Donnerstag, 25. April 2024

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Waffenlieferungen in den Irak
"Keine klare Linie der Bundesregierung erkennbar"

In der Diskussion um mögliche Waffenlieferungen an den Irak vermisst der CDU-Politiker Norbert Röttgen eine klare Linie der Bundesregierung. Solche Lieferungen seien wegen des drohenden Kontrollverlusts hochproblematisch, sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Deutschlandfunk.

Norbert Röttgen im Gespräch mit Sandra Schulz | 15.08.2014
    Norbert Röttgen
    Norbert Röttgen (dpa/picture alliance/Rolf Vennenbernd)
    Deutschland habe die Tradition, dass in akute Kriegsgebiete keine Waffenlieferungen stattfinden, sagte Norbert Röttgen (CDU). Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages betonte, eine Abweichung davon sei nur legitim, wenn man sich der Konsequenzen bewusst sei. Nötig sei ein politisches Konzept für die Zukunft des Irak. Man müsse sich fragen, was man in dem Land erreichen wolle, sagte Röttgen im Deutschlandfunk. Einer der nächsten Konflikte drehe sich um die Frage der Unabhängigkeit der Kurden im Irak. Statte man sie nun mit Waffen aus, sei ungewiss, was in Zukunft damit passierte, so Röttgen.
    Russland liefert Militärgerät an Separatisten
    Zu den Berichten über das Vorrücken eines russischen Militärkonvois auf ukrainisches Gebiet sagte Röttgen, es handele sich nicht um eine neue Qualität von Invasion. Russische Lieferungen von Militärgerät an die Separatisten in der Ost-Ukraine seien seit Langem Realität. Daher sei sicherzustellen, dass auch der Konvoi mit Hilfsgütern unter internationale Kontrolle und Führung des Roten Kreuzes gestellt werde. Niemand im Westen wisse, woraus die Ladung wirklich bestehe, sagte Röttgen im DLF-Interview.

    Sandra Schulz: Und am Telefon begrüße ich jetzt Norbert Röttgen von der CDU, den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. Guten Morgen!
    Norbert Röttgen: Guten Morgen!
    Schulz: Wie bewerten Sie die Meldungen über diesen Militärkonvoi?
    Röttgen: Ich glaube, man kann ihn nur erst mal so bewerten, wie Ihre Kollegin das vor Ort getan hat, dass es bedauerlicherweise wohl ein Fall ist der seit Langem stattfindenden russischen Lieferungen an militärischem Gerät in die Ukraine, um dort die Separatisten auszustatten. Es scheint sich nach dem, was man eben von dem „Guardian"-Bericht hört, genau um diesen Fall zu handeln, leider zu handeln, andererseits nicht um eine neue Qualität von militärischer Invasion.
    Schulz: Aber um Normalität handelt es sich dabei dann?
    Röttgen: Ja, Krieg verschiebt vielleicht die Vorstellung von Normalität. Es ist das, was seit Langem ja die Normalität, das heißt, die kriegerischen Auseinandersetzung in der Ostukraine ist, die leider durch Russland aktiv durch Waffenlieferungen und das Einfließen von Kämpfern befördert wird. Das ist leider die traurige Realität, nicht die Normalität.
    Schulz: Wie bewerten Sie denn dann die Entwicklungen aus den letzten Tagen? Dieser Konvoi mit den 280 Lastwagen – ein Ablenkungsmanöver?
    Röttgen: Man kann es wegen des Vertrauensverlustes, der eingetreten ist bei Putins Tun und Reden, nicht genau bewerten. Darum ist ja auch die Verabredung getroffen worden, dass die humanitären Hilfeleistungen unter internationaler Kontrolle und Führung, nämlich des internationalen Roten Kreuzes, durchgeführt werden. Daran hält sich Putin nicht. Und das löst Misstrauen natürlich aus, völlig verständlicherweise. Darum soll ja jetzt dieser Konvoi auch kontrolliert werden, das Ausladen des Konvois überwacht werden. Das scheint soweit nun unter Kontrolle zu sein. Ob sich daran nun auch Putin hält, wird man sehen müssen. Aber es ist unverzichtbar, auf die internationale Führung und Überwachung zu drängen.
