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Vor 75 Jahren starb Georges Clemenceau

Madelon, remplis mon verre

Von Wolfgang Stenke | 24.11.2004
    et chante avec les poilus!
    Nous avons gagné la guerre,
    ah, crois-tu, on les a eu.
    Madelon, verse à boire
    et surtôut n’y mets pas d’eau.
    Nous fêterons la victoire,
    Joffre, Foch et Clemenceau.

    Das populärste französische Soldatenlied des I. Weltkriegs besingt die Kellnerin Madelon. 1918 kam eine Strophe hinzu, in der der Sieg gefeiert wurde.

    Madelon, füll die Gläser
    und sing mit den Landsern.
    Wir haben den Krieg gewonnen,
    wir haben sie drangekriegt!
    Madelon, schenk ein
    und gieß bloß kein Wasser dazu.
    Denn wir feiern den Sieg,
    Joffre, Foch und Clemenceau.


    Joffre, Foch und Clemenceau. Zwei Militärs – ein Politiker: Ministerpräsident Georges Clemenceau, genannt der "Tiger" oder "Père-la-Victoire" – Vater des Sieges. Ein Urgestein der französischen Politik – und schon in im 79. Lebensjahr, als er 1919 den Deutschen in Versailles die Friedensbedingungen diktierte. Kein Ausgleich zwischen verfeindeten Mächten, sondern eine harte Abrechnung. – Der Düsseldorfer Historiker Gerd Krumeich:

    Von dem Standpunkt der Franzosen aus, die das Hauen und Wüten der Deutschen in Frankreich jahrelang miterlebt hatten, war das nur zu berechtigt und verständlich. Die Deutschen hatten diesen Krieg nicht mitbekommen – außer über die Propaganda und über das individuelle Leid: dass der Vater nicht zurückkam oder der Bruder. Aber sie hatten nicht erfahren, was der Krieg ist, und sie waren froh darüber, es nicht erfahren zu müssen.

    Was von diesen Deutschen zu halten war, die seit Napoléon keinen Feind im eigenen Land gehabt hatten, wusste Georges Clemenceau. Der Provinzler aus der Vendée begann 1870 als Mann der bürgerlichen Linken. Just zu der Zeit, als Preußen Frankreich besiegte, wurde der junge Arzt in Paris Bürgermeister des Bezirks Montmartre. Seine Lehre aus der Niederlage von 1870/71 lautete, dass man die Deutschen hinhalten müsse:

    Die Deutschen haben erlebt, dass die Soldaten Napoléons unter dem Brandenburger Tor eingezogen sind, und jeder weiß, dass sie das in Leipzig wieder vergessen hatten.

    Ein glänzender Redner, voll Sarkasmus und Ironie. Zeitgenossen hoben seine funkelnden Augen und die scharfgeschnittenen Gesichtszüge hervor. Er war von kleiner Statur, aber unbändiger Energie:

    Man darf sich nicht erholen, davon krepiert man.

    Clemenceau bekämpfte die französische Kolonialpolitik, trat ein für die Trennung von Kirche und Staat. Er galt als Mann des Ausgleichs zwischen Kapital und Arbeit. Aber als Innenminister ließ er das Militär gegen streikende Arbeiter aufmarschieren. 1909 hatte seine Regierung abgewirtschaftet. Erst nach drei Jahren Weltkrieg, im Herbst 1917, schlug wieder die Stunde Clemenceaus. Die Lage war verfahren: Meutereien an der Front, Streiks im Inneren. Im Alter von 76 Jahren übernahm der "Tiger" das Amt des Ministerpräsidenten. Clemenceau, quasi Militärdiktator, forderte im Parlament:

    Keine pazifistischen Kampagnen, keine deutschen Intrigen mehr. Weder Verrat noch Halb-Verrat, nur noch Krieg.

    Clemenceau steigerte die Rüstungsproduktion und sorgte für ein gemeinsames alliiertes Oberkommando. Er drängte auf den Einsatz der wenig kampferfahrenen Amerikaner. Im November 1918 war der "Tiger" am Ziel – den Deutschen blieb nur noch die Bitte um Waffenstillstand. - Den Krieg hatte Clemenceau gewonnen, doch im Frieden verlor er sein Amt. 1920 musste er abtreten – die Nationalversammlung misstraute seiner Machtfülle. Als Pensionär bedachte der alte Mann seine Politikerkollegen mit galligen Worten und ging auf Reisen. In den USA, die seine harte Haltung gegenüber den Deutschen nur begrenzt mittrugen, beschwor er die Waffenbrüderschaft mit den Amerikanern:

    Nous avons attendu longemps, vous êtes venus. Bientôt, sous le commandement du général Pershing, 22 divisions de 25.000 hommes chacune, avec l’aide de 4 divisions françaises, s’emparaient de la boucle de St. Mihiel, après une dure bataille qui restera comme l’une des plus belles de la guerre.

    Wir haben lange gewartet, aber Sie sind gekommen. Und kurz darauf nahmen 22 Divisionen unter General Pershing, mit der Hilfe von vier französischen Divisionen, nach schweren Gefechten den Frontabschnitt von Saint Mihiel ein. Das bleibt eine der glorreichsten Schlachten des Krieges.

    Sprach der "Tiger" und warnte bis an sein Lebensende vor jeglichem Abrücken von den Bestimmungen des Versailler Vertrages. Politiker, die den Ausgleich mit den Besiegten suchten, verachtete er zutiefst. Georges Clemenceau starb am 24. November 1929 im Alter von 88 Jahren.