Nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Staatensystems in Osteuropa haben sich im linken Spektrum nach einer kurzen Periode der Hoffnung auf eine Neubelebung der endgültig vom Schreckgespenst des Stalinismus befreiten Idee des demokratischen Sozialismus Enttäuschung und Resignation breit gemacht. Der Neoliberalismus hatte im Zusammenhang mit der nunmehr unangefochtenen hegemonialen Stellung nur noch einer einzigen Supermacht einen weltweiten Siegeszug angetreten, der so überraschend kam wie zuvor der Zusammenbruch des Kommunismus. Zur neoliberalistischen Wirtschafts- und Sozialordnung, so behaupteten nicht nur seine Anhänger, gebe es keine Alternative mehr, somit sei, wie es damals in einer berühmt gewordenen These hieß, das "Ende der Geschichte" erreicht. Auch die sozialdemokratischen Parteien schienen sich dieser Behauptung zu fügen.
Diesen Schock, der sich in Wellen durch die Linke aller Richtungen und Schattierungen zog und noch heute spürbar ist, sucht Chantal Mouffe, Professorin für Politische Theorie an der Universität von Westminster in London, in ihrem Werk zu verarbeiten.
Die sozialdemokratischen Parteien haben die Behauptung, es gebe zur bestehenden Ordnung keine Alternative, akzeptiert; sie haben sich unter dem Vorwand der 'Modernisierung' immer weiter nach rechts bewegt und als 'Mitte-links' neu definiert. Weit entfernt, von der Krise ihres alten kommunistischen Gegenspielers zu profitieren, ist die Sozialdemokratie in den Zusammenbruch hineingezogen worden. Für die demokratische Politik ist damit eine große Chance verlorengegangen. Nach den Ereignissen von 1989 wäre Zeit gewesen für eine Neudefinition der Linken, die nun von der Last des kommunistischen Systems befreit war. Es gab eine echte Chance für eine Vertiefung des demokratischen Projekts, weil traditionelle, jetzt aber in Frage gestellte politische Grenzen in progressiverer Weise hätten neu gezogen werden können. Leider ist diese Chance vertan worden.
In ihrem neuesten Buch "Über das Politische" stellt Chantal Mouffe ihren Vorschlag zu einer Neudefinition linker Politik noch einmal engagiert vor und sich selbst einmal mehr in die erste Reihe jener Kritiker der Sozialdemokratie, die unerschütterlich an deren Erbe festhalten, nämlich im Rahmen demokratisch-parlamentarischer Politik für die Hegemonie einer Alternative zur liberalistisch-kapitalistischen Gesellschaftsordnung zu kämpfen. Stattdessen habe die Sozialdemokratie die Theorie der antagonistischen, unversöhnlichen Widersprüche zwischen Arm und Reich, den Mächtigen und den Machtlosen, die ihrer Meinung nach die Gesellschaft nach wie vor durchziehen, aufgegeben und weitgehende Zugeständnisse an den Neoliberalismus gemacht. Die Programme der großen Parteien würden sich kaum noch voneinander unterscheiden, was beim Wähler zu der bekannten "Politikverdrossenheit" führe.
In Auseinandersetzung mit Theoretikern wie Ulrich Beck, Anthony Giddens und Jürgen Habermas, die mit ihren Thesen von einer "reflexiven Moderne", einem "Dritten Weg" zwischen Liberalismus und Sozialismus und dem Anspruch auf universale Geltung des westlich-rationalistischen Modells der argumentativen Konfliktlösung diese Entwicklung der Sozialdemokratie mitbefördert haben, unternimmt die Autorin den Versuch, marxistische Kernthesen mit neuen Begriffen zu reformulieren. Dabei holt sie sich Schützenhilfe von einem erbitterten Gegner sowohl des Liberalismus wie des Marxismus, nämlich von Carl Schmitt, dem konservativen politischen Philosophen und "Kronjuristen" des Dritten Reichs. Schmitt, dem Chantal Mouffe mit dem Titel ihres Buches, der an seine grundlegende Schrift "Der Begriff des Politischen" erinnert, ein Denkmal setzt, hält wie Marx den Antagonismus in den gesellschaftlichen Beziehungen, sein berühmtes "Freund-Feind-Verhältnis", für das Wesen des Politischen, dem alle praktische Politik Rechnung tragen müsse. Freilich widerspricht sie sowohl Schmitt als auch Marx, wenn diese die Lösung solcher Gegensätze nur mit staatlichen Gewaltmitteln oder Revolutionen für möglich halten. Wenn sie auch nicht zu lösen sind, so können und müssen sie im Rahmen des demokratischen Rechtsstaats politisch ausgetragen werden. Eine solche Politik habe es daher nicht mit "Feinden", sondern mit "Gegnern" zu tun. Mouffe orientiert sich an dem Begriff des Agon aus der griechischen Antike, der den geistigen und sportlichen Wettkampf bezeichnet. Politik sollte entsprechend als "agonistische", im friedlichen demokratischen Wettstreit auszutragende Politik bezeichnet werden.
