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Vor 75 Jahren
Der Tod des Widerstandskämpfers Jean Moulin

Jean Moulin war einer der bedeutendsten französischen Widerstandskämpfer gegen Nazi-Deutschland. Im Auftrag von de Gaulle führte er verschiedene Widerstandsgruppen zusammen. Er gilt als die Lichtgestalt der Résistance - auch, weil er selbst unter der Gestapo-Folter seine Kameraden nicht verriet.

Von Peter Hölzle | 08.07.2018
    Ein Bild des französischen Widersstandskämpfers Jean Moulin auf einem Wandgemälde in Saint-Andiol, Bouches-du-Rhône.
    In Frankreich unvergessen: Bild des Widerstandskämpfers Jean Moulin auf einem Wandgemälde in Saint-Andiol (imago / alimdi)
    "Ich ernenne den Präfekten Jean Moulin zu meinem Vertreter und Delegierten des Nationalkomitees in der nicht direkt besetzten Zone Frankreichs. In dieser Zone hat Monsieur Moulin den Auftrag, die Aktionseinheit aller militärischen Einheiten herzustellen, die dem Feind und seinen Kollaborateuren Widerstand leisten. Moulin legt mir direkt Rechenschaft ab über den Vollzug seines Auftrags."
    Mit dieser Order bestellte General de Gaulle Moulin am Heiligen Abend 1941 aus seinem Londoner Exil zu seinem persönlichen Beauftragten für das von der deutschen Wehrmacht noch unbesetzte Südfrankreich, damals ein von Marschall Pétain vom Badeort Vichy aus geführter Satellitenstaat von Hitlers Gnaden.
    Meistgesuchter Widerstandskämpfer
    Moulin stand eine Herkulesaufgabe bevor. Er sollte die im Süden operierenden Widerstandsgruppen, deren Führer infolge ideologischer Differenzen und persönlicher Rivalitäten heillos zerstritten waren, vereinigen und - mehr noch - sie bewegen, sich General de Gaulle zu unterstellen.
    Dem 1899 in Béziers in ein linksliberales Lehrerelternhaus hineingeborenen Juristen, der in der Dritten Republik schon ganz jung eine glänzende Verwaltungskarriere bis zum Départementchef absolviert hatte, ehe ihn das Vichy-Regime wegen Unbotmäßigkeit entließ, gelang dieses gleichermaßen diplomatische wie logistische Kunststück. Dabei leistete Moulin nicht nur politische Überzeugungsschwerstarbeit. Er fungierte auch als Geldbriefträger zwischen de Gaulle in London und den innerfranzösischen Widerstandsgruppen. Kein Wunder, dass er so zum meistgesuchten Widerstandskämpfer der deutschen Besatzungsmacht in Frankreich avancierte, über den de Gaulle in seinen "Kriegserinnerungen" anerkennend schrieb:
    "Er strahlte eine beeindruckende Überzeugungskraft und Autorität aus. Dabei war er sich bewusst, dass seine Tage gezählt waren, blieb jedoch fest entschlossen, vor seinem Abgang das Werk der Vereinigung zu vollenden."
    Moulin schwieg auch unter der Folter
    In der Tat waren die Tage des Kopfs der Résistance auf französischem Boden gezählt. Bei einem Geheimtreffen mit Führern des Widerstandes in einer Arztpraxis in Caluire, einem Vorort Lyons, ging er am 21. Juni 1943 der deutschen "Geheimen Staatspolizei", kurz Gestapo genannt, ins Netz. Ob dabei Verrat im Spiel war, ist bis heute ungeklärt. Einmal in den Fängen von Klaus Barbie, des ob seiner Brutalität berüchtigten Gestapochefs von Lyon, hätte er nur eine Überlebenschance gehabt, wenn er Verrat geübt hätte. Aber auch unter der Folter Barbies, der gerne persönlich Hand anlegte, schwieg Moulin eisern. Trotz der von Arm-, Bein- und Rippenbrüchen begleiteten Verhörmethoden des "Schlächters von Lyon" gab Moulin nichts preis. Christian Pineau, ein Résistance-Mithäftling, erschrak, als er im Gefängnis Montluc auf den übel Zugerichteten traf.
    "Er hatte das Bewusstsein verloren, seine Augen lagen grabestief in den Höhlen. An einer Schläfe hatte er eine böse, bläulich angelaufene Wunde. Zwischen seinen verschwollenen Lippen drang ein schwaches Stöhnen hervor."
    Letzte Ruhe im Panthéon
    Es sollte noch einige Zeit dauern, bis Moulins Leidensweg zu Ende war. Vermutlich starb er am 8. Juli 1943 unweit Metz in einem Zug von Paris in ein deutsches Konzentrationslager. Die Sterbeurkunde aus dem Standesamt Metz enthält einen Vermerk des Oberstabsarztes Beschke, der auf Tod durch Herzversagen hinweist, eine der gängigen Verharmlosungen, mit denen der Tod von Folteropfern getarnt wurde. Einen Tag später erfolgte Moulins Begräbnis auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise. Erst am 19. Dezember 1964 wurden die sterblichen Überreste Moulins in einem Staatsakt in Anwesenheit des Präsidenten der Republik, Charles de Gaulle, ins Panthéon, die Ruhmeshalle der Nation, überführt. Die Trauerrede hielt ein anderer prominenter Widerstandskämpfer, der Kulturminister André Malraux.
    "Heute, oh Jugend, gedenke dieses Mannes, wie deine Hände sich diesem elenden, entstellten Gesicht des letzten Tages genähert hätten, seinen Lippen, die nicht gesprochen hatten. An jenem Tag war es das Antlitz Frankreichs."
    Den musikalischen Schlusspunkt setzte der vielstimmig gesungene "Gesang der Partisanen", die "Nationalhymne der Résistance".
    "Ami, entends-tu le vol noir des corbeaux sur nos plaines? Ami, entends-tu les cris sourds du pays qu’on enchaine?"