Donnerstag, 25. April 2024

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Vor 350 Jahren auf Kreta
Die längste Belagerung der Geschichte

120.000 Tote auf türkischer und 30.000 Tote auf venezianischer Seite: Die Kämpfe um Candia, das heutige Heraklion auf Kreta, waren im 17. Jahrhundert ein europäisches Medienereignis. Nach 21 Jahren endete am 4. September 1669 die längste Belagerung der Geschichte.*

Von Winfried Dolderer | 04.09.2019
    Heraklion auf Kreta, Stadttor, Foto um 1900
    Die Kapitulation der letzten Verteidiger beendete die längste Belagerung der Geschichte. Im Bild: Stadttor in Heraklion auf Kreta, Foto um 1900 (picture-alliance / akg-images)
    Fast bis zuletzt hatten die Verteidiger versucht, in der interessierten europäischen Öffentlichkeit Optimismus zu verbreiten.
    "Dieser Ort ist noch wohl versehen und wird täglich mit neuen Werken verstärkt, so dass sie mit Gottes gnädiger Hilfe dem allgemeinen Erbfeinde noch wohl resistieren können."
    So hatte Ende April 1669 ein deutscher Chronist die Nachrichten aus der belagerten Stadt zusammengefasst. Vier Monate später wehte die weiße Fahne über den zusammengeschossenen Festungswällen, und am 4. September 1669 war die Kapitulationsurkunde unterschriftsreif. Candia, die Hauptstadt Kretas, das heutige Heraklion, fiel an die Türken. Damit endete nach 21 Jahren die längste Belagerung der Geschichte, und es endeten auch viereinhalb Jahrhunderte der Herrschaft Venedigs über Kreta.
    Die Insel war der letzte größere Restposten eines venezianischen Übersee-Imperiums im östlichen Mittelmeer gewesen, das seit anderthalb Jahrhunderten freilich unter dem Ansturm des Osmanischen Reiches unablässig geschrumpft war. Auch auf Kreta hatte der Sultan längst ein begehrliches Auge geworfen. Ein Anlass, die Insel anzugreifen, fand sich schließlich. Der anonyme Chronist berichtet:
    "Anno 1645 trat der türkische Kaiser Ibrahim mit 60.000 Mann zu Candia an Land unterm Vorwand, dass die Venediger, so dieses Eiland besaßen, den Frieden gebrochen hätten dadurch, dass sie etliche Malteser Galeeren in den Häfen der Insel geduldet."

    Die Malteser hatten zuvor einen türkischen Geleitzug überfallen. Die Truppen des Sultans nahmen innerhalb weniger Monate die ganze Insel ein, und auch die Hauptstadt wäre ihnen ums Haar im ersten Ansturm in die Hände gefallen.
    Ein bunter Haufen an Söldnern aus aller Welt
    "1648 fingen die Türken an, die Stadt Candia zu belagern, und fielen einmal so gewaltig durch eine Bresche, dass sie sieben Stunden lang in der Stadt haushielten."
    Ein Gegenstoß warf die Eindringlinge aus der Festung. Vor den Mauern Candias entwickelte sich ein zäher Stellungs- und Grabenkrieg, immer wieder unterbrochen von monatelangen Kampfpausen, die sich mit blutigen Attacken und Gegenattacken abwechselten. Die eigentliche Kraftprobe fand zur See statt, wo die Venezianer anfangs mehrere spektakuläre Siege über türkische Flotten erfochten, ohne dass es gelang, den Nachschub für die Belagerer zu unterbinden.
    Den Landkrieg konnte Venedig nicht mit eigenen Truppen bestreiten. Candias Verteidiger waren ein bunter Haufen von Söldnern aus aller Herren Länder, unter ihnen viele Deutsche. Der Krieg in der fernen Levante wurde zu einem europäischen Medienereignis, ging es doch, wie auch der anonyme deutsche Chronist vermerkt, um eine "Vormauer der Christenheit", die zu verteidigen war. In Rom mobilisierte der Papst zum Kampfeinsatz. Ein letztes Mal kam so etwas wie Kreuzzugsstimmung auf. So entschloss sich 1660 Frankreich zur Entsendung einer Interventionstruppe, die indes ein blutiges Desaster erlebte.
    "Die Un-Christen steckten 300 Köpfe der erschlagenen Franzosen auf Spieße zur Schau."
    Als der Großwesir nach Kreta kam
    Solange die Türken noch auf anderen Kriegsschauplätzen - vor allem in Ungarn - beschäftigt waren, war Candia nicht ihre vorrangige Sorge. Das änderte sich mit dem Amtsantritt des jungen energischen Großwesirs Achmed Köprülü, der sich persönlich nach Kreta begab. Er konzentrierte jetzt die Angriffe auf die beiden der Küste am nächsten gelegenen Forts Sabionera und San Andrea im Osten und Westen des Festungsgürtels. Seine Truppen untertunnelten die Bastionen und zündeten Sprengsätze. Die Verteidiger trieben Gegenstollen in die Erde, um die feindlichen Minen unschädlich zu machen. Es kam zu verbissenen Nahkämpfen unter Tage.
    "Die Festung ist wie die Destruktion von Jerusalem so von Minen, Bomben und Steinkugeln zugerichtet, dass sie wie ein Maulwurfshaufen aussieht. Niemand ist hier weder auf der Straße noch in der Wohnung seines Lebens sicher. Ich habe meine Lebetage noch nie eine so heiße Occasion wie hier erlebt."
    Im August rückten die meisten auswärtigen Truppen ab
    Das notierte der Kommandeur eines bayerischen Regiments, das im Juli 1669 eintraf. Die Türken hatten mittlerweile ein weiteres französisches Expeditionskorps verlustreich geschlagen. Im August rückten die meisten auswärtigen Truppen ab. In der Festung kam es zu Meutereien. Der Preis des türkischen Sieges waren 120.000 Tote auf eigener und 30.000 auf gegnerischer Seite. Venedig schied aus dem Kreis der Großmächte im Mittelmeerraum aus.
    *Im Teaser des Beitrags wurde eine Zahl korrigiert.