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Vorbeugung von Wahnerlebnissen

Regelmäßige Arztbesuche, richtige Ernährung und viel Bewegung - für das körperliche Wohlbefinden kann der Mensch viel tun. Wie beugt man aber seelischen Leiden, Wahnvorstellungen oder Depressionen vor - und geht das überhaupt? Es geht, wie die Erfahrungen im so genannten Kompetenznetz Schizophrenie zeigen. Dort bietet man Jugendlichen mit einem entsprechenden Risiko besondere Therapien an.

Von Volkart Wildermuth |
    Eine Schizophrenie beginnt mit einem Paukenschlag, mit dem Ausbruch häufig bedrohlicher Wahnideen, begleitet von einem beängstigenden Zerfasern des Denkens. Aber in den Jahren davor gibt es schon Missstimmungen im Leben der Betroffenen. Sie bekommen Konzentrationsschwierigkeiten, ungewollte Gedanken bedrängen sie, sie leiden unter Stimmungsschwankungen, haben keinen Antrieb mehr. In der Folge sackt die Leistung in Schule und Beruf stark ab, es gibt Probleme in der Familie oder in der Beziehung. Nun können solche Beschwerden vor allem in der Umbruchszeit der Pubertät viele Ursachen haben und auch nur vorübergehender Natur sein. Indem sie aber auf die Kombination der Symptome achten, können Forscher im Kompetenznetz Schizophrenie inzwischen recht gut vorhersagen, bei wem sich tatsächlich ein Wahnschub ankündigt, erläutert Professor Jürgen Klosterkötter von der Universität Köln.

    " Im Augenblick ist es so, dass man bis zu 30 Prozent bis 40 Prozent Erkrankungswahrscheinlichkeit schon in dem ersten Jahr der Beobachtung hat und wir haben Langzeitstudien, die gezeigt haben, dass bei einer weiteren Beobachtungsstrecke, dass wenn man über mehrere Jahre weiter den Verlauf verfolgt, dass man dann eine Vorhersagestärke von bis zu 80 Prozent mit diesen Kriterien erreicht."

    Vier von fünf jungen Menschen, die die neuen Kriterien erfüllen, erleben innerhalb von fünf Jahren tatsächlich einen Wahnanfall. Damit hat der Blick auf die Kombination der Symptome eine hohe Voraussagekraft. Die Wissenschaftler wollen die Schizophrenie quasi noch in ihrer Entstehung entdecken, lange bevor es tatsächlich zu einem Wahnschub kommt. Zu diesem Zeitpunkt, so hoffen sie, lässt sich der Krankheitsprozess noch stoppen.

    Dieser Ansatz ist allerdings heftig umstritten. Schließlich haben die meisten der jungen Menschen noch viele beschwerdefreie Jahre vor sich, die ihnen durch eine Diagnose vor dem Auftreten der vollen Symptome vergällt werden könnten. Auf der anderen Seite wissen sie meist sehr gut, dass sie Probleme haben und suchen deshalb selbst nach Hilfe. Viele haben sich beim Kompetenznetz Schizophrenie gemeldet. Jürgen Klosterkötter und seine Kollegen bieten Jugendlichen mit den entsprechenden Problemen eine umfangreiche Psychotherapie an, die zum Beispiel ein Konzentrationstraining, Stressbewältigungsstrategien und emotionale Hilfen beinhaltet.

    " Der direkte Vorteil besteht darin, dass die Beschwerden, die sie ja in diesem Frühverlauf entwickeln - Depression, Antriebsschwäche, eingebrochenes Selbstwertgefühl, im kognitiven Bereich: Konzentrationsschwierigkeiten, dazwischen laufende Gedanken, Gedankendrängen, Gedankeninterferenzen -, alle diese Beschwerden haben sich unter dem Einfluss der Therapien zurückgebildet."

    Eine aktuelle Auswertung zeigt, dass diese positiven Veränderungen das Risiko verringern, tatsächlich an einer Schizophrenie zu erkranken. Nach einem Jahr hatten in der gezielt behandelten Gruppe nur 3,9 Prozent einen Wahnschub erlitten, in der mit normalen Hilfen unterstützen Kontrollgruppe dagegen erkrankten 17,3 Prozent. Ein deutlicher Erfolg der Frühintervention, von dem Jürgen Klosterkötter hofft, dass er in den folgenden Jahren noch stärkster zu tragen kommt. Parallel wurden im Kompetenznetz Schizophrenie auch Personen behandelt, die schon unter ersten Wahnsymptomen litten, bei denen also mit dem Ausbruch einer Schizophrenie innerhalb eines halben Jahres zu rechnen war. Sie erhielten niedrig dosierte Medikamente zusätzlich zu einer Psychotherapie.

    " Wenn man da Medikamente einsetzt, zeigt sich auch, dass es eine Verbesserung gibt und dass man offenbar auch erreichen kann, dass nicht so viele Erkrankungen voll entstehen. Aber der Effekt scheint bei diesen weiter fortgeschrittenen Stadien geringer zu sein und wir müssen abwarten, ob der überhaupt signifikant sein wird."

    Offenbar war der Krankheitsprozess schon so weit fortgeschritten, dass er sich nicht mehr stoppen ließ. Ein Einsatz vom Psychopharmaka vor dem Ausbruch der vollen Symptomatik der Schizophrenie lässt sich damit wohl nicht rechtfertigen. Eine gezielte Psychotherapie bei jungen Menschen, die erste Probleme haben, unter denen sie auch schon leiden, scheint dagegen Erfolg versprechend zu sein.