    Schulz: Was glauben Sie denn, was sich in diesen 280 Lastwagen befindet?
    Röttgen: Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht, keiner weiß es, im Westen jedenfalls, und darum hilft nur eins: Es muss unter Kontrolle, Führung des Internationalen Roten Kreuzes geschehen, damit rettendes Material, Nahrung und andere Mittel, den Menschen, die in Bedrängnis und Not sind, geholfen werden, bei den Menschen ankommen. Das muss sichergestellt werden. Alles andere ist nicht weiterführende Spekulation.
    Schulz: Die EU hat Anfang August Sanktionen beschlossen gegen Russland. Russland hat mit Sanktionen geantwortet. Hatten Sie den Eindruck, dass sich die Situation der Menschen im Osten der Ukraine seitdem wesentlich verbessert hat?
    Röttgen: Nein, natürlich nicht, und das war auch nicht ... konnte nicht die Intention der Sanktionen sein. Die Situation der Menschen dort wird ja immer schlechter.
    Schulz: Also es geht nicht darum, die Situation der Menschen zu verbessern, habe ich das richtig verstanden?
    Röttgen: Nicht kurzfristig. Das ist ... Wir haben ja eine akute Konflikt- und Kriegssituation dort. Und das Ziel der Sanktionen ist, deutlich zu machen und darauf einzuwirken, dass insbesondere Putin, der russische Präsident, seine Unterstützung für die Separatisten und damit eine Quelle des Konfliktes und des Krieges nicht weiter aufrecht erhält. Dass der Westen, die Europäer, die Amerikaner, es ernst meinen damit, dass diese Verletzung der Friedensordnung, die täglich passiert, nicht hingenommen wird. Das ist nicht nur reden, sondern das wird mit Folgen belegt: Das drückt die Ernsthaftigkeit aus. Das wiederum – da bin ich ganz sicher, die Zeichen sind unübersehbar – hat auf Putin eingewirkt. Das zeigt auch seine Reaktion. Also ist es ein Beitrag dazu, dass sich die Situation entspannen kann, indem eben der Krieg eingestellt wird und die Unterstützung von der russischen Seite. Der Krieg wird von russischer Seite unterstützt und von den Separatisten geführt.
    Schulz: Herr Röttgen, können Sie uns das deutlicher machen? Inwiefern zeichnet sich denn ab, dass Putin auf den Westen jetzt möglicherweise zukommt? Putin hat mit Gegensanktionen reagiert.
    Röttgen: Nicht zukommt, sondern dass diese Sanktionen auf ihn gewirkt haben in dem Sinne, dass ihm nun auch klar geworden ist, dass der Westen einheitlich ist und die Situation wirklich ernst meint. Ich meine, man sieht das an den Gegensanktionen, die er beschlossen hat, die ich nicht für einen Eintritt in eine Eskalation halte. Es ist die Verabredung international geführter, humanitärer Aktionen und Hilfe für die Menschen in der Nachfolge beschlossen worden. Und der wirtschaftliche Preis, den Putin zu bezahlen hat, Rubelverlust, also Währungsverlust, internationale Investitionen, die nicht mehr stattfinden oder zurückgenommen werden, auch internationale Isolierung – das wirkt alles, das sieht er. Und ich glaube, es trägt mit dazu bei, dass er sich auch die Frage stellt: Wie komme ich aus der Situation wieder raus? Das ist allerdings eine schwierige Operation.
    Schulz: Aber noch mal nachgefragt, Herr Röttgen, Sie haben eben gesagt, bei den Sanktionen sei es jetzt nicht in erster Linie darum gegangen, die Situation in der Ukraine, die Situation der Menschen zu verbessern.
    Röttgen: Unmittelbar, ja.
