Der Coup von Unionskanzlerkandidatin Angela Merkel ist zunächst aufgegangen. Denn seit der Ernennung des ehemaligen Verfassungsrichters Paul Kirchhof zum Finanzexperten für das CDU-Wahlkampfteam dominiert die Steuerpolitik die innenpolitische Debatte.
Das Kuriose dabei: Kirchhof vertritt einen radikalen Steueransatz, der deutlich weiter geht als die Wahlkampfpositionen der Union.
Bürgerstimmen: "Sein Konzept finde ich unausgewogen und ungerecht, weil mir der soziale Aspekt dort fehlt. "
"Tendenziell gut, ich glaube aber das zu einem falschen Zeitpunkt kommt, einfach zu früh, zu viel und im Wahlkampf ist das politisch nicht so clever. "
"Ich kann mir nicht vorstellen, dass man das irgendwie finanzieren kann, weil 25 Prozent für Alle klingt in meinen Augen nicht so als ob das finanzierbar wäre. Also gerade wenn Spitzenverdiener dadurch so viel weniger Steuern zahlen müssten. "
Kirchhof: "Es geht nicht mehr formal – Steuersatz 39, 35 oder 30 Prozent – sondern jetzt geht es darum, dass dieser Staat, dass diese Menschen eine gerechte Steuer wollen. Und man sieht, dass die erste Frage die ist, dass wir das volle Einkommen versteuern. Wenn also jemand 200.000 verdient, dann soll er nicht 100.000 versteuern, sondern 200.000. Das ist die wichtigste Frage der Steuergerechtigkeit. Und erst in zweiter Linie, wenn wir alle die Privilegien, die Ausnahmen, die Lenkungstatbestände abgeschafft haben, dann stellt sich erst die Frage, in wieweit wir mit dem Steuersatz runter gehen können. Und das dies im Mittelpunkt einer kritischen Diskussion steht, ist ein schöner Erfolg. "
Freilich, Kirchhof fordert nichts weniger als die steuerpolitische Revolution: Alle Subventionen sollen abgebaut werden. Das Prinzip: Alle Vergünstigungen und Ausnahmen von der Steuerpflicht müssen weg, im Gegenzug sollen alle Arbeitnehmer oberhalb eines Einkommens von 20.000 Euro pauschal mit 25 Prozent belastet werden.
418 Steuersubventionen will Kirchhof streichen – doch wie die Liste der Grausamkeiten genau aussieht, dazu schweigt der Steuerexperte. Schon ist von einem Maulkorb durch die Kanzlerkandidatin der Union, Angela Merkel die Rede – eine Steilvorlage für die rot-grüne Koalition. SPD-Chef Franz Müntefering:
"Sie hat ja immer gesagt, sie will ehrlich sein, sie will vorher sagen, was Sache ist. Und das sollte sie jetzt auch bitte schön machen. Die Menschen, die Wähler haben ein Recht darauf zu erfahren, was eigentlich gemeint ist. "
Ohnehin ist Kirchhof für die Koalition inzwischen zur zentralen Zielscheibe im Wahlkampf geworden. Abfällig spricht etwa Bundeskanzler Gerhard Schröder nur noch von dem "Professor aus Heidelberg", und geschickt versucht Rot-Grün, die Visionen Kirchhofs als Forderungen der Union darzustellen.
Neben dem Argument, Kirchhof sei nicht zu finanzieren, weil allein im ersten Jahr Steuerausfälle von 42 Milliarden Euro zu verkraften wären – so die Berechnungen der Länderfinanzminister im letzten Jahr - setzt Rot-Grün vor allem auf die Gerechtigkeitsdebatte. Tatsächlich würde Kirchhof mit dem bisher geltenden Prinzip der Steuerprogression brechen, wonach mit steigenden Einkommen auch höhere Steuersätze fällig werden. Kurz, aus Sicht der SPD ist der einheitliche Steuersatz unsozial und ungerecht, betont Fraktionsvize Joachim Poss:
"Die Unterstellung, dass die Hochverdiener keine Steuern zahlten, hatte ihre Berechtigung in den 90er Jahren. Sie hat sie jetzt nicht mehr. Aber es muss verhindert werden, dass die Krankenschwester mit der Streichung der Zuschläge sozusagen draufzahlt und die Entlastung des Chefarztes finanziert. Es geht sozusagen in die Richtung der Aussetzung des Solidargedankens."
Die Wirtschaft sieht dies anders. Dort werden die Visionen als mutig und umfassend begrüßt, auch wenn man sich mit einer abschließenden Bewertung zurückhält. Angesichts der drohenden zweistelligen Milliardenausfälle im Bundeshaushalt könnte nämlich auch ein Finanzminister Kirchhof durchaus in Versuchung geraten, die drohenden Finanzierungslöcher über eine stärkere Belastung der Betriebe aufzufüllen.
Entsprechend vorsichtig äußert sich – trotz der prinzipiellen Unterstützung - Klaus Bräunig, Mitglied der Hauptgeschäftsführung beim Bundesverband der Deutschen Industrie:
"Zum Unternehmenssteuerrecht hat er, wie er selbst sagt, noch nicht alles veröffentlicht und vorgelegt. Das heißt, wir werden das Kirchhof’sche Steuermodell in seiner Wirkung für die Unternehmen erst dann endgültig bewerten, wenn es da ist. "
Viele halten die Pläne von Kirchhof ohnehin politisch nicht für durchsetzbar. Dem Seiteneinsteiger werde im Falle eines Wahlsiegs die notwendige Hausmacht fehlen, zudem sei der Widerstand der Lobbyisten am Ende nicht zu überwinden. Doch der streitbare Jurist gibt sich – zumindest nach außen hin gelassen:
"Also das Drehen an diesen kleinen Stellschrauben ist ja nicht mehr dass, was die Wirtschaft heute braucht. Von daher sind wir im Anliegen ganz einer Meinung. In der Abschreibungsfrage etwa könnte es einmal einen Streit geben, selbstverständlich. den werden wir sachlich diskutieren. Nicht polemisch, nicht gegen die Personen, sondern in der Frage, was ist das bessere Recht? Und dann werden wir bald zu einer guten Lösung kommen."
