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Vor allem Angst vor Mißerfolg

Studieren mit Kindern oder jobben, um sich selbst zu finanzieren – in solchen Fällen fragt sich kaum jemand, warum die Hochschulzeit das ein oder andere Semester länger dauert. Ganz anders bei Studierenden, die scheinbar keinen Grund dafür vorschieben können, dass sich die Semester häufen und der Abschluss trotzdem nicht in Sicht ist. Ganz so unverständlich ist das allerdings doch nicht, wie eine Studie der ärztlich-psychologischen Beratungsstelle der Uni Göttingen zeigt.

Von Hans-Peter Fischer |
    Ich habe mir neulich mal meine Scheine angeguckt, das waren eigentlich gute bis sehr gute Noten.

    Gute Leistungen und trotzdem kein Examen in Sicht – damit quält sich dieser Student schon jahrelang durch die Seminare. An der Uni Göttingen kein Einzelfall. Zwar wurden seit Einführung von Gebühren für Langzeitstudierende rund 2000 Exmatrikulationen gezählt, doch immerhin noch 1200 Eingeschriebene überschreiten die vorgegebene Regelstudienzeit um mehr als vier Semester. Grund für Dr. Hermann Staats und die Mitarbeiter der ärztlich-psychologischen Beratungsstelle der Uni Göttingen, die Gründe für vielsemestrige Hochschullaufbahn zu suchen.

    Wenn man statistische Mittelwerte nimmt, kann man nachweisen, dass Langzeitstudierende nicht weniger begabt sind als andere Studierende, und im Gegenteil, es gibt viele Fälle, in denen es gerade besonders begabte und kreative Studierende sind, die im Laufe ihres Studiums Krisen durchlaufen.

    Ich hatte eine Zeit lang überhaupt gar keinen Bock mehr, über den Campus zu gehen. Bin schon gar nicht mehr in die Mensa gegangen.

    Die Unlust, in die Uni zu gehen – davon berichten die allermeisten Langzeitstudierenden. Hinter der Lustlosigkeit verstecken sich jedoch häufig handfeste Ursachen: Probleme in der Partnerschaft, familiäre Konflikte, Prüfungsangst, Depressionen, permanente Furcht vorm Versagen wegen einer einzigen vergeigten Klausur. So unterschiedlich die Einzelfälle sind, eines hören die Mitarbeiter der Göttinger Beratungsstelle immer wieder:

    Ich hatte keine Kontakte, also war ich halt so richtig, richtig alleine, von daher war es nicht schwierig, dass ich im Endeffekt nicht aus dem Bett kam.

    Das ist ein Dilemma bei Langzeitstudierenden, dass häufig diese Kontakte verloren gehen im Studium, immer weniger die Universität besucht wird, die Hemmschwelle größer wird hinzugehen, Kontakte zu Kommilitonen und Dozenten zu suchen, auch aus Scham, und es dann zu einem Teufelskreislauf von Misserfolgen, zunehmender Angst und weiteren Misserfolgen kommt.

    Gleichgültig, ob die Auslöser nun im Studium, im Privatleben oder der Persönlichkeit zu finden sind: Die verschiedenen Faktoren verstärken sich gegenseitig und wirken sich schließlich auf das Selbstwertgefühl der Langzeitstudierenden aus. Selbst objektiv gute eigene Leistungen werden dann als ungenügend wahrgenommen. Der Ausweg aus diesem Kreislauf führt meist nur über professionelle Beratung.

    Überlegt habe ich das schon mal, ja. Aber das macht man nicht als Mann, da ist man hart.

    Vor solchen Vorbehalten kann Hermann Staats unter Hinweis auf die Untersuchung der ärztlich-psychologischen Beratungsstelle der Uni Göttingen nur warnen. Am erfolgreichsten ist der psychologische Rat so früh wie möglich, also schon dann, wenn sich die Gefahr eines Langzeitstudiums auch nur abzeichnet.

    Ein wichtiger Schritt ist erstmal, dass wir eine ziemlich genaue Diagnostik machen, dass wir gucken, können wir das eingrenzen, woran liegt das. Bei einem relativ großen Anteil, fast 70% der Leute, die zu uns kommen, ist es mit fünf bis sieben Gesprächen oft schon getan. Also man hat was identifizieren können und das reicht, dass die selbst wieder weiterkommen, dass die flott sind.

    Kommen die Langzeitstudierenden auch nach diesen Sondierungsgesprächen nicht besser voran, greifen die Göttinger Berater auf eine ganze Palette unterschiedlicher Angebote zurück: Gesprächstherapie, Studienberater oder Physiotherapeuten – abgestimmt auf die individuelle Problemlage. Mit einem kann die ärztlich-psychologische Beratungsstelle auch in ihrer Studie jedoch nicht aufwarten: Einem Patentrezept, wie sich hohe Semesterzahlen von vornherein vermeiden lassen.