    Schulz: Was tut die Außenpolitik, was tut die Europäische Union denn dann, um die Situation der Menschen zu verbessern und die Lage zu entschärfen.
    Röttgen: Ja, nicht unmittelbar. Also das muss man ... Diese Sanktionen haben nicht die unmittelbare Wirkung und Absicht, die Situation unmittelbar zu verbessern. Sie sind ja sozusagen eine wirtschaftliche präventive Maßnahme, Belastungsmaßnahme, die auf Putin einwirken soll, den Konflikt nicht weiter zu befeuern und darum mittelfristig, also im Laufe der Zeit dazu führen soll, dass dieser Konflikt beendet wird. Das ist die Erlösung oder die Befreiung erst mal der Menschen dort. Dann kann Wiederaufbau geleistet werden. Die Sanktionen sind ein politischer Mechanismus und sie sind kein unmittelbar wirkender humanitärer Mechanismus. Das ist die Wahrheit von Sanktionen.
    Schulz: Norbert Röttgen, CDU, der Vorsitzende im Auswärtigen Ausschuss heute hier in den „Informationen am Morgen". Und wir schauen natürlich noch auf das andere wichtige außenpolitische Thema, auf die Situation im Irak, auf die Diskussion über mögliche Waffenlieferungen. Gestern hat es die Meldung gegeben, dass die Bundeswehr heute gut 30 Tonnen Hilfsgüter in den Irak fliegen will. Die Hilfe aus Deutschland, die läuft an. Reicht das?
    Röttgen: Das ist jedenfalls ganz, ganz wichtig, dass es stattfindet. Andere Länder haben das ja auch schon geleistet. Es droht vielen, vielen Menschen dort, die bedroht sind vom ISIS-Terror, zu verdursten und zu verhungern. Und darum ist diese Hilfe, diese humanitäre Hilfe entscheidend für das Überleben vieler Menschen. Und es muss so viel von dieser Hilfe geleistet werden, damit keiner zu Schaden kommt und alle Menschen, so weit es noch geht, gerettet werden.
    Schulz: Wenn wir über die Diskussion über die Waffenlieferung sprechen – da hat es mehrere gegensätzliche Äußerungen gegeben in dieser Woche. Sehen Sie eine klare Linie der Bundesregierung?
    Der CDU-Politiker Norbert Röttgen
    Über Norbert Röttgen
    Geboren 1965 in Meckenheim, Nordrhein-Westfalen. Der CDU-Politiker studierte bis 1989 Rechtswissenschaften in Bonn und legte 1993 seine zweite juristische Staatsprüfung ab. 2001 promovierte er mit einer Arbeit über die Argumentation des Europäischen Gerichtshofs. Seit 1982 ist Röttgen Mitglied der CDU und seit 1994 Mitglied des Deutschen Bundestages. Zwischen 2009 und 2012 nahm er das Amt des Bundesumweltministers wahr. Zwischen 2010 und 2012 war der Vorsitzender der Landes-CDU in Nordrhein-Westfalen und deren Spitzenkandidat bei der Landtagswahl. Seit 2014 ist er Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag.
    Röttgen: Nein, eine klare Linie sehe ich nicht. Wir haben ja eine Tradition in Deutschland, die sich auch in den Exportrichtlinien ausdrückt, dass in akute Kriegs- und Konfliktsituationen Waffenlieferungen nicht stattfinden. Das hat auch seinen guten Grund. Wenn man davon abweichen will, dann muss man die vielen Fragen, die sich stellen, beantworten: Was will man damit erreichen? Waffenlieferungen selbst, und zwar militärisch und politisch, Waffenlieferungen in akute Kriegsgebiete sind eigentlich mit das Problematischste, was man tun kann.
    Schulz: Ja, Herr Röttgen, von den Fragen würde ich, ehrlich gesagt, gerne selbst auch noch ein paar stellen.
    Röttgen: Ja, bitte.