Doch auch in der Union gibt es längst Stimmen, die die öffentliche Fokussierung auf die Ideen von Kirchhof kritisieren, wenngleich auch nur hinter vorgehaltener Hand. Zum einen wollen CDU und CSU keine zusätzliche Angriffsfläche bieten, zumal für ein Konzept, was derzeit gar nicht zur Abstimmung steht. Ohnehin sind viele Details noch immer nicht geklärt. Zum anderen aber gibt es auch berechtigte Befürchtungen, dass die eigenen Steuerpläne öffentlich nicht mehr wahrgenommen werden.
Also lautet jetzt die Sprachregelung: zunächst einmal soll Kirchhof das Konzept der Union umsetzen. Roland Koch, Ministerpräsident von Hessen:
"Wir haben einen sehr exponierten Wissenschaftler geholt, weil wir wollen, dass seine Gedanken in unsere Diskussion hinein kommen. Aber wir haben ihn auch und vor allem geholt, dass er unser Wahlprogramm umsetzt. Aber dieser Wissenschaftler Paul Kirchhof hat gesagt: Ich komme zu euch in dem Wissen um die Kompromisse, die ihr geschlossen habt. Und ich sehe in dem Wahlprogramm der CDU/CSU 70 oder sogar 80 Prozent meiner Vorstellungen schon jetzt verwirklicht. Und deshalb garantiere ich zum 1.1.2007 sorge ich dafür mit meiner Autorität, meinem Wissen, dass das Wahlprogramm der Union umgesetzt wird. "
Und dies ist ehrgeizig genug. Demnach soll der Eingangssteuersatz von derzeit 15 auf 12, der Spitzensatz von 42 auf 39 Prozent reduziert werden. Weil aber angesichts der desolaten Haushaltslage für Steuergeschenke das Geld fehlt, will die Union gleichzeitig Ausnahmen weitestgehend, wie es heißt, abbauen: dazu gehören mittelfristig nicht zuletzt die Pendlerpauschale sowie die bislang steuerfreien Zuschläge für Sonn- und Feiertagsarbeit. Unverantwortlich, kritisieren Sozialdemokraten und Grüne. Eine Frage der Gerechtigkeit, meint dagegen Friedrich Merz – einst der finanzpolitische Star der Union, inzwischen aber nur noch einfacher Abgeordneter:
"Eine freiberufliche Hebamme, die macht Entbindungen in der Nacht, am Sonntag und am Feiertag und bekommt keine steuerfreien Zuschläge, keine Zulagen. Eine angestellte bekommt sie. Das ist verfassungswidrig. Also, warum sollen die, die freiberuflich tätig sind, für diejenigen, die fest angestellt sind, die Steuern mitbezahlen? Das sind solche Verwerfungen in unserem Steuersystem, die finden sie auch an vielen anderen Stellen und die sind nicht mehr gerechtfertigt. "
Zudem ist für jede Person ein Grundfreibetrag von 8000 Euro vorgesehen, der von den Kindern auf die Eltern übertragen werden kann. Darüber hinaus plant die Union, ab 2007 die Eigenheimzulage in einen Kinderbonus bei der Rente von monatlich 50 Euro umzuwandeln.
In der Tendenz richtig, aber nicht konsequent genug, heißt es beim möglichen Koalitionspartner, den Liberalen. Besonders mit der geplanten Erhöhung der Mehrwertsteuer tut sich die FDP schwer - nicht zuletzt angesichts der explodierenden Energiepreise, betont Herman Otto Solms und fordert einen anderen Ansatz:
"Erst einmal die kurzfristige Verknappung abdämpfen durch eine Verbreiterung des Angebots, dann die Preise beobachten. Aber jetzt nicht die Preise noch stärker auf die Spitze durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer treiben. Dafür hätte auch in Deutschland keiner Verständnis. "
Auch die Wirtschaftsverbände sowie der Einzelhandel lehnen eine Anhebung der Mehrwertsteuer ab, genauso wie SPD und Grüne, wenn gleich es auch bei den Sozialdemokraten zahlreiche Befürworter einer solchen Maßnahme gibt. Nicht zuletzt die jüngsten Andeutungen von Finanzminister Hans Eichel, die halben Mehrwertsteuersätze für bestimmte Produkte teilweise zu streichen, sorgten für große Aufregung.
Offiziell aber lautet das Hauptargument, die ohnehin noch labile Binnenkonjunktur dürfe nicht zusätzlich belastet werden. Zudem verweist die Regierung auf den Verteilungsschlüssel bei der Mehrwertsteuer. Weil auch die Länder 42,5 Prozent von den Einahmen erhalten, werde fast die Hälfte der Steuererhöhung nicht für eine Absenkung der Arbeitslosenversicherung genutzt, sondern zum Stopfen von Hhaushaltslöchern in den Ländern. Die Finanzexpertin der Grünen, Christine Scheel, hält aber schon den Grundansatz für falsch:
"Wenn sie da Geld jetzt rein pumpen, dann bedeutet das, dass wir bei den strukturellen Veränderungen, die notwendig sind – um diese Systeme zu modernisieren, um sie für unsere Kinder fit zu machen, um sie generationengerecht halbwegs fair auszugestalten für jung und alt – solange dies nicht passiert, braucht es kein frisches Geld, weil sie sonst diesen Prozess bremsen. "
Der Widerstand also ist groß, die Rahmenbedingungen für eine Erhöhung der Mehrwertsteuer angesichts der hohen Energiepreise denkbar schlecht. Insofern bleibt abzuwarten, was aus den Unionsplänen am Ende wird. Zumal auch ein möglicher Koalitionspartner FDP eine zentrale eigene Position nicht einfach kampflos aufgeben wird.
Dagegen sind die Schnittmengen zwischen Liberalen und Union bei der Einkommensbesteuerung deutlich größer, auch wenn die FDP wesentlich ehrgeizigere Pläne vorschlägt: So soll der bislang linear-progressive Tarif durch ein Dreistufen-Modell mit 15, 25 und 35 Prozent abgelöst werden. Zudem ist ein Freibetrag von 7700 Euro pro Person vorgesehen. Für Unternehmen schließlich soll es nur die zwei Steuersätze von 15 und 25 Prozent geben.
