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Vorgezogene Wahl zum SPD-Fraktionsvorsitz
"Wir gewinnen zusammen, wir verlieren auch zusammen"

Andrea Nahles habe reagieren müssen, sagte die SPD-Parteivorsitzende in Schleswig-Holstein, Serpil Midyatli, im Dlf über die vorgezogene Wahl der Fraktionsspitze. Trotzdem seien sie und viele Parteikollegen irritiert gewesen. Das Ergebnis der Europawahl nur auf Nahles zu reduzieren, sei zu kurz gegriffen.

Serpil Midyatli im Gespräch mit Stefan Heinlein |
Die neue SPD-Landesvorsitzende von Schleswig-Holstein, Serpil Midyatli.
"Tatsächlich waren wir schon sehr, sehr irritiert", sagte die SPD-Landesvorsitzende in Schleswig-Holstein, Serpil Midyatli, im Dlf über die Ankündigung von Andrea Nahles einer vorgezogenen Wahl der Fraktionsspitze (dpa / Carsten Rehder)
Stefan Heinlein: Am Telefon ist nun die SPD-Parteivorsitzende in Schleswig-Holstein, Serpil Midyatli, seit Ende März als Nachfolger von Ralf Stegner im Amt. Guten Morgen, Frau Midyatli.
Serpil Midyatli: Moin, moin!
Heinlein: Moin, moin! – Was denken Sie über die Vorwärtsverteidigung von Andrea Nahles? Ist das die richtige Strategie?
Midyatli: Sie musste ja reagieren. Von daher blieb ihr auch gar nichts anderes übrig, als das genau so zu machen. Aber tatsächlich waren wir schon sehr, sehr irritiert, weil nach der gemeinsamen Sitzung, nach der PV-Sitzung hieß es, keine Personaldiskussionen, und dann platzt tatsächlich doch diese Nachricht hinein. Von daher war es schon eine Irritation bei uns hier in Schleswig-Holstein aufgrund der Diskussionen, die ja dann in der Fraktion ausgebrochen sind.
Heinlein: Können Sie diese Irritation noch ein wenig beschreiben?
Midyatli: Wir waren tatsächlich irritiert aufgrund dessen, weil es gab eine andere Marschrichtung, die vorgegeben worden ist, beziehungsweise dass wir erst mal analysieren wollen, und tatsächlich gibt es am Montag auch noch eine Parteivorstandssitzung, wo wir auch über die inhaltlichen Themen miteinander in Diskurs gehen wollen und miteinander diskutieren wollen, wie das jetzt weitergehen kann. Da hieß es, es soll keine Personaldiskussion stattfinden. Von daher waren wir tatsächlich zunächst einmal irritiert und auch die Bundestagskollegen waren verwundert bis hin dazu, dass sie erst mal nicht wussten, wie sie reagieren sollen, weil auch sie das über den Ticker dann erfahren haben.
"Fraktion ist Fraktion und Partei ist Partei"
Heinlein: In der Tat keine Personaldebatte, das war ja die selbstverordnete Devise. Jetzt ist Andrea Nahles persönlich von diesem Weg abgewichen. Was schließen Sie daraus? Ist der innerparteiliche Druck auf Andrea Nahles, auf die Parteivorsitzende einfach zu groß geworden und sie musste jetzt darauf reagieren?
Midyatli: Fraktion ist Fraktion und Partei ist Partei. Aber ich hätte mir schon tatsächlich gewünscht, dass die Fraktion da auch solidarisch ist. Letztendlich treffen wir unsere Entscheidungen in der Partei, in Parteivorstandsgremien, und auch daran muss sich eine Fraktion auch halten. Das wird tatsächlich dann noch zu weiteren Diskussionen führen und hat ja auch bei anderen zu Verwunderung geführt, dass die Fraktion beziehungsweise ein einzelner – es war ja ein Antrag eines einzelnen -, dass hier so ausgeschert wird.
Heinlein: Stichwort Verwunderung. Wenn Sie an der Basis in Schleswig-Holstein reinhören, wie zufrieden ist man denn mit Andrea Nahles, mit der Arbeit der Parteivorsitzenden?
Midyatli: Ganz ehrlich? Das zu reduzieren auf Andrea Nahles und ihre Arbeit, wäre hier zu kurz gegriffen. Letztendlich haben wir alle im Wahlkampf für die Stimmen geworben und wir gewinnen zusammen, wir verlieren auch zusammen. Von daher ist das ein Gesamtergebnis, was wir als Partei haben, wo wir dran arbeiten müssen und erst mal schauen, woran hat es gelegen. Auch hier in Schleswig-Holstein kann ich mir das und darf ich mir das auch nicht so einfach machen, weil wir normalerweise ja auch immer zumindest mehr Prozentpunkte über dem Bundestrend liegen. Von daher wäre mir das tatsächlich zu einfach zu sagen, da hat nur eine einzelne Person Schuld, sondern es lag tatsächlich auch an der Ansprache, dass wir die Menschen nicht erreichen konnten. Die Durchschlagskraft, unsere Themen sind nicht durchgedrungen. Es war ja tatsächlich auch eine Klimawahl in dem Sinne und die Angebote, die wir gemacht haben, die haben tatsächlich bei den Wählerinnen und Wählern nicht gepunktet.
Heinlein: Über die Inhalte, Frau Midyatli, können wir gleich noch reden. Noch einmal zur Person Andrea Nahles. Um sie geht es ja, selbstgewählt in der kommenden Woche. Wie kommt das denn an, wenn sie auf Karnevalssitzungen Gassenhauer schmettert und flache Witze macht? Sie kennen diese Videos. Ist dieses Ätschi-Bätschi-Auftreten etwas, was Ihre Genossen an der Küste erfreut, oder eher erschreckt?
