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Von wegen Schicht im Schacht

90 Prozent ihrer Stromversorgung beziehen die Polen aus Kohlekraftwerken. Die meisten Bergwerke und ein Großteil der Kraftwerke sind immer noch in staatlichem Besitz. Mit ganzer Kraft stemmt sich das Land deshalb auch gegen den unaufhaltsamen Untergang der Kohle.

Von Ernst Ludwig von Aster |
    "Pogotowie Strajkowe" – "Streikbereit" steht auf dem großen handgemalten Schild, das über dem Eingang zur Zeche Bobrek-Zentrum hängt. Doch keiner der Bergarbeiter blickt auf. Sie nicken kurz dem Pförtner zu, gehen dann zur Schicht.

    Marek Klementwoski sitzt 50 Meter weiter in einem Flachbau, an dem weithin sichtbar die "Solidarnosc"-Fahne hängt. Hinter dem großen Schreibtisch des Gewerkschafters hängen zwei Gemälde. In der Mitte glänzen zwei gekreuzte Säbel.

    "Hier habe ich unsere Nationalhelden: Josef Pilsudksi und Johannes Paul II. Und die Säbel daneben stehen für Energie und Kampfbereitschaft. Auch für unkonventionelle Lösungen, wenn es um die Gerechtigkeit geht."

    "Ich kämpfe hier in Bytom jeden Tag", sagt Klementowski. Für die polnische Kohle, für die mehr als 60.000 Kumpel hier im schlesischen Kohlerevier:

    "Zurzeit werden keine Zechen geschlossen. Die Bergwerke werden zusammengelegt, aber nicht geschlossen. Die Signale, die wir aus Warschau bekommen, zeigen aber, dass die Regierung gerne Stollen schließen möchte. Das ist für uns bedrohlich. Und darum müssen wir vorbereitet sein."

    Eigentlich wollten sie Mitte April demonstrieren. Aber dann kam die Staatstrauer nach dem Absturz der Präsidentenmaschine in Smolensk dazwischen. Statt vor der Zentrale des staatlichen Kohlekonzerns in Kattowice auf die Straße zu gehen, fuhr eine Delegation des Bergmann-Orchesters nach Warschau, spielte einen letzten Trauermarsch vor dem Präsidentenpalast. Jetzt aber geht der alltägliche Kampf weiter:

    "Zehn Millionen Tonnen Kohle wurden aus Russland importiert. Das ist doch unverantwortlich, das ist einfach eine schlechte Wirtschaftspolitik. Wenn ich in meinen heimischen Markt Rohstoffe einführe, dann ist das Sabotage."

    Klementowski blickt wütend. Mit der Kohle aus Russland, der Ukraine und aus China können die polnischen Kumpel kaum konkurrieren. Der Preisdruck aus dem Osten ist unerbittlich. Und im Westen machen die Klimapolitiker Druck. Die Selbstverpflichtung der EU, ihren Kohlendioxid-Ausstoß langfristig zu senken, die Ausgabe von und der Handel mit Verschmutzungszertifikaten – all das wird die Steinkohle langfristig erheblich verteuern.

    "Diese vermeintlich klugen Köpfe gehören doch nur zur Gas- und Atomkraft-Lobby. Die so tut, als ob sie sich um die Umwelt kümmert. Und wenn es um Atomkraft geht, dann sage ich nur: Vergesst Tschernobyl nicht."

    Trotzdem hat die polnische Regierung den Bau eines Atomkraftwerks beschlossen. Ab 2020 soll der Meiler Strom produzieren. Der stammt heute noch zu mehr als 90 Prozent aus Kohlekraftwerken.

    "In den letzten zehn Jahren wurde die Belegschaft hier um 50 Prozent reduziert", sagt Klementowski leise. Von 120.000 auf 60.000 Bergleute. Zechen wurden geschlossen, Bergwerke zusammengelegt, Kumpel auf andere Arbeitsstellen verteilt.

    "Ich habe 1981 angefangen, in der Zeche Barbara in Chorzow. 1986 wechselte ich in eine andere Zeche, die wurde 1998 von der Zeche Bobrek geschluckt. Vor fünf Jahren wurde Bobrek mit der Zeche hier zusammengelegt. Heute heißt diese Zeche Bobrek-Zentrum."

    Noch ist die staatliche polnische Kohle-Gesellschaft mit 16 Bergwerken und über 45 Millionen Tonnen Jahresförderung das größte Unternehmen Europas. Und einer der größten Arbeitgeber Polens. Klementowski verschränkt die Arme, blickt trotzig. Er wird alles dran setzen, dass das so bleibt. Denn auf eines konnte sich die Gewerkschaft bisher immer verlassen: Auf die Angst der Politiker in Warschau vor den Bergleuten aus Schlesien.

    "Wir sind gefürchtet, die Politiker haben Angst vor uns, wir sind die Branche mit der höchsten Streik- und Demonstrationsbereitschaft. Und wenn wir etwas ankündigen, dann tun wir es auch."