Henry Morgenthau Jr. war ein eigensinniger Mann. Dennoch brachte es der 1891 geborene Farmbesitzer, dessen Eltern aus Deutschland eingewanderte Juden waren, 1934 zum Finanzminister unter Präsident Franklin D. Roosevelt, mit dem ihn eine enge Freundschaft verband. Höhepunkt seiner Laufbahn war 1944 die Konferenz von Bretton Woods, auf der das Weltfinanzsystem neu geordnet und am US-Dollar als Reservewährung ausrichtet wurde.
"Finanzminister Morgenthau leitet die US-Delegation. In seiner Rolle als amtierender Präsident der Konferenz spricht er am Eröffnungstag zu der Versammlung, auf der Pläne zur Stabilisierung der Währungen diskutiert werden. Diese Treffen dienen dazu, den Welthandel in der Nachkriegszeit zu fördern und eine Grundlage für einen dauerhaften Weltfrieden zu schaffen."
Alles andere als ein Finanztechnokrat
Morgenthau war kein Finanztechnokrat. Seinem Einfluss auf Roosevelt war es wesentlich zu verdanken, dass im Januar 1944 das Amt für Kriegsflüchtlinge gegründet wurde, mit dessen Unterstützung annähernd 200.000 ungarische und rumänische Juden vor der Mordmaschinerie der Nationalsozialisten gerettet werden konnten. Der Einsatz für verfolgte Minderheiten war Familientradition: Henrys Vater hatte als US-Botschafter in Konstantinopel nach 1915 unermüdlich versucht, durch aufrüttelnde Berichte nach Washington den Völkermord an den christlichen Armeniern durch die Türken abzuwenden.
Henry Morgenthaus politische Leistungen sind von einer Episode verdunkelt worden, die seither untrennbar mit seinem Namen verbunden ist: dem sogenannten Morgenthau-Plan. Im September 1944 ließ der Finanzminister ein Memorandum ausarbeiten, das darauf abzielte, Deutschland für alle Zeiten daran zu hindern, weitere Kriege anzuzetteln. Der Plan sah unter anderem den dauerhaften Abbau der Industrie im Ruhrgebiet vor, das allgemein als Waffenschmiede des deutschen Militarismus galt.
Auf der Konferenz im kanadischen Quebec stimmten Roosevelt und der britische Premier Winston Churchill dem Plan am 15. September 1944 im Wesentlichen zu, wobei die beiden Regierungschefs in ihrer Direktive die Hoffnung hinzufügten, dass Deutschland zukünftig insgesamt einen vorwiegend landwirtschaftlichen und idyllischen Charakter haben werde.
Morgenthau frohlockte:
"Die Sache dort oben in Quebec war insgesamt unheimlich gut. Und soweit es mich persönlich betrifft, war es der Höhepunkt meiner Arbeit in der Regierung. Diese 48 Stunden waren für mich zufriedenstellender als alles andere, mit dem ich je zu tun hatte."
Verheerendes Presseecho mit Folgen
Doch Morgenthaus Gegner in Washington machten mobil, das Presseecho auf den als "Hassprogramm" dargestellten und angeblich auf die wahnwitzige Entindustrialisierung ganz Deutschlands zielenden Plan fiel verheerend aus. Roosevelt distanzierte sich nur sieben Tage nach der Konferenz von seiner Unterschrift in Quebec.
Für die nationalsozialistische Durchhaltepropaganda eines Joseph Goebbels war der Morgenthau-Plan dennoch ein gefundenes Fressen:
"Wir haben ja in den letzten Tagen die Feindpläne zur Genüge kennen gelernt, den Plan des Juden Morgenthau, dass 80 Millionen Deutsche ihrer Industrie beraubt würden und Deutschland zu einem einzigen Kartoffelfeld gemacht werde."
Die Legende, Morgenthau habe Deutschland in ein armes Agrarland verwandeln wollen, war nun in der Welt. Als Chiffre für angebliche Zerstörungs- und Unterwerfungspläne der Siegermächte tauchte sie seither in den kuriosesten Zusammenhängen auf. So warf der SPD-Abgeordnete Franz Neumann 1949 im Deutschen Bundestag der KPD mit Blick auf die Demontagen in Ostberlin vor:
"Es gibt den berüchtigten Morgenthau-Plan, es gab ihn einmal im Kriege, der eine Ausradierung Deutschlands vorsah. Herr Kollege Renner, der Morgenthau-Plan ist in einer deutschen Stadt durchgeführt und zwar in Berlin und zwar von den Bolschewisten!"
"Der Morgenthau-Plan im Quadrat"
Henry Morgenthau Jr. hatte sich zu dieser Zeit schon aus dem politischen Leben zurückgezogen. Die Zerrbilder des Planes, der seinen Namen trug, sollten ihn überleben. Wenige Tage nach dem Tod Henry Morgenthaus am 6. Februar 1967, wetterte Altbundeskanzler Konrad Adenauer in einem Interview gegen den Atomwaffensperrvertrag, der Deutschland aus dem Kreis der Atommächte ausschloss. Er tat dies mit den Worten:
"Das ist wirklich der Morgenthau-Plan im Quadrat."