Midyatli: Ganz ehrlich? Eine Schleswig-Holsteinerin über Karneval zu fragen, ist grundsätzlich eine nicht so gute Idee, weil wir hier diese Tradition so gut wie gar nicht kennen, bis auf einige wenige Orte, wo man das feiert. Von daher: Da müssen Sie tatsächlich jemanden fragen, der sich im Karneval besser auskennt als eine Schleswig-Holsteinerin.
Midyatli über Nahles Auftreten: "Das ist eine Mentalitätsfrage"
Heinlein: Aber gefällt Ihnen dieses Auftreten, dieses nass-forsche Auftreten, diese Gassenhauer von Andrea Nahles?
Midyatli: Wie gesagt, das ist eine Mentalitätsfrage, so wie uns nachgesagt wird, dass wir wortkarg sind und eher zurückhaltend, wenn wir auf einem Konzert ausflippen, dann tippen wir vielleicht mal leicht mit dem Fuß, das wird wahrscheinlich einige auch verwundern. Von daher ist das tatsächlich eine Mentalitätsfrage.
Heinlein: Wissen Sie denn, wenn Sie mit Berlin telefonieren, Frau Midyatli, ob und wenn ja welcher Genosse oder Genossin gegen Andrea Nahles antreten wird nächste Woche bei der Abstimmung über den Fraktionsvorsitz?
Midyatli: Das weiß ich tatsächlich nicht.
Heinlein: Die Rede ist ja von Martin Schulz, aber auch von Achim Post aus NRW, oder Matthias Miersch vom linken Flügel. Der steht Ihnen ja sehr nahe.
Midyatli: Ich will da tatsächlich keine Spekulationen jetzt in den Raum werfen. Ich weiß es tatsächlich nicht und das entscheidet ja auch letztendlich eine Fraktion, wen sie als Vorsitzenden haben möchte. Von daher kann ich zu den Spekulationen gar nichts sagen.
Heinlein: Lassen Sie uns dennoch ein wenig weiter spekulieren. Wie hoch ist denn aus Ihrer Sicht das Risiko, dass diese Machtprobe bei der Abstimmung nächste Woche verloren wird von Andrea Nahles? Fifty-Fifty, oder hat sie 90 Prozent Chancen zu gewinnen?
Midyatli: Im Moment, was die Stimmungslage angeht, ist es sehr, sehr schwierig, und kurz vorher, sehr schnell jetzt hintereinander weg kann ich das tatsächlich nicht einschätzen, weil alle noch sehr, sehr aufgeregt sind, und die Bundestagskolleginnen und Kollegen kriegen ja auch die Rückmeldungen aus ihren eigenen Wahlkreisen, sehen da ja auch die Stimmverluste, die sie haben. Von daher ist das vielleicht tatsächlich ein bisschen zu früh, um da dann auch, sage ich mal, eine Entscheidung zu treffen, die dann auch dem entspricht, was jetzt auch wirklich gemacht werden muss. Das müssen aber tatsächlich die Kolleginnen und Kollegen selbst entscheiden.
Midyatli: Waren wirklich zerrieben in der Großen Koalition
Heinlein: Sie wollen nicht weiter über die Person Andrea Nahles sprechen, sondern eher über die Inhalte. Das merke ich, Frau Midyatli. Welche inhaltlichen Fehler hat denn die Partei mit Andrea Nahles in den letzten zwölf Monaten gemacht, dass man nun bei 15 Prozent gelandet ist?
Midyatli: Das ist tatsächlich nicht nur in den letzten Monaten, sondern wir stellen schon fest, dass wir wirklich zerrieben waren in der Großen Koalition und dass teilweise bei dem, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, sogar noch ein bisschen weniger herauskommt. Dabei sind das ja schon Kompromisse, die wir eingehen mussten, und die sind natürlich schwer vermittelbar bei den Menschen, dass sie von der SPD natürlich eine viel, viel stärkere Sichtbarkeit auch erkennen wollen und dass wir auch der Koalitionspartner sind. Ich merke das ja selbst hier; wir sind hier in Schleswig-Holstein in der Opposition und es ist sehr, sehr schwierig, hier dann eine Politik zu machen, weil dann heißt es immer, ja, ja, aber ihr in Berlin. Da schlägt das natürlich dann auch noch mal anders zurück. Von daher ist es tatsächlich insgesamt in der Großen Koalition schwierig, aber wir merken das ja gerade bei der Grundrente, wie die CDU da blockt, und da wünschen wir uns natürlich, dass das, was Hubertus Heil vorgelegt hat, auch so jetzt trägt, ohne Bedürftigkeitsprüfung, und auch beim Klimaschutzgesetz Svenja Schulze, unsere Umweltministerin. Nicht ohne Grund geht sie jetzt ja den Schritt nach vorne, weil sie merkt, dass einfach im Kabinett Dinge blockiert werden, monatelang wirklich liegen, weil dort keine Entscheidungen getroffen werden oder tatsächlich wirklich auch blockiert wird. Das ist keine gute Basis, um vernünftig dann auch miteinander zu arbeiten.
Heinlein: Wir haben noch 30 Sekunden, Frau Midyatli. Schwierigkeiten, zerrieben in der Großen Koalition – heißt das, die SPD sollte möglichst schnell aussteigen aus der Großen Koalition?
Midyatli: Vertrag ist Vertrag. Aber wir haben auch eine Revisionsklausel miteinander besprochen und von daher würden wir gerne die Diskussion darüber jetzt aufnehmen in der Partei und schauen, was geht und was noch nicht geht, oder was gar nicht mehr gehen wird, und dann auch tatsächlich miteinander überlegen, ob das so weitergehen kann.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.