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Vorurteile und ihre historischen Wurzeln

Das Zerrbild vom reichen Juden, der mit dem Verleihen von Geld sein Vermögen vergrößert, zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte des Judentums. Eine Ausstellung im Jüdischen Museum Frankfurt fragt nach den Wurzeln und den Folgen dieses antisemitischen Klischees.

Von Bettina Köster | 23.05.2013
    "3000 Dukaten. Für drei Monate. Und Antonio bürge. Antonio ist ein guter Mann. Wenn ich sag, dass er ein guter Mann ist, meine ich, dass er bürgschaftsfähig ist. Der Mann ist gut, mhm. 3000 Dukaten, mhm. Ich denk, ich könnt wohl seinen Schuldschein nehmen."

    "Der Einstieg ist, dass wir einen Schauspieler vom Schauspiel Frankfurt gebeten haben, auf der einen Seite sich sozusagen in Nathan zu verwandeln, auf der anderen Seite in Shylock zu verwandeln, und beide führen eine Art Dialog mit Zitaten aus den Stücken, die sich eben um das Thema Geld drehen."

    In William Shakespeares "Kaufmann von Venedig" sucht Bassanio den jüdischen Geldverleiher Shylock auf, um sich von ihm Geld zu leihen. Als Bürgen hat der den Kaufmann Antonio im Rücken. Shylock lässt sich auf das Geschäft ein, verlangt aber keine Zinsen, sondern ein Stück Fleisch aus Antonios Körper, falls Shylock seine 3000 Dukaten nicht zurückbekommt. Ist Shylock ein böser Jude?

    Zwei Jahrhunderte später kommt Lessings Nathan der Weise auf die Bühne. Auch Nathan ist ein reicher Jude, der einem Sultan eine Staatsanleihe gewährt. Als Gegenleistung erwartet er nur, dass er am Ort geduldet wird. Nathan, ganz der Philosophie der Aufklärung verschrieben, lässt in einer Parabel die drei Religionen Judentum, Christentum und Islam gleichwertig nebeneinander gelten. Ist Nathan ein guter Jude?

    Zumindest wurden beide Theaterfiguren in der Geschichte immer wieder politisch eingesetzt und sie stehen in der Ausstellung exemplarisch für die schillernden Vorstellungen von reichen Juden.

    Aber warum gibt es diese scheinbar selbstverständliche Verbindung zwischen Juden und Geld? Die Wurzeln sind beim mittelalterlichen jüdischen Geldverleiher zu finden. Juden hatten damals keinen Zugang zu den Zünften und waren dazu gezwungen, sich andere Einnahmequellen zu suchen, erklärt der Historiker Fritz Backhaus, der stellvertretender Direktor des Jüdischen Museums in Frankfurt ist.

    "Der Zusammenhang zwischen dem christlichen Verbot des Geldverleihs gegen Zinsen im Mittelalter und der Vorstellung, dass das unmittelbar in die Hölle führt. Hier sieht man ein großes Höllenbild als Schlüsselbild mit einem Zitat ‚Welch abscheuliche Sünde‘ aus dem "Kaufmann von Venedig" und daneben eine Installation. Und man sieht eben, wie das sich verbindet. Die Waage bewegt sich nach unten und nach oben und es tauchen Begriffe auf wie Wucher, wie Sünde, wie Hölle und Zeit. Und es zeigt sich, wie eben in der christlichen Vorstellung, wenn man eben wuchert, eine Todsünde begeht und diese Todsünde in die Hölle führt."