Unter dem Strich wird Bürgern und Betrieben eine Nettoentlastung von bis zu 19 Milliarden Euro in Aussicht gestellt, die durch einen radikalen Abbau von Ausnahmen und eine lineare Kürzung der Subventionen um 20 Prozent finanziert werden soll. Das Einsparpotenzial beziffern die Liberalen auf 35 Milliarden Euro.
Auch die Gewerbesteuer soll durch ein Zuschlagsrecht der Gemeinden auf die Körperschafts- und Einkommenssteuer ersetzt werden. Insgesamt ein attraktives Angebot an die Bürger, meint der Finanzexperte der Liberalen, Herman Otto Solms, der ebenfalls gerne Finanzminister werden möchte:
"Ein einfaches, verständliches, maßvoll belastendes Steuerrecht, was sie akzeptieren. Und was dazu führt, dass sie sich nicht darauf konzentrieren, der Steuer auszuweichen durch Gestaltungskonstruktionen, durch Schwarzarbeit, durch Kapitalflucht oder durch Verlagerung von Investitionen. "
Auch hier kritisiert die Koalition: nicht finanzierbar. Deshalb backen SPD und Grüne im Steuerrecht deutlich kleinere Brötchen als ihre politische Konkurrenz. So heißt es etwa bei den Sozialdemokraten, die Höhe der Steuersätze habe sich bewährt, ebenso das System der linear-progressiven Einkommenssteuer. Auch an der bisherigen Steuerfreiheit für Sonn- und Feiertagsarbeit wollen die Sozialdemokraten - allen Bekenntnissen zum Subventionsabbau zum Trotz – festhalten.
Allerdings sollen große Vermögen und Gutverdienende künftig stärker belastet werden – ein altes Thema der Sozialdemokraten. Ein Gerechtigkeitssignalgerade in Zeiten von Hartz IV. Fraktionsvize Jochim Poss:
"Dabei geht es darum, auch gesellschaftlich deutlich zu machen, dass wir Zukunftsaufgaben finanzieren müssen – für die derzeit nicht genügend Gelder zur Verfügung stehen. Auch weil blockiert wurde. Und deshalb ist ein Vorschlag, der daran anknüpft, zu sagen: Wenn jemand verheiratet ist und 500.000 Euro Einkommen hat, dann kann der auch zur Finanzierung von Zukunftsaufgaben drei Prozent mehr bezahlen – die ist ein legitimer Gedanke. "
Auch hier gibt es zahlreiche Überschneidungen mit dem bisherigen Koalitionspartner. Die Grünen halten am bestehenden Steuersystem fest, eine Absenkung der Steuerlast sei angesichts der angespannten Hauhalte von Bund, Länder und Gemeinden nicht zu finanzieren. Stattdessen heißt auch hier der Leitsatz: Vereinfachung und mehr Transparenz. Statt auf einem Bierdeckel soll die Steuererklärung künftig auf einem Blatt Papier Platz finden.
Doch im Wahlkampf sind auch die Grünen vor Populismus nicht gefeit. Obwohl der Spitzensteuersatz durch die Koalition eben erst auf 42 Prozent abgesenkt wurde, soll er mittelfristig wieder auf 45 Prozent stiegen. Also aus Gerechtigkeitsgründen ebenfalls eine Sonderbelastung für die Gutverdienenden – eine Forderung, für die allerdings der Steuer- und Konjunkturexperte beim deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, Dieter Vesper, wenig Verständnis hat:
"Also insofern muss man sagen, dass eine Politik "rin in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln" so gesehen verunsichert und eher für Irritationen sorgt als dass sie tatsächlich auch Finanzprobleme löst. Sicherlich steht dahinter das Gerechtigkeitsempfinden, aber man weiß eben auch nicht um die Wirkung einer solchen Politik auf die wirtschaftliche Entwicklung. Also, ich würde jetzt davor warnen, eine solche Symbolpolitik zu betreiben."
Davon kann zumindest bei der Linkspartei keine Rede sein. Hier geht es nicht nur um Symbole, sondern um eine konsequente Umverteilung von oben nach unten. Entsprechend radikal will die Linkspartei das deutsche Steuerrecht umbauen, nicht zuletzt, um all die geplanten sozialen Wohltaten finanzieren zu können.
Also soll der Spitzensatz oberhalb eines Einkommens von 60.000 Euro wieder 50 Prozent erreichen, die Vermögenssteuer wieder eingeführt, Erbschafts- und Schenkungssteuer erhöht werden, verkündet Oskar Lafontaine. einer der beiden Spitzenkandidaten der Linkspartei:
"Wir wollen die Wohlhabenden, die Besserverdienenden, die Vermögenden, die wollen wir stärker besteuern. Und ich will das mal in zahlen nennen: Beispielsweise wenn man die Eigentumsbesteuerung in Deutschland so macht wie in den Vereinigten Staaten, dann gibt es Mehreinnahmen von 50 Milliarden. Wenn man den Spitzensatz wieder so anhebt wie zu Zeiten der Regierung Kohl, dann gibt es gut Mehreinnahmen von über zehn Milliarden. Und wenn man eine Börsenumsatzsteuer einführt wie in anderen Staaten auch, dann hat man noch einmal Mehreinahmen von zehn Milliarden. Wir haben also eine seriöse Finanzierung, weil wir im Gegensatz zu den konkurrierenden Parteien den Reichen ans Geld wollen. "
Doch genau dieser Ansatz wird von den meisten Experten, aber auch den politischen Konkurrenten, scharf kritisiert. Eine dramatische Kapitalflucht ins Ausland wäre die Folge, von den wirtschaftlichen Konsequenzen, etwa bei den Investitionen, ganz zu schweigen. Auch der BDI weist, kaum überraschend, die Forderungen der Linkspartei in deutlichen Worten zurück. Klaus Bräunig:
"Es ist schon peinlich, dass man die ökonomischen Wirkungen seiner eigenen Vorschläge nicht seriös darstellt und die Augen vor den Wirkungen verschließt. Das ist es eigentlich nicht wert, sich damit ernsthaft auseinanderzusetzen. "
Zentrales Thema für den wohl einflussreichsten deutschen Industrieverband sind die Steuerpläne der Parteien für den Unternehmensbereich. Denn hier schneidet Deutschland gerade im Vergleich zu den Staaten in Mittel- und Osteuropa –nicht gerade gut ab. Zwar beträgt die Körperschaftssteuer lediglich 25 Prozent, dazu kommen jedoch noch Solidaritätszuschlag und Gewerbesteuer.
