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Vorwahlkampf in den USA
Das Phänomen Bernie Sanders

Bei den Vorwahlen in Iowa unterlag er Hillary Clinton nur knapp: Senator Bernie Sanders aus Vermont punktet mit großen Versprechen wie kostenlosen Universitäten und Revolutionsrhetorik vor allem bei jungen Wählern. Doch es gibt auch Bevölkerungsgruppen, die den selbsternannten "Sozialisten" unter den Demokraten kritisch sehen.

Von Marcus Pindur | 06.02.2016
    Bernie Sanders bei einer Vorwahlparty in Iowa.
    Bernie Sanders hat einfache Rezepte: Höhere Steuern für Banken und Unternehmen lösen die Wirtschaftskrise. (picture alliance / EPA / Larry W. Smith)
    Die weinende Frau im Publikum hätte ein zynischer Wahlkampfstratege nicht besser platzieren können. Die Wählerin, Mitte 40, erzählte unter Tränen auf einer Wahlkampfkundgebung für Bernie Sanders, sie sei alleinerziehend, habe drei Kinder und hätte immer wieder versucht, mit mehreren Mindestlohn-Jobs zu überleben.
    "Man kann keine Geschenke für die Kinder kaufen. Das ist wirklich schwer. Ich habe drei oder vier, manchmal fünf Jobs gehabt, alle mit Mindestlohn. Obwohl ich einen Berufsabschluss habe. Ich bin geschieden und ich warte jetzt darauf, dass ich eine Berufsunfähigkeitsrente bekomme."
    Worauf sich ihre Berufsunfähigkeit stützt, ließ sie offen. Betroffenheit im Saal. Die Frau gehört zu den Wählern, die Sanders' Narrative von einer amerikanischen Wirtschaft im Abschwung bebildern.
    "Danke. Es ist nicht einfach, aufzustehen und so etwas zu sagen. Aber erst wenn Millionen anderer, die das durchmachen, was Sie durchleben, das auch öffentlich sagen, dann können wir einen grundlegenden Wandel bekommen. Ein Leben in Würde mit zehn- oder zwölftausend Dollar im Jahr ist nicht möglich."
    Erfolg dank Krise
    Ohne die große Wirtschafts- und Finanzkrise und der damit einhergehenden Verunsicherung weiter Teile der amerikanischen Mittelschicht ist das Phänomen Bernie Sanders nicht zu erklären. Einkommensungleichheit ist sein großes Thema. Und wenn man dem demokratischen Sozialisten, wie er sich nennt, zuhört, dann scheint alles ganz einfach: Wenn nur die großen Banken und Unternehmen mehr Steuern zahlen würden, dann könnte auch mehr umverteilt werden.
    Multilaterale Handelsverträge wie das Transpazifische oder das Transatlantische Handelsabkommen lehnt er ab. Zölle sollen amerikanische Arbeitnehmer vor ausländischer Konkurrenz schützen – eine Forderung, die er übrigens mit Donald Trump teilt. Dass amerikanische Unternehmen wie Apple oder Google weltweit Geschäfte machen, dass auch die USA in die globalisierte und arbeitsteilige Wirtschaft immer mehr integriert sind, blenden die Populisten aus.
    Sanders liegt wenige Tage vor der Vorwahl in New Hampshire mit 20 Prozentpunkten in den Umfragen vor seiner Konkurrentin Hillary Clinton. Sogar die knappe Niederlage gegen Clinton in Iowa Anfang der vergangenen Woche konnte der Senator aus Vermont als Erfolg verbuchen. Nur 0,3 Prozent lag Bernie, wie ihn seine Anhänger nennen, hinter der ehemaligen Außenministerin.
    "Wir haben es mit der mächtigsten politischen Maschine des Landes aufgenommen. Wir haben uns aus einem Rückstand von 50 Prozentpunkten nach vorne gekämpft. Und wir haben damit die politische Revolution für das gesamte Land begonnen."
    Große Versprechen im revolutionären Gewand
    Sendungsbewusstsein, gepaart mit großen Versprechen und Revolutionsrhetorik haben Bernie Sanders' Kampagne zu einer Erfolgsgeschichte gemacht, die vor 9 Monaten niemand für möglich gehalten hätte. Mit diesem Schwung kann er in die Vorwahl in New Hampshire gehen. Sanders´ Unterstützer sind in der Regel jung und enthusiastisch, so wie diese beiden Studenten.
    "Er bleibt dran, er gibt nicht auf, es gibt soviel Wischiwaschi in der Politik, er redet Klartext."
    "Er redet auf positive Art über Immigration. Er redet auch über Marihuana und die Reform der Drogengesetze und all diese Dinge, die schlecht in unserem Land sind. Und er gibt gute Antworten."
    Daran haben jedoch viele Demokraten Zweifel, auch wenn sie Sanders Ziele im Ansatz teilen. Seine Pläne wären nur mit großen Steuererhöhungen für die Mittelschicht zu bezahlen. Dafür gibt es keine politischen Mehrheiten, auch nicht bei den Demokraten.
    Besonders attraktiv für Puristen
    Sanders spricht mit Forderungen nach kostenlosen öffentlichen Universitäten besonders junge Wähler an. Damit trifft er einen Nerv, weil in den letzten 20 Jahren die Kosten für Berufs- und höhere Bildung in den USA explodiert sind. Gleichzeitig geben die USA nur 0,1 Prozent des Bruttosozialproduktes für berufliche Fortbildung aus. Zum Vergleich: In Deutschland sind es 0,8 Prozent.
    Hat Sanders deshalb so viel Unterstützung bei jungen Leuten unter 25 Jahren?
    Der Politikwissenschaftler Michael McDonald von der Florida University sieht auch noch einen anderen Faktor am Werk.
    "Bernie Sanders ist für bestimmte Wähler in den demokratischen Vorwahlen anziehend. Ich würde sie die Puristen nennen. Und junge Leute haben oft eine idealistische Einstellung, sie glauben, dass Politik so ideologisch rein funktionieren müsse."
    Dennoch ein steiniger Weg
    Junge Wähler gehen allerdings nicht so zuverlässig zur Wahl wie ältere. Und das ist nicht das einzige Problem, das auf den 74-jährigen Senator zukommt. Steinig wird der Weg für ihn nach New Hampshire, wenn es in Bundesstaaten mit vielen schwarzen Bürgern und Latinos geht. Dort ist Hillary Clinton weitaus beliebter. Doch vorerst wird Sanders ihr Paroli bieten können, weil seine Kampagne gut finanziert ist: Innerhalb eines Monates hat er 20 Mio Dollar an Wahlkampfspenden einwerben können.