Als Hauptaufgabe der Demokratie könnte man die Umwandlung des Antagonismus in Agonismus ansehen. Aus diesem Grund ist der 'Gegner' ein für demokratische Politik entscheidender Begriff. Das Modell der Gegnerschaft ist als für die Demokratie konstitutiv anzusehen, weil es demokratischer Politik die Umwandlung von Antagonismus in Agonismus erlaubt. Mit anderen Worten: Es hilft uns, Möglichkeiten anzuvisieren, wie die Dimension des Antagonismus 'gezähmt', wie mit Hilfe der Errichtung von Institutionen und formellen Rechtsgrundlagen der potentielle Antagonismus in agonistischer Weise ausgetragen werden kann. Die Entstehung antagonistischer Konflikte ist so lange unwahrscheinlich, wie für widerstreitende Stimmen legitime agonistische Artikulationsmöglichkeiten existieren. Wenn sie nicht existieren, tendiert der Dissens zu gewaltsamen Formen - sowohl in der nationalen als auch in der internationalen Politik.
Gegen die individualistischen und rationalistischen Grundannahmen der politischen Soziologie und Philosophie, die heute in der Sozialdemokratie den Ton angeben, hält Chantal Mouffe an dem Vorhandensein kollektiver Identitäten und den Identifikationen mit ihnen, das heißt an der affektiven Dimension des Politischen fest. Die Stimmabgabe bei Wahlen müsse ein Zeichen der Identifikation sein, nicht der bloßen Interessenvertretung. Aber gibt es solche Kollektive und Identifikationen heute noch und wo zeigen sich die Antagonismen zwischen ihnen? Beispiele aus den Kernzonen der westlichen Gesellschaften nennt die Autorin nicht. Sie verweist nur auf den Rechtspopulismus, ein schwer deutbares Gebilde am politischen Rand und, im Unterschied zu früheren nationalistischen Bewegungen, mit dem Begriff der kollektiven Identität wohl kaum zu fassen. Anders sieht es im globalen Rahmen aus, wo kollektive Identitäten zweifellos vorhanden sind. Ihr Plädoyer für eine agonistische Politik gegenüber anderen gesellschaftlichen und politischen Systemen und für "multipolare" Machtverhältnisse im globalen Rahmen, in denen Europa eine wichtige Rolle spielen könnte, ist angesichts der derzeitigen Politik der Vereinigten Staaten, die auf Unipolarität und einen Kosmopolitismus unter US-amerikanischer und neoliberalistischer Hegemonie zielt, durchaus plausibel. Alles in allem: wer sich hierzulande fragt, was an der heutigen Politik eigentlich "das Politische" ist, der sollte dieses Buch unbedingt lesen.
Chantal Mouffe: Über das Politische. Wider die kosmopolitische Illusion!
Aus dem Englischen von Niels Neumeier
Edition suhrkamp, Frankfurt 2007, 169 Seiten, 9 Euro
Diesen Schock, der sich in Wellen durch die Linke aller Richtungen und Schattierungen zog und noch heute spürbar ist, sucht Chantal Mouffe, Professorin für Politische Theorie an der Universität von Westminster in London, in ihrem Werk zu verarbeiten.
Die sozialdemokratischen Parteien haben die Behauptung, es gebe zur bestehenden Ordnung keine Alternative, akzeptiert; sie haben sich unter dem Vorwand der 'Modernisierung' immer weiter nach rechts bewegt und als 'Mitte-links' neu definiert. Weit entfernt, von der Krise ihres alten kommunistischen Gegenspielers zu profitieren, ist die Sozialdemokratie in den Zusammenbruch hineingezogen worden. Für die demokratische Politik ist damit eine große Chance verlorengegangen. Nach den Ereignissen von 1989 wäre Zeit gewesen für eine Neudefinition der Linken, die nun von der Last des kommunistischen Systems befreit war. Es gab eine echte Chance für eine Vertiefung des demokratischen Projekts, weil traditionelle, jetzt aber in Frage gestellte politische Grenzen in progressiverer Weise hätten neu gezogen werden können. Leider ist diese Chance vertan worden.
In ihrem neuesten Buch "Über das Politische" stellt Chantal Mouffe ihren Vorschlag zu einer Neudefinition linker Politik noch einmal engagiert vor und sich selbst einmal mehr in die erste Reihe jener Kritiker der Sozialdemokratie, die unerschütterlich an deren Erbe festhalten, nämlich im Rahmen demokratisch-parlamentarischer Politik für die Hegemonie einer Alternative zur liberalistisch-kapitalistischen Gesellschaftsordnung zu kämpfen. Stattdessen habe die Sozialdemokratie die Theorie der antagonistischen, unversöhnlichen Widersprüche zwischen Arm und Reich, den Mächtigen und den Machtlosen, die ihrer Meinung nach die Gesellschaft nach wie vor durchziehen, aufgegeben und weitgehende Zugeständnisse an den Neoliberalismus gemacht. Die Programme der großen Parteien würden sich kaum noch voneinander unterscheiden, was beim Wähler zu der bekannten "Politikverdrossenheit" führe.