Am Ende also dürfte die tatsächliche Steuerbelastung bei 38 Prozent liegen, die Steuerschlupflöcher nicht mitgerechnet. Deshalb gibt es viel Streit, nicht umsonst fordert Finanzminister Hans Eichel schon seit geraumer Zeit eine Abstimmung auf europäischer Ebene bei der Festlegung der so genannten Bemessungsgrundlage. Dieter Vesper vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung geht noch einen Schritt weiter: Die öffentliche Diskussion über die Standortbedingungen hierzulande werde zu einseitig geführt:
"Man muss sich dabei auch die Frage stellen, wieweit Steuerpolitik tatsächlich auch den Standort effektiv beeinflussen kann. Ich glaube, hier wird in der politischen Diskussion viel zu viel Gewicht darauf gelegt. Die andere Frage, die sich in diesem Zusammenhang aufdrängt, ist auch, ob nicht andere Standorteigenschaften viel wichtiger sind – zum Beispiel eine gute Infrastrukturausstattung. "
Doch die Wirtschaftsverbände, und die meisten Parteien sehen dies – zumindest für den Bereich der Unternehmenssteuern - anders. So wollen die Sozialdemokraten die Körperschaftssteuer für Kapitalgesellschaften von derzeit 25 auf 19 Prozent senken, wie im Frühjahr auf dem so genannten Jobgipfel gemeinsam mit der Union vereinbart.
Im Gegenzug sollen Steuervorteile gestrichen werden – etwa für Medien-, Wind- und Videospielfonds. Gleichzeitig hofft das Finanzministerium aber auf einen gewissen Selbstfinanzierungseffekt, erklärt Steuerexperte Joachim Poss:
"Die Reduzierung auf 19 Prozent ist eine Reaktion auf die Satzänderungen insbesondere in den europäischen Ländern, insbesondere nachdem wir die Osterweiterung hatten am 1.5. letzten Jahres. Und dient dem Zweck, Steuervermeidung weniger attraktiv zu machen. Also zu vermeiden, dass Gewinne im Ausland anfallen. "
Die Union zeigt sich an dieser Stelle vorsichtiger. Angesichts der schwierigen Haushaltslage soll die Körperschaftssteuer zunächst nur auf 22 Prozent sinken. Einigkeit besteht wiederum darin, die Unternehmensbesteuerung künftig auf eine einheitliche Grundlage zu stellen – also nicht mehr zwischen Personen- und Kapitalgesellschaften zu unterscheiden. Hier aber hat bislang nur die FDP konkrete Vorschläge unterbreitet.
Und die Liberalen sind auch die einzigen, die sich offiziell zur Abschaffung der Gewerbesteuer – der Haupteinnahmequelle der Kommunen – bekannt haben. Die Sozialdemokraten wollen am gegenwärtigen System fest halten, die Union ist in dieser Frage zerstritten. Zumindest in der Wirtschaft ist deshalb die Entscheidung längst gefallen. Auch wenn die Verbände offiziell keine Wahlempfehlung aussprechen, so werden doch die Vorschläge der Liberalen klar favorisiert, gibt auch unumwunden Klaus Bräunig vom Bundesverband der Industrie zu:
"Weil sie die Priorität auf die Unternehmenssteuerreform legen und weil sie einen konkreten Gesetzesentwurf vorgelegt haben. Damit liegen sie vorne, sodass man sofort in einen Gesetzgebungsgang und sofort alle diese Detailrechungen und Bewertungen wirklich sofort vornehmen kann. "
Freilich, die schöne neue Steuerwelt steht vor einem zentralen Problem: ihrer Finanzierbarkeit. Denn wenn die Wachstumszahlen weiter moderat bleiben und entsprechend auch die Einnahmen nur langsam steigen, stoßen gerade die Pläne für eine grundlegende Reform des komplizierten deutschen Steuerrechts schnell an ihre Grenzen.
Deutschland muss parallel auch die europäischen Defizitvorgaben einhalten. So lautet zumindest die Vorgabe auf dem Papier. Doch hier gibt es derzeit wenig Hoffnung – selbst der Finanzminister rechnet bereits in langfristigen Dimensionen:
"2007 ist die Deadline, um wieder unter die Drei-Prozent-Marke zu kommen. Und nicht 2009, wie Frau Merkel sagt. Und dann geht es auch nicht um einen dreistelligen Millionen-Betrag, wie ich irgendwo gelesen habe, ich hätte das gesagt. Nein, dann geht es um elf Milliarden Euro Strafe. Also 2007 ist Deadline, um die öffentlichen Hauhalte in Ordnung zu bringen. Das wird übrigens die erste Aufgabe des Finanzministers nach der Wahl sein. "
Auch eine andere Zielmarke verdeutlicht das ganze Dilemma für die künftige Finanz- und Steuerpolitik. Nach den Berechnungen der Union kann der Bund seine Neuverschuldung erst bis zum Jahr 2013 zurückfahren.. Insofern bleibt die Frage nach den Gestaltungsmöglichkeiten und der politischen Schwerpunktsetzung in den nächsten Jahren. Zumindest für Cristine Scheel von den Grünen liegt die Antwort auf der Hand:
"Die Spielräume sind eh sehr knapp, die Investitionsquote ist zu gering, die müsste höher sein. Da müssen wir sehen, dass wir uns wieder mehr Spielräume schaffen. Deshalb ist es auch so wichtig, dass wir uns genau anschauen: wo liegen die Probleme in Deutschland? Liegen die in einer zu hohen steuerlichen Belastung oder liegen die im Sozialversicherungsbereich. Und da kann ich nur sagen: Sie liegen in den strukturellen Fragen der Sozialversicherung und sie liegen nicht in der Steuerbelastung, was die Höhe anbelangt. "
Eine Position, wie etwa auch beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag hinter vorgehaltener Hand zu hören ist. Dennoch, in einem Punkt dürften sich wohl alle einig sein: angesichts eines geschätzten strukturellen Haushaltsdefizits von 40 Milliarden Euro zählt der Job des Finanzministers zu den schwierigsten Posten, die der künftige Bundeskanzler zu vergeben hat.
