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Wahlkampf um gute Bildung

Bildungspolitik steht als Thema ganz oben beim Wahlkampf in Hessen. Und nirgendwo wird der Streit um gute Schulen so verbittert ausgefochten wie in diesem Bundesland: Der ideologische "Schulkampf" hat in Hessen mit der Auseinandersetzung um Gesamtschulen begonnen.

Von Anke Petermann | 16.09.2013
    Die Landesschülervertretung Hessen rappt gegen den Schulstress beim Turboabitur:

    "… wo der Achtklässler nach Hause kommt/ und erst einmal schreit/ und wo der Fünftklässler zur Mutter geht/ und erst einmal weint/ denn er lernt ganz allein/ hat für die Freunde keine Zeit/ damit er schneller Geld verdient/ sagt das Land: Das muss sein!"

    Die Gymnasialzeitverkürzung G8, von der CDU vor fast zehn Jahren hastig und gegen großen Elternwiderstand eingeführt, wollen die Sozialdemokraten rückgängig machen. Selbst wenn die schwarzgelbe Landesregierung inzwischen vieles nachgebessert hat: den Stoff entschlackt, die Hausaufgaben reduziert und sogar eine neue Wahlfreiheit für die Gymnasien eingeführt. Sie können zum Abitur nach neun Jahren zurückkehren. Aber, so bemängelt Heike Habermann, Schattenbildungsministerin im Team von SPD-Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel:

    "Die Schulen wählen, die Gymnasien wählen und nicht die Eltern, die ihr Kind auf ein Gymnasien schicken wollen, und wir wollen, dass diese Eltern auch die Möglichkeit haben, auch über den individuellen Schulweg ihres Kindes zu wählen, wie lange es bis zum Abitur braucht. Dazu muss man nicht ein Korsett schnüren, das heißt "G8 für alle", sondern man muss Möglichkeiten entwickeln, dass jeder in seinem eigenen Tempo zum Abitur kommen kann. Und das soll in der Oberstufe möglich werden,"

    die Schüler dann in zwei oder drei Jahren durchlaufen könnten. Genauso flexibel will die Hessen-SPD die Eingangsstufe an den Grundschulen.
    gestalten. Auf einem Bildungskongress in Offenbach stellt sie ihre Politik zur Diskussion. Der Juso Tim Dreyer und der frühere Hochschulrektor Alexander Wittkowsky sind sich einig: gut, dass ihre Partei Schluss machen will mit dem "Bulimie-Lernen". Denn:

    "Die Bildung bleibt auf der Strecke, es geht nur noch um Effizienz, es geht nur noch darum, so schnell wie möglich auf den Ausbildungsmarkt geschmissen zu werden. Das ist auf jeden Fall falsch, denn Menschen brauchen Zeit zum Lernen, deshalb ist eine längere Schulzeit auf jeden Fall richtig, und ich denke, dass die Schulen, die vor allem über G8 einen enormen Leistungsdruck auf die Schüler ausüben, auf dem falschen Weg sind Leistungsdruck auf dem falschen Weg sind.

    Das kann nicht die Lösung sein, wie die jungen Leute für die Gesellschaft fit gemacht werden, das setzt sich im Grunde genommen beim Bachelor ja fort, dass keine Zeiträume mehr für eigene Entwicklung mehr gelassen, sondern alles vorgeschrieben wird. Und dann muss das durchgepowert werden. Da bin ich also entschieden dagegen!"

    Die Grünen als Wunschkoalitionär der SPD allerdings sind entschieden dagegen, die Rückkehr zur längeren Gymnasialzeit zu erzwingen. Denn, so Frontmann Tarek Al-Wazir:

    "Wir wollen nicht den Fehler der anderen wieder andersrum machen. Wir wollen, dass die Eltern ein Angebot in erreichbarer Nähe haben, ein G9- Angebot. Und wenn das sicher gestellt ist und dann ein paar Schulen bei G 8 bleiben wollen, dann werden sie mit uns die Sicherheit haben, dass wir sie nicht dazu zwingen werden, etwas gegen ihren Willen zu tun."

    Schulen unter Druck setzen zu wollen, auch um – notfalls mit Hilfe der Linkspartei - längeren gemeinsamen Unterricht in Gemeinschaftsschulen durchzusetzen, das unterstellen jedoch die regierenden Liberalen und Christdemokraten den Wahlkämpfern von Rot-Grün. Die lästern ihrerseits gemeinsam mit der Linken über spärlichen Nachmittagsunterricht im schwarzgelb regierten Hessen. In seinen Wahlkampfreden pflegt Ministerpräsident Volker Bouffier zu kontern:

    "Wir werden auch das Ganztagsangebot ausbauen. Aber wir werden eines nicht tun: Wir werden den Menschen nicht vorschreiben, dass es nur eine Form für das Glück der Kinder gibt. Das gilt für die 'Einheitsschule' und das gilt auch für die Ganztagsschulen."

    Fest steht: viele Schulen sind reformmüde, und viele Eltern sind der ideologischen Keule überdrüssig, die in Hessen beim Thema Bildungspolitik oft gezückt wird. Grünen-Chef Tarek Al-Wazir preist seine Partei als Garanten für einen neuen Schulfrieden an.

    "Das ist das Wesen von Schulfrieden, das man 40 Jahre nach Alfred Dregger und Ludwig von Friedeburg auch in Hessen merkt, dieser Systemkampf hat die Bildung nicht weiter gebracht."

    Den Frieden gibt es längst, widerspricht die schwarzgelbe Koalition. Ob diese Aussage zutrifft, dürfte mit Wahl entscheidend sein.