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Wandel in Chinas Geschichtspolitik

Wenn Chinesen an den Zweiten Weltkrieg denken, dann denken sie meist an die von japanischen Soldaten begangenen Kriegsgräuel. Vom Holocaust in Europa wissen die meisten dagegen nicht viel. Nun zeigt erstmals eine Ausstellung in Peking das ganze Ausmaß des deutschen Genozids an den Juden.

Von Silke Ballweg | 19.07.2013
    Auf historischen Filmaufnahmen sieht man ausgemergelte Körper von Insassen im Vernichtungslager Auschwitz. Man erkennt die Todesrampe und die Baracken, in denen die Häftlinge zusammengepfercht sind. Es sind brutale, ungeschönte Bilder.

    Die Ausstellung "Auschwitz - Todeslager der Deutschen" wühlt die Besucher auf. Es ist das erste Mal, dass ein staatliches Museum in China sich derart mit dem Holocaust beschäftigt. Mit vielen Fotos und einfachen, gut verständlichen Erläuterungen informieren die Exponate über die deutsche Vernichtungsmaschinerie. Jia Jin Na betrachtet Aufnahmen, die abgemagerte Juden bei der Zwangsarbeit zeigen. Die 29-Jährige ist beinahe fassungslos angesichts dessen, was sie sieht:

    "Ich wusste nicht genau, was in Europa damals passiert ist. Wir haben in der Schule zwar auch etwas über den Zweiten Weltkrieg gelernt, aber da ging es meistens um die Invasion der Japaner in China. Ich sehe diese Bilder zum ersten Mal, ich hatte keine Ahnung, dass es so schlimm war."

    Die Sonderschau wird in Pekings staatlichem Museum zu Chinas Widerstand gegen Japan gezeigt. Zwei Räume in einem gewaltigen Bau, in dem vor allem die von Japan verübten Kriegsverbrechen an Chinesen darstellt werden. Peking hat während der vergangenen Jahre vor allem seine Opferrolle während des Zweiten Weltkriegs betont. Mit den Exponaten über den Holocaust will man nun den Blick weiten, sagt Li Zongyuan, der Vizedirektor des Museums.

    "Ich denke, dass es wichtig ist, dass die Chinesen erfahren, was in Deutschland passiert ist. Damals mussten nicht nur die Chinesen leiden, sondern auch die Juden und anderen Völker in Europa. Wir sollten auch wissen, was in anderen Teilen der Welt passiert ist."

    Die Pekinger Ausstellung wurde vom staatlichen Museum in Ausschwitz-Birkenau zusammengestellt. Hunderte Dokumente und Fotos zeigen den brutalen Alltag in den Lagern, die Menschenversuche. Den Widerstand gegen die Nationalsozialisten. Damit die Besucher auch tatsächlich verstehen, wie die Todesmaschinerie funktioniert hat, hat man Modelle der Auschwitzer Verbrennungsöfen nachgebaut. Und schließlich geht es auch um die besondere Rolle, die China damals für Tausende Juden gespielt hat. Denn:

    "Schanghai hat damals viele Juden einreisen lassen, die nirgends sonst ein Visum bekamen. Und wir wollten den Chinesen auch diesen Teil der Geschichte zeigen."

    Das Pekinger Museum hat bereits in den vergangenen Jahren das Leid anderer Länder präsentiert. Die Besucher konnten lernen, was Russland oder Korea im Zweiten Weltkrieg widerfahren ist. Für viele Chinesen ein neuer, höchst ungewöhnlicher Blick auf die Vergangenheit. Den sie mit der tagtäglichen staatlichen Propaganda aber offenbar nur schwer vereinen können. Denn China setzt gerade in den vergangenen Jahren wieder auf Konfrontation mit Japan, preist die Rolle des Militärs.

    "Ich merke immer wieder, dass es wichtig ist, ein starkes Land zu sein, so ein Mann. Deswegen muss auch China mächtig werden und weiter wachsen. So wie Amerika. Alle Länder hören heutzutage auf die USA, wenn wir stärker werden, werden sie auch uns folgen."

    Aussagen wie diese sind in China keine Seltenheit. Viele Chinesen betrachten Japan noch heute als Feind. Es ist deswegen umso bedauerlicher, dass die Holocaust-Ausstellung die Bemühungen um Aussöhnung im Nachkriegseuropa völlig ignoriert.