Das Kuriose dabei: Kirchhof vertritt einen radikalen Steueransatz, der deutlich weiter geht als die Wahlkampfpositionen der Union.
Bürgerstimmen: "Sein Konzept finde ich unausgewogen und ungerecht, weil mir der soziale Aspekt dort fehlt. "
"Tendenziell gut, ich glaube aber das zu einem falschen Zeitpunkt kommt, einfach zu früh, zu viel und im Wahlkampf ist das politisch nicht so clever. "
"Ich kann mir nicht vorstellen, dass man das irgendwie finanzieren kann, weil 25 Prozent für Alle klingt in meinen Augen nicht so als ob das finanzierbar wäre. Also gerade wenn Spitzenverdiener dadurch so viel weniger Steuern zahlen müssten. "
Kirchhof: "Es geht nicht mehr formal – Steuersatz 39, 35 oder 30 Prozent – sondern jetzt geht es darum, dass dieser Staat, dass diese Menschen eine gerechte Steuer wollen. Und man sieht, dass die erste Frage die ist, dass wir das volle Einkommen versteuern. Wenn also jemand 200.000 verdient, dann soll er nicht 100.000 versteuern, sondern 200.000. Das ist die wichtigste Frage der Steuergerechtigkeit. Und erst in zweiter Linie, wenn wir alle die Privilegien, die Ausnahmen, die Lenkungstatbestände abgeschafft haben, dann stellt sich erst die Frage, in wieweit wir mit dem Steuersatz runter gehen können. Und das dies im Mittelpunkt einer kritischen Diskussion steht, ist ein schöner Erfolg. "
Freilich, Kirchhof fordert nichts weniger als die steuerpolitische Revolution: Alle Subventionen sollen abgebaut werden. Das Prinzip: Alle Vergünstigungen und Ausnahmen von der Steuerpflicht müssen weg, im Gegenzug sollen alle Arbeitnehmer oberhalb eines Einkommens von 20.000 Euro pauschal mit 25 Prozent belastet werden.
418 Steuersubventionen will Kirchhof streichen – doch wie die Liste der Grausamkeiten genau aussieht, dazu schweigt der Steuerexperte. Schon ist von einem Maulkorb durch die Kanzlerkandidatin der Union, Angela Merkel die Rede – eine Steilvorlage für die rot-grüne Koalition. SPD-Chef Franz Müntefering:
"Sie hat ja immer gesagt, sie will ehrlich sein, sie will vorher sagen, was Sache ist. Und das sollte sie jetzt auch bitte schön machen. Die Menschen, die Wähler haben ein Recht darauf zu erfahren, was eigentlich gemeint ist. "
Ohnehin ist Kirchhof für die Koalition inzwischen zur zentralen Zielscheibe im Wahlkampf geworden. Abfällig spricht etwa Bundeskanzler Gerhard Schröder nur noch von dem "Professor aus Heidelberg", und geschickt versucht Rot-Grün, die Visionen Kirchhofs als Forderungen der Union darzustellen.
Neben dem Argument, Kirchhof sei nicht zu finanzieren, weil allein im ersten Jahr Steuerausfälle von 42 Milliarden Euro zu verkraften wären – so die Berechnungen der Länderfinanzminister im letzten Jahr - setzt Rot-Grün vor allem auf die Gerechtigkeitsdebatte. Tatsächlich würde Kirchhof mit dem bisher geltenden Prinzip der Steuerprogression brechen, wonach mit steigenden Einkommen auch höhere Steuersätze fällig werden. Kurz, aus Sicht der SPD ist der einheitliche Steuersatz unsozial und ungerecht, betont Fraktionsvize Joachim Poss:
"Die Unterstellung, dass die Hochverdiener keine Steuern zahlten, hatte ihre Berechtigung in den 90er Jahren. Sie hat sie jetzt nicht mehr. Aber es muss verhindert werden, dass die Krankenschwester mit der Streichung der Zuschläge sozusagen draufzahlt und die Entlastung des Chefarztes finanziert. Es geht sozusagen in die Richtung der Aussetzung des Solidargedankens."
Die Wirtschaft sieht dies anders. Dort werden die Visionen als mutig und umfassend begrüßt, auch wenn man sich mit einer abschließenden Bewertung zurückhält. Angesichts der drohenden zweistelligen Milliardenausfälle im Bundeshaushalt könnte nämlich auch ein Finanzminister Kirchhof durchaus in Versuchung geraten, die drohenden Finanzierungslöcher über eine stärkere Belastung der Betriebe aufzufüllen.
Entsprechend vorsichtig äußert sich – trotz der prinzipiellen Unterstützung - Klaus Bräunig, Mitglied der Hauptgeschäftsführung beim Bundesverband der Deutschen Industrie:
"Zum Unternehmenssteuerrecht hat er, wie er selbst sagt, noch nicht alles veröffentlicht und vorgelegt. Das heißt, wir werden das Kirchhof’sche Steuermodell in seiner Wirkung für die Unternehmen erst dann endgültig bewerten, wenn es da ist. "
Viele halten die Pläne von Kirchhof ohnehin politisch nicht für durchsetzbar. Dem Seiteneinsteiger werde im Falle eines Wahlsiegs die notwendige Hausmacht fehlen, zudem sei der Widerstand der Lobbyisten am Ende nicht zu überwinden. Doch der streitbare Jurist gibt sich – zumindest nach außen hin gelassen:
"Also das Drehen an diesen kleinen Stellschrauben ist ja nicht mehr dass, was die Wirtschaft heute braucht. Von daher sind wir im Anliegen ganz einer Meinung. In der Abschreibungsfrage etwa könnte es einmal einen Streit geben, selbstverständlich. den werden wir sachlich diskutieren. Nicht polemisch, nicht gegen die Personen, sondern in der Frage, was ist das bessere Recht? Und dann werden wir bald zu einer guten Lösung kommen."
