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Ware Mensch

Mit Menschen- und besonders Frauenhandel werden im Jahr Milliarden ungesetzt. Schätzungen zufolge kommen allein mehrere hunderttausend Menschen pro Jahr als moderne Sklaven nach Europa. Die Hauptrouten verlaufen über den Balkan und über den Südkaukasus. Eines der Herkunfts- und Transitländer ist Aserbaidschan am Kaspischen Meer. Noch immer wird das Thema Frauenhandel dort weitgehend tabuisiert. Ein Bericht von Gesine Dornblüth.

    [Einspielung: Telefon, Frauenstimmen, Lachen aus Nachbarraum, dazwischen Wählgeräusche vom Telefon.]

    Die Küche der Organisation "Clean World" in Baku. Auf der Eckbank schläft eine Katze, eine Schildkröte krabbelt über den Teppichboden. Am Küchentisch sitzt Sevil. Die zierliche Frau hat ihr Gesicht blass geschminkt. Sie hat einmal Jura studiert. Sie war dreißig, arbeitslos und verschuldet, als sie sich unter falschen Versprechungen in die Türkei locken ließ. Anderthalb Jahre verbrachte sie in Bordellen in der Türkei, als Zwangsprostituierte, verkauft von einer aserbaidschanischen Bekannten.

    "Meine Mutter war gestorben, und ich hatte mich verschuldet, um die Beerdigung zu bezahlen. Eine Bekannte sagte mir, dass ihr Mann eine Teefabrik in der Türkei hat, und dass ich dort 500 Dollar im Monat verdiene. Aber als ich dort ankam, wurde ich anderthalb Jahre lang an ganz verschiedene Orte verkauft."

    "Istanbul, Bodrum, Ankara - es gibt keinen Ort, an dem ich nicht war. Meinen Pass haben sie zerrissen. Ich bin mit einem Ersatzausweis zurückgekommen. Das hier ist mein Flugticket, und das hier (raschelt) die Bescheinigung vom Frauenhaus über meinen schlechten psychologischen Zustand."

    Sevil holt ein paar Zettel aus einer Klarsichtfolie. Fliehen konnte sie mit Hilfe eines Freiers, der sich in sie verliebte. Erst seit wenigen Wochen ist sie wieder in Aserbaidschan. Von ihren Peinigern wurde sie misshandelt und unter Drogen gesetzt.

    "Du wirst dort zu allem gezwungen. Du bist eine Sklavin. Die Freier waren meist betrunken. Das Geld haben sie dem Chef gegeben."

    "Uns blieb überhaupt keine Freiheit. (...) Ich hatte sehr große Angst. (...) Sie haben mich eingeschüchtert und gesagt: Wenn du die Polizei verständigst, rufen wir deine Familie an, und die Schande kommt über deine ganze Familie. Deshalb habe ich geschwiegen."

    Sevil blickt stumm auf den Küchentisch. Ihre Augen füllen sich mit Tränen. Sevil stammt aus Gence, einer Provinzstadt im Westen Aserbaidschans. In Baku fühlt sie sich fremd, aber zurück kann sie auch nicht.

    "Ich habe meine Freiheit verloren. Früher konnte ich vor meinen Verwandten meine Meinung sagen - jetzt nicht mehr. Ich gehe nur noch mit gesenktem Kopf. Und niemand vertraut mir mehr wie früher."

    Mehriban Zeinalova kommt dazu. Die 50-Jährige leitet die Organisation Clean World. Sie und ihre Mitarbeiterinnen helfen den Opfern von Menschenhandel, hören ihnen zu, besorgen ihnen Psychologen. Nicht nur Armut allein bringe die Frauen dazu, den falschen Versprechungen der Menschenhändler auf den Leim zu gehen, sagt Mehriban Zeinalova. Schuld sei auch die Einsamkeit vieler Frauen, der Verlust verbindlicher Werte nach dem Zusammenbruch des Sowjetsystems.

    Als Mehriban Zeinalova vor acht Jahren begann, das Thema Menschenhandel öffentlich zu machen, war sie damit in Aserbaidschan allein. Noch immer gibt es im ganzen Land kein einziges Frauenhaus. Dabei haben die Opfer von Menschenhandel Hilfe dringend nötig.

    "Die Frauen lachen mal, dann weinen sie von einem Moment auf den anderen. Sie sind labil. Aber vor allem sind sie natürlich unglücklich. Sie suchen sich selbst. Sie haben kein Selbstvertrauen. Sie wissen nicht, was sie tun müssen. Und oft geraten sie wieder in die Hände von Menschenhändlern. In dem Moment brauchen sie Unterstützung."

    Die aber bekommen sie in den seltensten Fällen. Zu groß ist das Schweigen. Sevil lebt zurzeit bei ihren Großeltern in Baku. Die ahnen nur, was ihre Enkeltochter erlebt hat. Sevil faltet die Hände im Schoß.

    "Einmal saßen wir alle zusammen, meine Schwester war auch da, und meine Oma hat mit mir geschimpft. Da bin ich ins Badezimmer gegangen und habe Chlor getrunken. Weil das einfach zu viele Vorwürfe gegen mich waren. Mir geht es auch so schon schlecht. Und sie haben es noch schlimmer gemacht. Es hat keinen Sinn gemacht, mich noch weiter auszuschimpfen. Seitdem sagen sie nichts mehr. Vielleicht hat meine Oma ein bisschen etwas verstanden. Mein Opa weiß aber gar nichts. Ich glaube, meine Oma und meine Schwester reden jetzt oft heimlich über mich, vielleicht wissen sie auch alles, aber direkt ins Gesicht haben sie mir nichts gesagt."

    Sevil schämt sich. Und sie fühlt sich schuldig.

    "Ich würde gern arbeiten, aber ich habe kein Geld, um mir einen Arbeitsplatz zu kaufen. Anders bekommt man hier keine Stelle."

    "Ich würde gern eine Arbeit machen, bei der ich solchen Mädchen helfe, denen das gleiche wie mir passiert ist. Sie wollen nicht betrogen werden und leiden wie ich."

    "Und wenn sie in der Not sind, dann sollen sie lieber trocken Brot essen, als irgendwo hin ins Ausland zugehen. Sie dürfen niemandem vertrauen."