    Schulz: Sie haben gerade gesagt, es gebe keine klare Linie der Bundesregierung. Das ist ja recht scharfe Kritik. Trotzdem würde ich Sie bitten, Sie sind der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Sie sind in der CDU, Sie sind in derselben Partei wie die Bundeskanzlerin Angela Merkel, die jetzt zum Schluss gesagt hat, es müssen politische und rechtliche Spielräume, wo nötig, auch ausgeschöpft werden. Was bedeutet das?
    Röttgen: Das ist eben die Frage, was das bedeutet.
    Schulz: Beantworten Sie uns die eventuell auch noch?
    Röttgen: Ja, nein – ich kann ja meine Position dazu sagen. Meine Position ist, das sagte ich eben: Waffenlieferungen in akute Kriegsgebiete halte ich für prinzipiell hochproblematisch, weil sie einerseits mittelbare Konfliktbeteiligung bedeuten. Und andererseits bedeuten sie auch Kontrollverlust. Man hat ja dann keine Kontrolle: Was geschieht mit diesen Waffen? Wir haben ja auch Erfahrungen damit gemacht. Die Taliban sind einst ausgestattet worden vom Westen mit Waffen, als sie gegen die Sowjetunion kämpften. ISIS ist ausgestattet worden, nicht vom Westen, aber von anderen Gegnern Assads, als ISIS gegen Assad kämpfte, was sie auch noch tun. Das heißt, man verliert Kontrolle. Und darum ist das sehr, sehr problematisch. Man muss fragen: Was ist das militärische Ziel, was man erreichen will? Will man die Kurden komplett ausstatten, damit sie ISIS schlagen? Dann wird man sehr viel Waffen liefern müssen, auch anderen Gruppen wie den Schiiten. Was ist mit der irakischen Armee? Und was ist das politische Konzept? Wenn man Waffen liefert, dann setzt das, löst das auch eine politische Verantwortung aus, ein Gesamtkonzept zur Lösung zu haben. All diese Fragen stellen sich.
    Schulz: Ja, Herr Röttgen, und nachdem Sie all das so diskutieren – was machen Sie denn, wenn die Bundesregierung sich jetzt zu Waffenlieferungen entschließt? Treten Sie dann aus und treten in die Linke ein?
    Röttgen: Na, die Linke, Gregor Gysi und andere, fordern ja auf einmal Waffenlieferungen.
    Schulz: Nein, Gregor Gysi hat das gestern hier im Deutschlandfunk revidiert. Insofern stünde die Tür Ihnen da sicherlich offen.
    Röttgen: Stünde die Tür dann offen. Und das ist ja sehr gut zu wissen. Nein, das ist eine Diskussion, die man führen kann auch innerhalb einer Partei. Ich habe meine Position und meine Bedenken und mindestens die Fragen, die ich nicht beantwortet sehe, ja gerade artikuliert. Wir haben ja auch eine ganz etablierte Praxis, wie wir mit diesen Waffenlieferungen umgehen. Und wenn man von dieser Praxis abweicht, dann ist das auch legitim, zu diskutieren. Aber ich sehe eben die Pflicht und die Last, dann auch diese Fragen zu beantworten. Man löst eine hohe Verantwortung aus. Man begibt sich der Kontrolle in der Verwendung von Waffen in eine Region, die ein Übermaß an Waffen hat, in denen es viele Konflikte gibt. Einer der nächsten Konflikte wird sein die Frage der staatlichen Unabhängigkeit Kurdistans. Der Präsident Barzani hat schon sich für ein Referendum ausgesprochen. Das heißt, die Konflikte werden weitergehen. Dann sind deutsche Waffen da, von denen Deutschland nicht sagen kann: Was geschieht eigentlich mit den Waffen im weiteren Verlauf und im weiteren Einsatz? Und darum, glaube ich, sind da noch viele Fragen offen.
    Schulz: Der CDU-Politiker Norbert Röttgen, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, heute hier in den „Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Herzlichen Dank Ihnen!
    Röttgen: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.