    Einen wesentlich besseren Ruf als die mittelalterlichen Geldverleiher hatten die Hofjuden. Im 17. und 18. Jahrhundert bekamen sie Titel wie Hoffaktor oder Finanzrat. Sie hatten eine Sonderstellung und rückten stärker an die höfische Gesellschaft. Einige werden auf einer Bühne der Frankfurter Ausstellung im Jüdischen Museum in Szene gesetzt. Der Historiker Fritz Backhaus:

    "Wir haben hier eigentlich den ersten großen Hoffaktor des Kaisers, also der Habsburger. Das ist Salomon Oppenheimer, und man sieht auf dem Porträt die Waren, mit denen er gehandelt hat. Man sieht hier neben dem, dass er Geld dem Kaiser besorgt hat, Musketen, Pulverfässer, Uniformteile. Und Hintergrund ist der, dass in den Kriegen gegen die Türken, die ja 1683 noch mal Wien belagert haben, dass er eine wesentliche Rolle in den Kriegen der Habsburger gegen die Türken geführt hat, als derjenige, der sie finanziert hat, der Lieferungen an die Armee geleistet hat und von daher eben eine wichtige Rolle im Kampf gegen die Türken gespielt hat."
    Obwohl die Hoffaktoren durch die Finanzierung von Staatsgeschäften oder Kriegen eine zentrale Rolle spielten, konnten mit ihrem Geschäft große Unsicherheiten verbunden sein.

    "Das Risiko, das sich mit dem Status Hoffaktoren verbindet, ist hier an Süß Oppenheimer zu sehen. Der berühmte Jud Süß, der ja oft literarisch und filmisch dargestellt worden ist. Der als Minister des Herzogs von Württemberg eine sehr zentrale Rolle spielte. Nach dem Tod des Herzogs aber von den Ständen auch zu dieser politischen Auseinandersetzung verhaftet wurde und in einer Art Schauprozess hingerichtet wurde. Und diese Hinrichtung ist sehr häufig dargestellt worden in allen möglichen Formen von Flugblättern."

    Auch wenn das Schicksal von Süß-Oppenheimer eher eine Ausnahme darstellte, so waren doch viele Hoffaktoren sehr abhängig von ihren Fürsten. Konnte der das geliehene Geld nicht zurückzahlen, war die Pleite des Hoffaktors ebenfalls vorprogrammiert.

    "Das ist ein Aktienhändler, also die Börse auf der linken Seite. Banken und Börse des 19. Jahrhunderts und auf der rechten Seite die Kaufhäuser. Wer ist der Kaufmann hier und wer der Jude, ist das Zitat. Da geht’s drum, dass die Kaufhäuser Ende des 19. Jahrhunderts fast ausschließlich von jüdischen Unternehmern gegründet worden sind, also berühmt ist ja heute noch Wertheim oder Hertie. Und dass diese Kaufhäuser, wie man hier sieht, sehr prächtig inszeniert worden sind. Also Reichtum inszeniert haben und dann eben für ein breites Publikum, und dass eben diese Inszenierung des Reichtums, wenn man so will, mit den jüdischen Besitzern dann verbunden worden ist. Mit sehr aufwendiger Architektur, mit sehr aufwendiger Innengestaltung. Und da entsteht auch so eine Verbindung in der Vorstellung mit dem Reichtum, der dort präsentiert wird sozusagen als Inszenierung und den Besitzerfamilien."

    Dieses Weitergeben von subtilem Antisemitismus in Bezug auf das Verhältnis von Juden und Geld bestätigt auch die Professorin für Psychologie Birgit Rommelspacher.

    "Es gibt auch so was wie nichtintentionalen Rassismus, also wo man es nicht will. Ich hatte mal früher eine Untersuchung gemacht zum Antisemitismus bei jungen Frauen, und da habe ich mich auch für das Thema interessiert, wie wird eigentlich ein Tabu tradiert, wie wird das weitergegeben. Und da erzählte mir eine Frau davon, dass sie sagte, ja meine Eltern haben mir erklärt, wie es zum Nationalsozialismus und zum Mord an den Juden gekommen ist, die waren nämlich so reich und deswegen waren die anderen neidisch auf sie und deswegen ist dieses Mordregime entwickelt worden, aber das ist ja nun kein Grund, die Juden umzubringen, wenn sie reich sind, so haben die das ihren Kindern vermittelt. Damit haben sie aber gleichzeitig das Stereotyp des reichen Juden mitgegeben, obwohl sie eigentlich ihre Tochter aufklären wollten."