Doch auch in der Union gibt es längst Stimmen, die die öffentliche Fokussierung auf die Ideen von Kirchhof kritisieren, wenngleich auch nur hinter vorgehaltener Hand. Zum einen wollen CDU und CSU keine zusätzliche Angriffsfläche bieten, zumal für ein Konzept, was derzeit gar nicht zur Abstimmung steht. Ohnehin sind viele Details noch immer nicht geklärt. Zum anderen aber gibt es auch berechtigte Befürchtungen, dass die eigenen Steuerpläne öffentlich nicht mehr wahrgenommen werden.
Also lautet jetzt die Sprachregelung: zunächst einmal soll Kirchhof das Konzept der Union umsetzen. Roland Koch, Ministerpräsident von Hessen:
"Wir haben einen sehr exponierten Wissenschaftler geholt, weil wir wollen, dass seine Gedanken in unsere Diskussion hinein kommen. Aber wir haben ihn auch und vor allem geholt, dass er unser Wahlprogramm umsetzt. Aber dieser Wissenschaftler Paul Kirchhof hat gesagt: Ich komme zu euch in dem Wissen um die Kompromisse, die ihr geschlossen habt. Und ich sehe in dem Wahlprogramm der CDU/CSU 70 oder sogar 80 Prozent meiner Vorstellungen schon jetzt verwirklicht. Und deshalb garantiere ich zum 1.1.2007 sorge ich dafür mit meiner Autorität, meinem Wissen, dass das Wahlprogramm der Union umgesetzt wird. "
Und dies ist ehrgeizig genug. Demnach soll der Eingangssteuersatz von derzeit 15 auf 12, der Spitzensatz von 42 auf 39 Prozent reduziert werden. Weil aber angesichts der desolaten Haushaltslage für Steuergeschenke das Geld fehlt, will die Union gleichzeitig Ausnahmen weitestgehend, wie es heißt, abbauen: dazu gehören mittelfristig nicht zuletzt die Pendlerpauschale sowie die bislang steuerfreien Zuschläge für Sonn- und Feiertagsarbeit. Unverantwortlich, kritisieren Sozialdemokraten und Grüne. Eine Frage der Gerechtigkeit, meint dagegen Friedrich Merz – einst der finanzpolitische Star der Union, inzwischen aber nur noch einfacher Abgeordneter:
"Eine freiberufliche Hebamme, die macht Entbindungen in der Nacht, am Sonntag und am Feiertag und bekommt keine steuerfreien Zuschläge, keine Zulagen. Eine angestellte bekommt sie. Das ist verfassungswidrig. Also, warum sollen die, die freiberuflich tätig sind, für diejenigen, die fest angestellt sind, die Steuern mitbezahlen? Das sind solche Verwerfungen in unserem Steuersystem, die finden sie auch an vielen anderen Stellen und die sind nicht mehr gerechtfertigt. "
Zudem ist für jede Person ein Grundfreibetrag von 8000 Euro vorgesehen, der von den Kindern auf die Eltern übertragen werden kann. Darüber hinaus plant die Union, ab 2007 die Eigenheimzulage in einen Kinderbonus bei der Rente von monatlich 50 Euro umzuwandeln.
In der Tendenz richtig, aber nicht konsequent genug, heißt es beim möglichen Koalitionspartner, den Liberalen. Besonders mit der geplanten Erhöhung der Mehrwertsteuer tut sich die FDP schwer - nicht zuletzt angesichts der explodierenden Energiepreise, betont Herman Otto Solms und fordert einen anderen Ansatz:
"Erst einmal die kurzfristige Verknappung abdämpfen durch eine Verbreiterung des Angebots, dann die Preise beobachten. Aber jetzt nicht die Preise noch stärker auf die Spitze durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer treiben. Dafür hätte auch in Deutschland keiner Verständnis. "
Auch die Wirtschaftsverbände sowie der Einzelhandel lehnen eine Anhebung der Mehrwertsteuer ab, genauso wie SPD und Grüne, wenn gleich es auch bei den Sozialdemokraten zahlreiche Befürworter einer solchen Maßnahme gibt. Nicht zuletzt die jüngsten Andeutungen von Finanzminister Hans Eichel, die halben Mehrwertsteuersätze für bestimmte Produkte teilweise zu streichen, sorgten für große Aufregung.
Offiziell aber lautet das Hauptargument, die ohnehin noch labile Binnenkonjunktur dürfe nicht zusätzlich belastet werden. Zudem verweist die Regierung auf den Verteilungsschlüssel bei der Mehrwertsteuer. Weil auch die Länder 42,5 Prozent von den Einahmen erhalten, werde fast die Hälfte der Steuererhöhung nicht für eine Absenkung der Arbeitslosenversicherung genutzt, sondern zum Stopfen von Hhaushaltslöchern in den Ländern. Die Finanzexpertin der Grünen, Christine Scheel, hält aber schon den Grundansatz für falsch:
"Wenn sie da Geld jetzt rein pumpen, dann bedeutet das, dass wir bei den strukturellen Veränderungen, die notwendig sind – um diese Systeme zu modernisieren, um sie für unsere Kinder fit zu machen, um sie generationengerecht halbwegs fair auszugestalten für jung und alt – solange dies nicht passiert, braucht es kein frisches Geld, weil sie sonst diesen Prozess bremsen. "
Der Widerstand also ist groß, die Rahmenbedingungen für eine Erhöhung der Mehrwertsteuer angesichts der hohen Energiepreise denkbar schlecht. Insofern bleibt abzuwarten, was aus den Unionsplänen am Ende wird. Zumal auch ein möglicher Koalitionspartner FDP eine zentrale eigene Position nicht einfach kampflos aufgeben wird.
Dagegen sind die Schnittmengen zwischen Liberalen und Union bei der Einkommensbesteuerung deutlich größer, auch wenn die FDP wesentlich ehrgeizigere Pläne vorschlägt: So soll der bislang linear-progressive Tarif durch ein Dreistufen-Modell mit 15, 25 und 35 Prozent abgelöst werden. Zudem ist ein Freibetrag von 7700 Euro pro Person vorgesehen. Für Unternehmen schließlich soll es nur die zwei Steuersätze von 15 und 25 Prozent geben.
Unter dem Strich wird Bürgern und Betrieben eine Nettoentlastung von bis zu 19 Milliarden Euro in Aussicht gestellt, die durch einen radikalen Abbau von Ausnahmen und eine lineare Kürzung der Subventionen um 20 Prozent finanziert werden soll. Das Einsparpotenzial beziffern die Liberalen auf 35 Milliarden Euro.
