview – der heutige Bundeskanzler als Juso-Chef. Dass er dies wurde, verdankt er Freund Benni. Ein paar Wochen lang steht auch Klaus-Uwe Benneter an der Spitze der Jungsozialisten, doch im April 1977 wird er abgesetzt, weil er Bündnisse mit den Kommunisten nicht ausschließt. Der Anhänger der Stamokap-Ideologie, der Idee eines "staatsmonopolistischen Kapitalismus" – Spitzname "Benni Bürgerschreck" - hatte die DKP zwar als Gegner, die Christdemokraten aber als Klassenfeind bezeichnet – Egon Bahr, damals SPD-Geschäftsführer, fordert ihn ultimativ auf, das zurückzunehmen. Benneter lehnt ab – der Juso-Vorsitzende am 26.April 1977 im Deutschlandfunk:

    Ich halte nichts von derartigen Ultimaten, und ich werde weder zurücktreten, noch werde ich etwas aus diesem Interview zurücknehmen, und ich wäre dankbar, wenn von Seiten der Parteiführung auch mal in Richtung der Fritz-Erler-Gesellschaft hier mal eine klare Stellung bezogen wird, und mit Leuten, die also unverhohlen mit CDU/CSU zusammenarbeiten - hier müssen wir immer nur feststellen, dass Herr Bahr die geradezu hofiert.

    Egon Bahr platzt daraufhin der Kragen – er leitet den Parteiausschluss ein. Benneter selbst gibt heute zu, nie für möglich gehalten zu haben, einmal dort zu landen, wo er seit heute steht:

    Es ist auch allen anderen Sozialdemokraten damals unter Strafe verboten gewesen, weiterhin mit mir gemeinsam aufzutreten. Deshalb war ich da eigentlich relativ schnell isoliert.

    Sein Wiedereintritt in die SPD 1983 wird möglich aufgrund der Fürsprache seines Freundes Schröder. Er, dessen Aufstieg begann, als die Karriere Benneters zunächst endet, holt ihn nun an die Spitze der Partei – ein spätes Dankeschön, so passt es ins Bild. Doch Schröder beharrt darauf: Franz Müntefering hat sich für Benneter entschieden:

    Es ist seine Entscheidung, seine alleinige gewesen, aber ich begrüße sie und unterstütze sie wirklich von Herzen.

    Benneter versteht sich als Mittler, sollte es zu Kontroversen darüber kommen, wer wirklich die Politik bestimmt: Kanzler Schröder oder Parteichef Müntefering:

    Wenn es irgendwann mal klemmen sollte, was natürlich nie auszuschließen ist, bei solchen zwei eigenen Persönlichkeiten, dann werde ich sicher auch alles tun, dass wir gleichschrittmäßig nach draußen gehen.


    Am Reformkurs wird nicht gerüttelt, aber er will den Kritikern deutlich machen, dass die SPD die sozial Schwachen nicht aus den Augen verliert:

    Die Ausbildungsumlage wird noch in diesem Monat im Parlament eingebracht werden. Für die Bürgerversicherung haben wir eine Arbeitsgruppe, und auch die Erbschaftsbesteuerung - das wollen wir praktisch umgesetzt sehen. Und das machen wir.

    FDP-Chef Guido Westerwelle glaubt, dass die Sozialdemokraten nun in eine andere Richtung marschieren werden:

    Glasklarer Linksruck - da hätte man auch Oskar Lafontaine zum Generalsekretär machen können, das wäre dasselbe gewesen.

    Er sei nicht mehr der Bürgerschreck von einst, hält der Neue entgegen, und ein bisschen kommt dabei sein Ärger darüber durch, dass mancher in ihm immer noch den alten Stamokap-Ideologen sieht:

    Wie die so von mir sprechen, die haben eben nicht mitbekommen, dass ich einem gutbürgerlichen Beruf als Anwalt und Notar nachgegangen bin. Und wenn man so für eigene Angestellte verantwortlich ist, dann kriegt man doch einen etwas anderen Blick für die Wirklichkeit, als Bürgerschreck.

    Die SPD befindet sich in einer tiefen Krise. Darüber herrschte Einigkeit in Berlin. Dass es mittlerweile für die SPD um die Regierungsfähigkeit geht, hat sich bei den meisten SPD-Politikern herumgesprochen. Und Franz Müntefering fügte hinzu:

    Ich will keine ruhige Partei, Kontroverse ist gut, Kompromiss, Entscheidungskraft ist aber auch gut, liebe Genossinen und Genossen. Wir brauchen neben der Bereitschaft, über die Dinge zu sprechen und Meinung zu bilden, das auszutragen, damit wir dann zu einer gemeinsamen Meinung kommen, auch die klare Vorstellung, das klare Bewusstsein, wenn dann entschieden ist, muss man auch geschlossen und entschlossen handeln. Anders ist Politik nicht möglich.

    Diese Mahnung zeigte bereits auf dem Sonderparteitag ihre Wirkung. So bemühten sich die Delegierten heute während der knapp fünfstündigen Konferenz, ein Bild von Einheit und Geschlossenheit zu demonstrieren. Selbst die rebellische SPD-Linke achtete heute den Burgfrieden. Man will die Regierungsverantwortung nicht verspielen. Noch einmal Franz Müntefering:

    Opposition gehört zur Demokratie dazu. Aber Opposition ist Mist, lasst das die anderen machen, wir wollen regieren!

    Und er endete seine Rede, für die sich die Delegierten mit fast vierminütigen stehenden Ovationen bedankten, mit den Worten:

    Politik ist angewandte Liebe zum Leben. Machen wir Politik, liebe Genossinnen und Genossen, für Deutschland, für die SPD! Herzliches Glückauf!