    Rommelspacher fordert deshalb zu einem kontinuierlichen und offenen Gespräch auf über all die Vorstellungen, die in vielen Köpfen oft unausgesprochen herumgeistern.


    "Also ich denke, es hat keinen Sinn zu leugnen, ich hab die Bilder nicht, ich bin aufgeklärt, ich bin tolerant, ich bin kritisch, sondern man sollte sehen, man ist in dieser Gesellschaft sozialisiert und mehr oder weniger jeder hat es in sich. Was ich sagen will, ist, dass im Grunde genommen kein anderer Weg vorbei geht als ständige Aufklärung, ob das nun in Schulen oder Hochschulen oder eben auch im öffentlichen Diskurs oder eben in Form einer Ausstellung."

    Zur Reflexion und zum Austausch über das facettenreiche Thema Juden und die Verbindung zum Geld will die Frankfurter Ausstellung natürlich auch wieder neu anregen. Fritz Backhaus:

    "Im Laufe des 19. Jahrhunderts entsteht die Debatte, wer ist eigentlich schuld am Kapitalismus, also die extreme Veränderung der Gesellschaft durch die Industrialisierung, den Kapitalismus, der alle Lebensbereiche erfasst, spätestens um 1900 eigentlich, und dann von Werner Sombart, dem Begründer der Soziologie, die These aufstellt in einem weitverbreiteten Buch, letztendlich sind die Juden diejenigen, die den Kapitalismus erfunden haben. Er sieht das aber eher aus so einer kritischen Sicht heraus. Aus so einer konservativen kritischen Sicht, die Juden sind schuld am Kapitalismus. Da gab es eine große Debatte darum. Gibt es eine besondere Affinität der Juden zum Kapitalismus, gibt es ein jüdisches Gen, das in den Kapitalismus hereingekommen ist."

    Und diese Debatte reicht bis in die Gegenwart, so Backhaus, und verweist auf die Diskussionen, die die Occupy-Bewegung über die moralischen Grundlagen der Finanzwirtschaft ausgelöst hat. Ein Graffiti am Bauzaun der Europäischen Zentralbank zeigt beispielsweise, dass alte Ressentiments teilweise wieder wach wurden. Ein Foto von dem Graffiti ist in der Ausstellung zu sehen.

    "In der Physiognomie dieser Figur, die gezeigt wird mit einer Eurobombe in der Hand, dass da so antisemitische Stereotypen reinrutschen, und das ist mit der Darstellung der Nase – und wenn man viele solche Bilder gesehen hat, dann fällt einem das sehr ins Auge und das ist etwas, was sicher gar nicht von dem Maler, der das Graffiti hergestellt hat, gar nicht antisemitisch gesehen hat, aber es gibt so eine Bilderwelt, Vorstellungswelt, die in uns allen wirkt, und Ziel der Ausstellung ist, dass man eben zum Nachdenken darüber anregt, dass man eben auch so eine kritische Selbstsicht entwickelt."

    Die Finanzkrise als großer Einschnitt in unsere Gesellschaft, der tradierte Bilder von geldgierigen Juden wieder aufblühen lässt. Diese Gefahr besteht, meint auch Birgit Rommelspacher:

    "Diese Gier-Debatte, die geht schon so ein bisschen in diese Richtung, wie wenn das jetzt gewissermaßen hauptsächlich ein Problem von irgendwelchen Persönlichkeitsmerkmalen von Bankiers wäre, anstatt diese strukturellen Bedingungen, wie weit das Finanzsystem demokratisch und öffentlich kontrolliert wird, das wird so zurückgedrängt und dann so personalisiert und personifiziert und da ist die Gefahr ganz groß, dass da dann der gierige Banker, dass da dann der Jude hingesetzt wird."