Auch die Gewerbesteuer soll durch ein Zuschlagsrecht der Gemeinden auf die Körperschafts- und Einkommenssteuer ersetzt werden. Insgesamt ein attraktives Angebot an die Bürger, meint der Finanzexperte der Liberalen, Herman Otto Solms, der ebenfalls gerne Finanzminister werden möchte:
"Ein einfaches, verständliches, maßvoll belastendes Steuerrecht, was sie akzeptieren. Und was dazu führt, dass sie sich nicht darauf konzentrieren, der Steuer auszuweichen durch Gestaltungskonstruktionen, durch Schwarzarbeit, durch Kapitalflucht oder durch Verlagerung von Investitionen. "
Auch hier kritisiert die Koalition: nicht finanzierbar. Deshalb backen SPD und Grüne im Steuerrecht deutlich kleinere Brötchen als ihre politische Konkurrenz. So heißt es etwa bei den Sozialdemokraten, die Höhe der Steuersätze habe sich bewährt, ebenso das System der linear-progressiven Einkommenssteuer. Auch an der bisherigen Steuerfreiheit für Sonn- und Feiertagsarbeit wollen die Sozialdemokraten - allen Bekenntnissen zum Subventionsabbau zum Trotz – festhalten.
Allerdings sollen große Vermögen und Gutverdienende künftig stärker belastet werden – ein altes Thema der Sozialdemokraten. Ein Gerechtigkeitssignalgerade in Zeiten von Hartz IV. Fraktionsvize Jochim Poss:
"Dabei geht es darum, auch gesellschaftlich deutlich zu machen, dass wir Zukunftsaufgaben finanzieren müssen – für die derzeit nicht genügend Gelder zur Verfügung stehen. Auch weil blockiert wurde. Und deshalb ist ein Vorschlag, der daran anknüpft, zu sagen: Wenn jemand verheiratet ist und 500.000 Euro Einkommen hat, dann kann der auch zur Finanzierung von Zukunftsaufgaben drei Prozent mehr bezahlen – die ist ein legitimer Gedanke. "
Auch hier gibt es zahlreiche Überschneidungen mit dem bisherigen Koalitionspartner. Die Grünen halten am bestehenden Steuersystem fest, eine Absenkung der Steuerlast sei angesichts der angespannten Hauhalte von Bund, Länder und Gemeinden nicht zu finanzieren. Stattdessen heißt auch hier der Leitsatz: Vereinfachung und mehr Transparenz. Statt auf einem Bierdeckel soll die Steuererklärung künftig auf einem Blatt Papier Platz finden.
Doch im Wahlkampf sind auch die Grünen vor Populismus nicht gefeit. Obwohl der Spitzensteuersatz durch die Koalition eben erst auf 42 Prozent abgesenkt wurde, soll er mittelfristig wieder auf 45 Prozent stiegen. Also aus Gerechtigkeitsgründen ebenfalls eine Sonderbelastung für die Gutverdienenden – eine Forderung, für die allerdings der Steuer- und Konjunkturexperte beim deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, Dieter Vesper, wenig Verständnis hat:
"Also insofern muss man sagen, dass eine Politik "rin in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln" so gesehen verunsichert und eher für Irritationen sorgt als dass sie tatsächlich auch Finanzprobleme löst. Sicherlich steht dahinter das Gerechtigkeitsempfinden, aber man weiß eben auch nicht um die Wirkung einer solchen Politik auf die wirtschaftliche Entwicklung. Also, ich würde jetzt davor warnen, eine solche Symbolpolitik zu betreiben."
Davon kann zumindest bei der Linkspartei keine Rede sein. Hier geht es nicht nur um Symbole, sondern um eine konsequente Umverteilung von oben nach unten. Entsprechend radikal will die Linkspartei das deutsche Steuerrecht umbauen, nicht zuletzt, um all die geplanten sozialen Wohltaten finanzieren zu können.
Also soll der Spitzensatz oberhalb eines Einkommens von 60.000 Euro wieder 50 Prozent erreichen, die Vermögenssteuer wieder eingeführt, Erbschafts- und Schenkungssteuer erhöht werden, verkündet Oskar Lafontaine. einer der beiden Spitzenkandidaten der Linkspartei:
"Wir wollen die Wohlhabenden, die Besserverdienenden, die Vermögenden, die wollen wir stärker besteuern. Und ich will das mal in zahlen nennen: Beispielsweise wenn man die Eigentumsbesteuerung in Deutschland so macht wie in den Vereinigten Staaten, dann gibt es Mehreinnahmen von 50 Milliarden. Wenn man den Spitzensatz wieder so anhebt wie zu Zeiten der Regierung Kohl, dann gibt es gut Mehreinnahmen von über zehn Milliarden. Und wenn man eine Börsenumsatzsteuer einführt wie in anderen Staaten auch, dann hat man noch einmal Mehreinahmen von zehn Milliarden. Wir haben also eine seriöse Finanzierung, weil wir im Gegensatz zu den konkurrierenden Parteien den Reichen ans Geld wollen. "
Doch genau dieser Ansatz wird von den meisten Experten, aber auch den politischen Konkurrenten, scharf kritisiert. Eine dramatische Kapitalflucht ins Ausland wäre die Folge, von den wirtschaftlichen Konsequenzen, etwa bei den Investitionen, ganz zu schweigen. Auch der BDI weist, kaum überraschend, die Forderungen der Linkspartei in deutlichen Worten zurück. Klaus Bräunig:
"Es ist schon peinlich, dass man die ökonomischen Wirkungen seiner eigenen Vorschläge nicht seriös darstellt und die Augen vor den Wirkungen verschließt. Das ist es eigentlich nicht wert, sich damit ernsthaft auseinanderzusetzen. "
Zentrales Thema für den wohl einflussreichsten deutschen Industrieverband sind die Steuerpläne der Parteien für den Unternehmensbereich. Denn hier schneidet Deutschland gerade im Vergleich zu den Staaten in Mittel- und Osteuropa –nicht gerade gut ab. Zwar beträgt die Körperschaftssteuer lediglich 25 Prozent, dazu kommen jedoch noch Solidaritätszuschlag und Gewerbesteuer.
