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"War hier eine Synagoge?"

Drei Jahre lang ist der polnischer Fotograf Wojciech Wilczyk durch Polen auf den Spuren ehemaliger Synagogen durch sein Land gereist. Wie bei der Säkularisierung aus Kirchen Zeughäuser, Stallungen oder ähnliches wurde, so sind in Polen aus Synagogen auch schon mal Lagerhäuser oder Feuerwachen geworden: Spurensuche und freigelegte Geschichte in den Fotos des Wojciech Wilczyk.

Von Christoph Richter | 17.01.2009
    Es ist eine Spurensuche und Bestandsaufnahme der besonderen Art. In einer aufwendigen dreijährigen Recherche hat der Krakauer Fotograf Wojciech Wilczyk über 300 Synagogen in Polen ausfindig gemacht. Synagogen die noch existieren, aber nicht mehr den jüdischen Gemeinden gehören.

    Jetzt kann man alle Fotos erstmals in einer großen Werkschau in der Galerie Atlas Sztuki im polnischen Lodz sehen, dem früheren Lodz.

    "Ich möchte an die Synagogen von damals erinnern, und an die Menschen, die einst in diese jüdischen Gebetshäuser gegangen sind. Aber meine Bilder haben auch eine ganz politische Dimension. Denn mir ist es sehr wichtig zu zeigen, was später, also nach dem Krieg, mit diesen Synagogen passiert ist."

    Heute verfallen sie oder man hat aus den früheren jüdischen Gebetshäusern - Supermärkte, Kinos oder Feuerwachen gemacht. Die zum Teil atemberaubende Architektur hat man in den meisten Fällen einfach völlig zerstört. So wurden die Ornamente abgeschlagen, die Wände glatt geputzt, und das Innere der Synagogen einfach raus gerissen. Man hat schlicht alles ausgelöscht, was an die frühere Nutzung erinnern könnte.

    "Mir war gar nicht der Umfang bewusst. Also, dass es so viele Synagogen noch gibt, und das es so eine traurige Geschichte ist. Doch als ich dann begann die Fotos zu entwickeln und ich Bilder zum ersten Mal vor mir liegen sah, dann wurde es mir richtig klar, welche dunkle und düstere Macht in diesem Thema steckt. Und wie schrecklich das Ganze ist."

    Viele der Synagogen wurden erst um 1968 zerstört - im Laufe der judenfeindlichen Kampagne der polnischen Kommunisten. Man hat die Synagogen den noch existierenden jüdischen Gemeinden weggenommen und polnischen Kommunen übereignet.

    Ein besonders extremes Beispiel einer Übernahme eines jüdischen Gebetshauses zur öffentliche Nutzung hat der 47-jährige Wojciech Wilczyk in Przemysl ganz im Südosten Polens entdeckt, in der einst über 30.000 Juden gelebt haben. Dementsprechend stattlich war die dortige Synagoge, erbaut im maurischen Stil. Nach Kriegsende 1945 wurde die Synagoge wieder eröffnet. Später haben die kommunistischen Machthaber das Gebäude der jüdischen Gemeinde weggenommen. Vergeblich hat sie versucht, eine Rückgabe zu erwirken. 1978 wurde das Haus zur ewigen Nutzung der Stadtbibliothek überschrieben.

    "Ja genau. Und das war auch meine Motivation, als ich begonnen habe, an diesem Projekt zu arbeiten. Ich bin dann insgesamt drei Jahre lang kreuz und quer durch Polen gefahren, und habe die noch existierenden Synagogen gesucht, um sie dann zu fotografieren."

    6000 Fotos hat Wojciech Wilczyk gemacht, von denen jetzt 300 in Lodz zu sehen sind.

    Herausgekommen sind scheinbar leidenschaftslose, kühle und unpersönliche Bilder von Synagogen. Fotos die an die Dokumentarfotografien von Bernd und Hilla Becher erinnern.
    Man sieht keine Menschen, stattdessen leere Plätze, Mülltonnen oder billige Reklame.
    Wojciech Wilczyk schaut genau hin, mit dem unbestechlichen Auge des nüchternen Dokumentaristen.

    Der Warschauer Kurator Adam Mazur beschreibt die Fotos als die verbildlichte Gegenwart des Vergangenen.

    "Die Bilder beginnen zu uns zu sprechen. Und erzählen uns etwas über die deutsch-polnische und jüdisch-polnische Geschichte. Es geht bei diesem Projekt, eben um keine Klischees. Und es soll auch kein jüdisches Disneyland in Szene gesetzt werden, wie man es derzeit in Krakow erleben kann. Das ist ganz bewusst nicht gewollt."

    Titel der Werkschau: "There is no such thing as an innocent eye", was zu Deutsch so viel heißt, wie: Unschuldige Augen gibt es nicht.

    Mit bestechender Radikalität, aber auch Sentimentalität wird vorgeführt, was übrig ist, was noch existiert und was andere heute damit machen. Es sind Gebäude die mit der Landschaft verwachsen sind, dorthin gehören, heute jedoch wie Fremdkörper wirken. Und den Betrachter anrufen, wie ein Echo aus einer anderen Zeit. Die Synagogen sind bei Wilczyk Monumente, die den Wind der Vernichtung standhalten, und sich aus dem kollektiven Gedächtnis nicht so einfach ausradieren lassen.

    Die Schau ist auch ein Fingerzeig auf den latenten Antisemitismus, der in Polen vielerorts gerade in den ländlichen Gegenden noch immer das Selbstverständnis prägt.

    "Ich befasse mich schon sehr lange mit dokumentarischer Fotografie. Und wichtig ist mir bei diesem Projekt der Aspekt des Dialoges. Es sollen Dinge angesprochen werden, über die man in Polen immer noch nicht laut redet, und die man gerne verschweigen würde. Aber spannend ist auch, wie im Ausland diese Bilder aufgenommen, und wie sie dort gesehen werden."

    So Kurator Adam Mazur. Das eindrückliche Dokumentarprojekt über die Synagogen in Polen ist bis zum 1. März in Lodz zu sehen. Anschließend soll die Schau in Prag, Paris und Tel Aviv gezeigt werden. Im Herbst wird sie in Chemnitz zu sehen sein.

    Begleitend zur Ausstellung ist ein hervorragender Katalog erschienen, ein 700 Seiten dickes Buch, in dem alle Synagogen noch mal mit Foto und Text aufgelistet sind.