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Warmes Fußbad für Grönlands Gletscher

Klima.- Seit gut 15 Jahren verliert Grönland mehr und mehr sein Eis. Der Gletscherschwund hat sich zwischen 1996 und 2007 verdreifacht. Der bisherige Verdacht, dass neben gestiegenen Lufttemperaturen auch die Erwärmung des Atlantiks für den Eisverlust verantwortlich ist, hat sich nun erhärtet.

Von Volker Mrasek | 15.02.2010
    Die italienische Ozeanographin Fiammetta Straneo beschreibt Grönland als ein gefährliches Pflaster. Sie war dort, mit einem Schiff, im Sommer 2008. In einem der gewaltigen Fjorde, an der Ostküste der Insel:

    "Man arbeitet in einem Gebiet voller Eisberge. Sie überragen die Wasserlinie vielleicht um 50 Meter. Und darunter sind sie 300 oder 400 Meter tief. Es wimmelt dort von Eis in allen Größen."

    Nur wenige Wissenschaftler wagten sich bisher in die unwirtlichen Gewässer, wie der französische Klimaforscher Eric Rignot bedauert:

    "Wir wissen sehr wenig darüber, was mit dem Festlands-Eis geschieht, das in Kontakt mit dem Ozean ist. Die meisten Gletscher Grönlands enden in Fjorden und verlieren Eis ans Meer. Doch es gibt kaum Daten über die Temperaturen in diesen Gletscher-Fjorden. Und praktisch keine direkten Messungen der Schmelzraten unter der Wasseroberfläche."

    Rignot ist Professor für Erdsystemwissenschaft an der Universität von Kalifornien in Irvine. Auch er war im Sommer 2008 auf Expediton in Grönland, an der Westküste. Jetzt legt seine Arbeitsgruppe ihre Ergebnisse vor, genauso wie die von Fiammetta Straneo. Sie forscht am Ozeanographischen Institut in Woods Hole in den USA. Grönland wird von einem Kaltwasser-Strom aus dem Arktischen Ozean umspült. Südlich davon hat sich der Nordatlantik erwärmt. Dort wurden schon bis zu sieben Grad plus gemessen. Straneos Team wollte wissen, ob es das wärmere Atlantikwasser schafft, den kalten Küstenriegel um Grönland zu durchbrechen und bis in die Gletscher-Fjorde vorzudringen.

    "Wir sind nicht nur auf sehr viel warmes Wasser in dem Fjord gestoßen. Wir konnten auch sehen, dass es sehr schnell nachströmt. Flösse das Wasser nur langsam, könnte es kaum Gletscher-Eis zum Schmelzen bringen. Die transportierte Wärme-Menge wäre zu gering. Wir fanden aber eine sehr schnelle Zirkulation. Und das heißt: Es ist tatsächlich möglich, dass wärmer gewordenes Atlantikwasser Grönlands Gletscher an ihrem Rand schneller schmelzen lässt."

    Die Arbeitsgruppe von Eric Rignot kümmerte sich um einen anderen Mosaikstein in dem Klima-Puzzle. Sie fahndete nach Schmelzwasser-Flüssen in den Tiefen der Fjorde, die es ja geben muss, wenn die Gletscher unter dem Meeresspiegel tauen. Die Forscher wurden auch fündig, mithilfe von Temperatur- und Salzgehaltsmessungen. Doch als sie aus den Daten dann die submarinen Schmelzraten der Gletscher ableiteten, waren sie ziemlich erstaunt. Rignot ermittelte Eisverluste zwischen 0,7 und 3,9 Metern pro Sommertag. Das sind gewaltige Unterschiede. Wie lässt sich das erklären?

    "Auf dem Höhepunkt der letzten Eiszeit rückten viele der Gletscher vor und schoben dabei Geröll vor sich her. Als sie später wieder schrumpften, blieb der Schutt zurück. Diese Endmoränen sind heute wie Mauern auf dem Meeresgrund. Ihre Höhe variiert dabei von Fjord zu Fjord. Manche sind so groß, dass sie das Einströmen wärmeren Wassers in der Tiefe verhindern. Und manche sind zu klein dafür."

    Die beiden neuen Studien liefern erste handfeste Belege für die These, dass Wärme aus dem Ozean tatsächlich zum beschleunigten Gletscherschwund in Grönland beiträgt. Sie zeigen aber auch, dass das, was in den Fjorden abläuft, komplizierter ist als gedacht. Der englische Polarforscher Paul Holland sieht auf jeden Fall weiteren Forschungsbedarf:

    "Die beiden Studien können nur der Anfang sein. Wir brauchen unbedingt mehr und längere Beobachtungen in Grönlands Fjorden. Solange sie fehlen, können wir Eisschild und Ozean in unseren Klimamodellen nicht miteinander koppeln."