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Vor 90 Jahren bombardieren deutsche Zeppeline England

Zeppelin, flieg,

Von Bernd Ulrich |
    Hilf uns im Krieg,
    Flieg nach Engelland,
    Engelland wird abgebrannt,
    Zeppelin, flieg.

    Was in diesen zeitgenössischen Versen seit Beginn des Ersten Weltkriegs herbeigesehnt wurde, sollte gut fünf Monate nach Kriegsbeginn Wirklichkeit werden. Am 19. Januar 1915 flogen sie zum ersten Mal "nach Engelland", die Zeppeline der kaiserlichen deutschen Marine und des Heeres. Nach frühen, schon im ersten Kriegsmonat unternommenen Angriffen, bildete diese Feindfahrt den eigentlichen Auftakt für den strategischen Bombenkrieg mit Luftschiffen. Zwar musste ein Zeppelin wegen technischer Schwierigkeiten wieder umkehren, doch die anderen zwei konnten ihren Auftrag ausführen. Dockanlagen und Werften an der unteren Themse, außerhalb Londons, waren das Ziel, das auch erreicht, indessen kaum beschädigt werden konnte.

    Kaiser Wilhelm II. hatte vorerst Angriffe auf die Zivilbevölkerung der "christlichen", nun verfeindeten Nation Großbritannien verboten. Kurz darauf, am 31. Mai 1915, gab er dem Drängen seiner Militärs nach, und der erste Angriff auf die englische Hauptstadt nahm seinen Lauf. Das Ziel war klar: Die Bürger der Stadt sollten in Angst und Schrecken versetzt und dadurch demoralisiert werden. Insgesamt 350 Angriffe auf England und Frankreich wurden durchgeführt. Allein in England verloren dabei über 500 Zivilisten ihr Leben, über 1300 wurden verwundet.

    Der spätere Architekt Hugh Casson erlebte als Kind Ende 1915 einen dieser Angriffe auf die Kleinstadt Faxton in der Nähe der englischen Ostküste:

    I was there lot during the war, in Faxton. We had air-raids. And aunt Victoria had a house there, she left London and came down to the coast. And we used to stay with her some times, but to mause reft we sleep under the piano, against bombs.
    Ich war die meiste Zeit während des Krieges in Faxton. Wir hatten Bombenangriffe. Und Tante Victoria hatte dort ein Haus, sie hatte London verlassen und war an die Küste gekommen. Wir lebten eine Weile bei ihr, aber um ehrlich zu sein, wir schliefen unter dem Klavier, um uns vor den Bomben zu schützen.

    Trotz der Toten und Verwundeten und der angerichteten Zerstörungen standen die militärischen Erfolge in keinem Verhältnis zu den eigenen Verlusten. Vierzig der relativ langsam dahinschwebenden Luftschiffe wurden von Jagdflugzeugen und Geschützen abgeschossen, 39 gingen durch Unfälle verloren. Immerhin hatte, was am 19. Januar 1915 begann, eine gewisse strategische Wirkung, banden die Luftschiffe doch - ähnlich wie die Kriegsschiffe zur See - einfach durch ihre Existenz gegnerische Streitkräfte.

    Bereits vor 1914 wurde die Entwicklung des Luftschiffes nicht allein in Deutschland denn auch vor allem im Hinblick auf seinen Einsatz in künftigen Kriegen gesehen. Der ehemalige Kavallerieoffizier Ferdinand Graf von Zeppelin, Namensgeber und Konstrukteur der ersten deutschen "Luftkreuzer", machte dies in einer Ansprache vom August 1909 klar. Ein Jahr zuvor war eins seiner Luftschiffe verunglückt, er selbst war bankrott und nur durch eine Volksspende in Höhe von 6 Millionen Mark gerettet worden:

    Mit froher Zuversicht darf das deutsche Volk annehmen, dass es sich mit seiner hochherzigen Spende einen gangbaren Weg der wahrhaftigen Eroberung des Luftmeeres aufgetan hat. Dass es bald im Besitz von Luftschiffen sein wird, die zur Erhöhung der Wehrkraft und damit zur Erhaltung des Friedens beitragen.

    Die Faszination, die von den zigarrenförmigen Luftschiffen ausging war grenzenlos - und uns Heutigen kaum noch nachvollziehbar im Zeitalter der Weltallflüge und Tarnkappenbomber. Etwas von dieser Faszination wird noch deutlich im Bericht der Vossischen Zeitung vom 30. August 1909, nachdem einen Tag zuvor ein Zeppelin Berlin überflogen hatte:

    Aus dem äußersten deutschen Süden nach dem deutschen Norden kam das Zauberschiff herangefahren. Ein glückhaft Schiff, weil ihm alle Herzen entgegenschlagen, weil es Freude bringt, wo es sich zeigt, weil es hoch schwebt über den Parteiungen und um alle Deutsche ein Band einmütiger Begeisterung und beseligender Bewunderung schlingt.

    Als wirksames Kriegsgerät erlebte das "Zauberschiff" während des ersten Weltkriegs eine Bruchlandung. Seine Rolle im zivilen Luftverkehr endete spätestens am 6.Mai 1937, da das Luftschiff "Hindenburg" im amerikanischen Lakehurst samt Passagieren und Fracht in Flammen aufging. Doch hat all dies nicht verhindern können, dass der Zeppelin in unseren Tagen als Transportmittel wieder entdeckt wird.