Am Ende also dürfte die tatsächliche Steuerbelastung bei 38 Prozent liegen, die Steuerschlupflöcher nicht mitgerechnet. Deshalb gibt es viel Streit, nicht umsonst fordert Finanzminister Hans Eichel schon seit geraumer Zeit eine Abstimmung auf europäischer Ebene bei der Festlegung der so genannten Bemessungsgrundlage. Dieter Vesper vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung geht noch einen Schritt weiter: Die öffentliche Diskussion über die Standortbedingungen hierzulande werde zu einseitig geführt:
"Man muss sich dabei auch die Frage stellen, wieweit Steuerpolitik tatsächlich auch den Standort effektiv beeinflussen kann. Ich glaube, hier wird in der politischen Diskussion viel zu viel Gewicht darauf gelegt. Die andere Frage, die sich in diesem Zusammenhang aufdrängt, ist auch, ob nicht andere Standorteigenschaften viel wichtiger sind – zum Beispiel eine gute Infrastrukturausstattung. "
Doch die Wirtschaftsverbände, und die meisten Parteien sehen dies – zumindest für den Bereich der Unternehmenssteuern - anders. So wollen die Sozialdemokraten die Körperschaftssteuer für Kapitalgesellschaften von derzeit 25 auf 19 Prozent senken, wie im Frühjahr auf dem so genannten Jobgipfel gemeinsam mit der Union vereinbart.
Im Gegenzug sollen Steuervorteile gestrichen werden – etwa für Medien-, Wind- und Videospielfonds. Gleichzeitig hofft das Finanzministerium aber auf einen gewissen Selbstfinanzierungseffekt, erklärt Steuerexperte Joachim Poss:
"Die Reduzierung auf 19 Prozent ist eine Reaktion auf die Satzänderungen insbesondere in den europäischen Ländern, insbesondere nachdem wir die Osterweiterung hatten am 1.5. letzten Jahres. Und dient dem Zweck, Steuervermeidung weniger attraktiv zu machen. Also zu vermeiden, dass Gewinne im Ausland anfallen. "
Die Union zeigt sich an dieser Stelle vorsichtiger. Angesichts der schwierigen Haushaltslage soll die Körperschaftssteuer zunächst nur auf 22 Prozent sinken. Einigkeit besteht wiederum darin, die Unternehmensbesteuerung künftig auf eine einheitliche Grundlage zu stellen – also nicht mehr zwischen Personen- und Kapitalgesellschaften zu unterscheiden. Hier aber hat bislang nur die FDP konkrete Vorschläge unterbreitet.
Und die Liberalen sind auch die einzigen, die sich offiziell zur Abschaffung der Gewerbesteuer – der Haupteinnahmequelle der Kommunen – bekannt haben. Die Sozialdemokraten wollen am gegenwärtigen System fest halten, die Union ist in dieser Frage zerstritten. Zumindest in der Wirtschaft ist deshalb die Entscheidung längst gefallen. Auch wenn die Verbände offiziell keine Wahlempfehlung aussprechen, so werden doch die Vorschläge der Liberalen klar favorisiert, gibt auch unumwunden Klaus Bräunig vom Bundesverband der Industrie zu:
"Weil sie die Priorität auf die Unternehmenssteuerreform legen und weil sie einen konkreten Gesetzesentwurf vorgelegt haben. Damit liegen sie vorne, sodass man sofort in einen Gesetzgebungsgang und sofort alle diese Detailrechungen und Bewertungen wirklich sofort vornehmen kann. "
Freilich, die schöne neue Steuerwelt steht vor einem zentralen Problem: ihrer Finanzierbarkeit. Denn wenn die Wachstumszahlen weiter moderat bleiben und entsprechend auch die Einnahmen nur langsam steigen, stoßen gerade die Pläne für eine grundlegende Reform des komplizierten deutschen Steuerrechts schnell an ihre Grenzen.
Deutschland muss parallel auch die europäischen Defizitvorgaben einhalten. So lautet zumindest die Vorgabe auf dem Papier. Doch hier gibt es derzeit wenig Hoffnung – selbst der Finanzminister rechnet bereits in langfristigen Dimensionen:
"2007 ist die Deadline, um wieder unter die Drei-Prozent-Marke zu kommen. Und nicht 2009, wie Frau Merkel sagt. Und dann geht es auch nicht um einen dreistelligen Millionen-Betrag, wie ich irgendwo gelesen habe, ich hätte das gesagt. Nein, dann geht es um elf Milliarden Euro Strafe. Also 2007 ist Deadline, um die öffentlichen Hauhalte in Ordnung zu bringen. Das wird übrigens die erste Aufgabe des Finanzministers nach der Wahl sein. "
Auch eine andere Zielmarke verdeutlicht das ganze Dilemma für die künftige Finanz- und Steuerpolitik. Nach den Berechnungen der Union kann der Bund seine Neuverschuldung erst bis zum Jahr 2013 zurückfahren.. Insofern bleibt die Frage nach den Gestaltungsmöglichkeiten und der politischen Schwerpunktsetzung in den nächsten Jahren. Zumindest für Cristine Scheel von den Grünen liegt die Antwort auf der Hand:
"Die Spielräume sind eh sehr knapp, die Investitionsquote ist zu gering, die müsste höher sein. Da müssen wir sehen, dass wir uns wieder mehr Spielräume schaffen. Deshalb ist es auch so wichtig, dass wir uns genau anschauen: wo liegen die Probleme in Deutschland? Liegen die in einer zu hohen steuerlichen Belastung oder liegen die im Sozialversicherungsbereich. Und da kann ich nur sagen: Sie liegen in den strukturellen Fragen der Sozialversicherung und sie liegen nicht in der Steuerbelastung, was die Höhe anbelangt. "
Eine Position, wie etwa auch beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag hinter vorgehaltener Hand zu hören ist. Dennoch, in einem Punkt dürften sich wohl alle einig sein: angesichts eines geschätzten strukturellen Haushaltsdefizits von 40 Milliarden Euro zählt der Job des Finanzministers zu den schwierigsten Posten, die der künftige Bundeskanzler zu vergeben hat.