In Auseinandersetzung mit Theoretikern wie Ulrich Beck, Anthony Giddens und Jürgen Habermas, die mit ihren Thesen von einer "reflexiven Moderne", einem "Dritten Weg" zwischen Liberalismus und Sozialismus und dem Anspruch auf universale Geltung des westlich-rationalistischen Modells der argumentativen Konfliktlösung diese Entwicklung der Sozialdemokratie mitbefördert haben, unternimmt die Autorin den Versuch, marxistische Kernthesen mit neuen Begriffen zu reformulieren. Dabei holt sie sich Schützenhilfe von einem erbitterten Gegner sowohl des Liberalismus wie des Marxismus, nämlich von Carl Schmitt, dem konservativen politischen Philosophen und "Kronjuristen" des Dritten Reichs. Schmitt, dem Chantal Mouffe mit dem Titel ihres Buches, der an seine grundlegende Schrift "Der Begriff des Politischen" erinnert, ein Denkmal setzt, hält wie Marx den Antagonismus in den gesellschaftlichen Beziehungen, sein berühmtes "Freund-Feind-Verhältnis", für das Wesen des Politischen, dem alle praktische Politik Rechnung tragen müsse. Freilich widerspricht sie sowohl Schmitt als auch Marx, wenn diese die Lösung solcher Gegensätze nur mit staatlichen Gewaltmitteln oder Revolutionen für möglich halten. Wenn sie auch nicht zu lösen sind, so können und müssen sie im Rahmen des demokratischen Rechtsstaats politisch ausgetragen werden. Eine solche Politik habe es daher nicht mit "Feinden", sondern mit "Gegnern" zu tun. Mouffe orientiert sich an dem Begriff des Agon aus der griechischen Antike, der den geistigen und sportlichen Wettkampf bezeichnet. Politik sollte entsprechend als "agonistische", im friedlichen demokratischen Wettstreit auszutragende Politik bezeichnet werden.
Als Hauptaufgabe der Demokratie könnte man die Umwandlung des Antagonismus in Agonismus ansehen. Aus diesem Grund ist der 'Gegner' ein für demokratische Politik entscheidender Begriff. Das Modell der Gegnerschaft ist als für die Demokratie konstitutiv anzusehen, weil es demokratischer Politik die Umwandlung von Antagonismus in Agonismus erlaubt. Mit anderen Worten: Es hilft uns, Möglichkeiten anzuvisieren, wie die Dimension des Antagonismus 'gezähmt', wie mit Hilfe der Errichtung von Institutionen und formellen Rechtsgrundlagen der potentielle Antagonismus in agonistischer Weise ausgetragen werden kann. Die Entstehung antagonistischer Konflikte ist so lange unwahrscheinlich, wie für widerstreitende Stimmen legitime agonistische Artikulationsmöglichkeiten existieren. Wenn sie nicht existieren, tendiert der Dissens zu gewaltsamen Formen - sowohl in der nationalen als auch in der internationalen Politik.
Gegen die individualistischen und rationalistischen Grundannahmen der politischen Soziologie und Philosophie, die heute in der Sozialdemokratie den Ton angeben, hält Chantal Mouffe an dem Vorhandensein kollektiver Identitäten und den Identifikationen mit ihnen, das heißt an der affektiven Dimension des Politischen fest. Die Stimmabgabe bei Wahlen müsse ein Zeichen der Identifikation sein, nicht der bloßen Interessenvertretung. Aber gibt es solche Kollektive und Identifikationen heute noch und wo zeigen sich die Antagonismen zwischen ihnen? Beispiele aus den Kernzonen der westlichen Gesellschaften nennt die Autorin nicht. Sie verweist nur auf den Rechtspopulismus, ein schwer deutbares Gebilde am politischen Rand und, im Unterschied zu früheren nationalistischen Bewegungen, mit dem Begriff der kollektiven Identität wohl kaum zu fassen. Anders sieht es im globalen Rahmen aus, wo kollektive Identitäten zweifellos vorhanden sind. Ihr Plädoyer für eine agonistische Politik gegenüber anderen gesellschaftlichen und politischen Systemen und für "multipolare" Machtverhältnisse im globalen Rahmen, in denen Europa eine wichtige Rolle spielen könnte, ist angesichts der derzeitigen Politik der Vereinigten Staaten, die auf Unipolarität und einen Kosmopolitismus unter US-amerikanischer und neoliberalistischer Hegemonie zielt, durchaus plausibel. Alles in allem: wer sich hierzulande fragt, was an der heutigen Politik eigentlich "das Politische" ist, der sollte dieses Buch unbedingt lesen.
Chantal Mouffe: Über das Politische. Wider die kosmopolitische Illusion!
Aus dem Englischen von Niels Neumeier
Edition suhrkamp, Frankfurt 2007, 169 Seiten, 9 Euro