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War die '68er-Bewegung ein Stasi-Projekt?

Als Benno Ohnesorg durch die Kugel eines Polizisten starb, wurde ein entscheidendes Kapitel der Studentenbewegung in Deutschland aufgeschlagen. Nun rücken neue Erkenntnisse das Geschehen in ein anderes Licht: Der Polizist, der Ohnesorg erschoss, war ein Stasi-Mitarbeiter. Beeinflusste oder lenkte die Stasi die Studentenbewegung in Westdeutschland also sehr viel stärker, als bisher angenommen? - Über das Verhältnis zwischen dem DDR-Regime und der außerparlamentarischen Linken im Westen.

Von Christian Semler | 22.05.2009
    Wie der "Fall Kurras" erweist, war die Staatssicherheit der DDR ziemlich zielsicher, was die Platzierung ihrer Leute im Westberliner Sicherheitsapparat anlangt. Aber konnte sie die gleichen Erfolge auch in den Organisationen und Vereinigungen der oppositionellen Linken aufweisen? Entgegen dem ersten Anschein einer ideologischen Nähe zwischen der Westberliner Linken und der SED gestaltete sich der Versuch der Stasi, in diesem Milieu Einflussagenten und IMs zu gewinnen, als außerordentlich schwierig. Am ehesten gelang dies im Fall des Westberliner "Republikanischen Klubs", wo einige - allerdings wichtige, weil honorige - Figuren für Spitzeldienste gewonnen werden konnten. Zu ihnen zählte der altliberale Politiker William Born und einer der führenden jüngeren DDR-Spezialisten, Dieter Staritz. Die Staatssicherheit konnte immer dann auf Aufmerksamkeit hoffen, wenn ihre Gewährsleute "Enthüllungen" über die politischen Eliten der Bundesrepublik lancierten. Im Ganzen aber scheiterte der Stasi, den "Republikanischen Klub" in wichtigen politischen Fragen auf die Linie der SED zu bringen.

    Noch schwieriger war es für die DDR-Schlapphüte, die Reihen der Westberliner radikalen Linken, insbesondere den Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) zu unterwandern. Die antiautoritären radikalen Linken hatten kulturell wie politisch überhaupt nichts am Hut mit dem SED-Sozialismus. Sie träumten von der sozialistischen Produzentendemokratie und von den Räten als Ausdruck der unmittelbaren Volksherrschaft. Sie lehnten auch die Haltung der SED zum vietnamesischen Befreiungskampf als ungenügend und heuchlerisch ab. Ein Versuch der frühen 60er-Jahre, eine kontroverse Diskussion zwischen der SED-dominierten FDJ und dem SDS zu führen, war bereits nach dem ersten Anlauf an den Realsozialisten gescheitert.

    Wenig vorteilhaft für die Staatssicherheit war auch, dass führende Vertreter des SDS in der zweiten Hälfte der 60er-Jahre als Schüler Bekanntschaft mit dem DDR-Sozialismus gemacht und anschließend aus der DDR geflohen waren. SDS-Militante wie Dutschke, Rabehl und Rambausek entwickelten ihre Anschauungen gerade als Gegenbild zum bürokratischen tyrannischen und überaus spießigen realen DDR-Sozialismus. Dem steht überhaupt nicht entgegen, dass die Antiautoritären zur Unterstützung des vietnamesischen Volkes auf eine internationale Einheitsfront unter Einschluss der sowjetisch beherrschten Länder drängten. Gerade der Westberliner Vietnamkongress von 1968 als Einheitsfrontunternehmen erbrachte eine scharfe Abgrenzung seitens der radikalen Linken von den Sowjets und ihren Satrapen. Mit der sowjetischen Besetzung der CSSR August '68 wurde jede Aktionseinheit beendet.

    Seitens der SED wurde die radikale Linke in Westberlin als kleinbürgerlich, pseudolinks, also im Kern rechts, kritisiert und abgelehnt. Vielmehr stützte sich die SED in den späten 69er-Jahren auf linke Studentengruppen in der Bundesrepublik mit einem konventionell "traditionalistischen" Zuschnitt, aus denen sich später der "MSB Spartacus" entwickelte. In dessen Reihen fanden sich, wie aus den Akten der Gauck/Birthler-Behörde hervorgeht, auch eine Anzahl IMs als Überzeugungstäter. Dieses DDR-geneigte Umfeld war es, das Walter Ulbricht zu der Einschätzung brachte, die Studentenbewegung sei "von anarchisch-kleinbürgerlichen Obertönen" abgesehen, ein fortschrittliches Unternehmen. Es waren aber gerade diese Obertöne, die - Pech für die Stasi - in Westberlin die Musik machten.