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Vor 40 Jahren
Spanien stimmt über seine Verfassung ab

Die spanische Verfassung besiegelte den Übergang von der Diktatur zur Demokratie. In monatelangen Verhandlungen hatten sich alle großen Parteien, Unterstützer des Franco-Regimes wie die Opposition, auf einen gemeinsamen Entwurf geeinigt. Am 6. Dezember 1978 nahm Spanien die Verfassung in einem Referendum an.

Von Julia Macher |
    Nationalflagge Königreich Spanien
    Nationalflagge Königreich Spanien (Deutschlandradio / Ellen Wilke)
    Es war schon spät in der Nacht, als der spanische Innenminister Rodolfo Martín Villa im Madrider Messepalast die Ergebnisse des Referendums über die Verfassung verlas. Mit knapp 88 Prozent Ja-Stimmen und einer Wahlbeteiligung von 67 Prozent hatte Spanien am 6. Dezember 1978 die Verfassung angenommen. Das Referendum markierte das Ende der sogenannten Transición, des rechtlichen Übergangs von der Diktatur zur Demokratie.
    Im Eiltempo hatte Spanien - so schien es den Zeitgenossen – die politischen Fesseln der Diktatur abgestreift: Im November 1976, ein Jahr nach Francos Tod, beschloss die franquistische Ständevertretung ihre Selbstauflösung. Einen Monat später stimmte die Bevölkerung dem politischen Reformvorhaben zu. Im April 1977 legalisierte man die kommunistische Partei. Drei Monate später wählte Spanien sein verfassungsgebendes Parlament. Juan Carlos I., König von Francos Gnaden, eröffnete am 22. Juli 1977 feierlich die erste Sitzung:
    "Die Demokratie hat begonnen. Jetzt gilt es, sie auszubauen und zu festigen."
    Verhandlungen hinter verschlossener Tür
    Ein siebenköpfiger Ausschuss sollte das Verfassungswerk ausarbeiten. Die gemäßigte UCD, mit 35 Prozent die stärkste Fraktion, sandte drei Vertreter: Sozialisten, Kommunisten, die katalanischen Nationalisten und die rechtskonservative Franco-Nachfolge-Partei Alianza Popular jeweils einen. Hinter verschlossenen Türen zogen sich die Verhandlungen über 15 Monate hin. Vor allem die Beziehungen zur katholischen Kirche, einer wichtigen Stütze des Franco-Regimes, sowie die Beziehungen zwischen Zentralstaat und Regionen sorgten für erhitzte Diskussionen. Kommission, Parlament und Senat einigten sich schließlich auf Kompromissformeln und verfassten Spanien als demokratischen und sozialen Rechtsstaat:
    "Die spanische Verfassung sagt: Das spanische Volk, von dem alle Staatsgewalt ausgeht, ist Träger der nationalen Souveränität: Artikel 1, Absatz 2. Die politische Form des spanischen Staats ist die parlamentarische Monarchie: Artikel 1, Absatz 3."

    Am 27. Dezember, drei Wochen nach dem Referendum, unterzeichnete König Juan Carlos als altes und neues Staatsoberhaupt die Carta Magna:
    "Heute feststellen zu dürfen, dass sich alle politischen Gruppierungen mit ihren unterschiedlichen Interessen einigen konnten, erfüllt mich mit großer Zufriedenheit. Ich glaube, das ist die beste Garantie dafür, dass in Spanien eine neue, große Zeit beginnen kann."
    Der Konsens - eine Meisterleistung
    Als "Constitución de la concordia y de la moderación", als "Verfassung der Eintracht und der Mäßigung" feierte die Presse das Werk. Die durch Bürgerkrieg und Diktatur tief gespaltene Gesellschaft hatte sich auf gemeinsame demokratische Grundsätze geeinigt. Dass Politiker des gesamten Spektrums – von den Kommunisten bis zu ehemaligen Unterstützern der Diktatur - zu einem Konsens gefunden hatten, hält Josep Maria Castellà, Verfassungsrechtler an der Universität Barcelona, für eine Meisterleistung:
    "Die spanische Verfassung steht für einen Pakt, bei dem alle zugunsten eines gemeinsamen Projekts auf extreme, ideologisch geprägte Positionen verzichtet haben. Allerdings ist es den Kindern und Enkeln der Transición nicht gelungen, die Verfassung in diesem Geist weiterzuentwickeln. Sie sind in den letzten Jahren zu ideologischen Standpunkten zurückgekehrt."
    Die neue spanische Linke will die Staatsform ändern und möchte statt einer Monarchie eine Republik. Und die Unabhängigkeitsbewegungen im Baskenland und vor allem in Katalonien hinterfragen die Rolle des spanischen Volks als alleinigem Souverän. Dass jetzt als Lösung eine Verfassungsreform diskutiert wird, die Spanien zu einem "plurinationalen Staat" machen könnte, mit mehreren, gleichberechtigten Volksgruppen, hält Castellà für den falschen Ansatz:
    "Ich glaube nicht, dass die Bevölkerung … solche Eingriffe akzeptieren würde. Was wir mit der Verfassung von 1978 erreicht haben, betrachten wir als selbstverständlich. Noch nie haben wir mit einer Verfassung so lange so gut gelebt, und das wissen wir nicht richtig zu schätzen."

    Laut einer Umfrage sind über 67 Prozent der Spanier stolz auf die Transición – und die Verfassung. Aber noch mehr, knapp 70 Prozent, glauben, dass es an der Zeit sei, die Carta Magna grundlegend zu reformieren.