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Warnung vor dem Bachelor!

Honecker: Christoph Wolff ist weltweit einer der renommiertesten Musikwissenschaftler. Der Deutsche ist nicht nur Direktor des Leipziger Bach-Archivs, sondern auch seit fast 30 Jahren Professor an der amerikanischen Elite-Universität Harvard. Davon acht Jahre lang als Dekan. Mit dieser Sicht auf zwei Bildungssysteme, warnt er nun vor der Blauäugigkeit, mit der in Deutschland Bachelor und Master eingeführt werden. Herr Wolff, was unterscheidet denn den deutschen von dem Bachelor, den man in Harvard ablegen kann?

    Wolff: Der unterscheidet sich ganz erheblich und zwar vor allen Dingen darin, dass der deutsche Bachelor einen fachbezogenen Studienabschluss darstellt. Der amerikanische Bachelor, den man nach vier Jahren erwirbt, ist etwas völlig anderes und zwar ein Studienabschluss, der basiert auf einer Kombination von allgemeinen Fächern auf Universitätsniveau, das heißt, die Studenten müssen einen bestimmten Prozentsatz von Kursen in den Gebieten Naturwissenschaften, Sozial- und Geisteswissenschaften belegen, dazu aber ein Hauptfachstudium und das bringt letztlich das Niveau des amerikanischen Bachelors auf eine Ebene, die es mit dem deutschen schlecht vergleichbar macht.

    Honecker: Wenn man das ein bisschen mit der Geschichte vergleicht, es war ja im Mittelalter beginnend Tradition, erst einmal die Artes Liberales zu studieren, also eine Art grundständiges Studium bevor man dann die höheren Fakultäten anstreben konnte, Jura oder die Medizin oder die Theologie. Ist das ähnlich in den USA?

    Wolff: Das ist genauso in den USA noch. Im Grunde genommen ist der Bacalaurius, der alte lateinische Terminus ist hier passend, der Grad, der seit dem Mittelalter die Grundlage für alle weitere wissenschaftliche Ausbildung darstellt und wenn hier der deutsche Bachelor, der jetzt den englischen Namen trägt, eingeführt wird, dann hat der natürlich zuerst einmal überhaupt keinen Stellenwert, weil keine Tradition da ist. In Amerika ist der Bachelor, das gilt auch für den gesamten angloamerikanischen Raum, die klassische, erste akademische Ausbildung, die einen Abschluss erfordert, der sich eben auf einem ganz klar definierten Niveau befindet.

    Honecker: Das heißt also, wenn deutsche Bachelor-Studenten zu Ihrer Hochschule wechseln wollten, könnten die Probleme bekommen?

    Wolff: Die dürften erhebliche Probleme bekommen, das gilt nicht nur für die USA, ich denke, das gilt auch für England und ich nehme an, dass da einfach noch eine große Anstrengung erforderlich wird, um die Harmonisierung der Systeme zu erreichen.

    Honecker: Was heißt das denn? Raten Sie deutschen Studenten ab, diesen Abschluss anzustreben?

    Wolff: Ich kann das nicht so direkt sagen, denn das Problem ist, dass von höherer Warte, das heißt, von den Politikern dieser neue Studiengang eingeführt wird, oftmals auch gegen den Willen der Universitäten und was ich bedaure ist, dass letztlich auf dem Rücken der Studenten hier ein Universitätsreformversuch ausgetragen wird, der relativ unausgegoren ist.

    Honecker: Wir haben ja in Deutschland nicht nur eine Reform in Bezug auf die Studienabschlüsse sondern auch was den wissenschaftlichen Nachwuchs angeht, wird derzeit heftig diskutiert. Das Bundesverfassungsgericht hat gerade ein Gesetz zur Einführung der Juniorprofessur als nichtig erklärt. Was denken Sie, wenn Sie das vergleichen, Juniorprofessor, der ordentliche Professor, den es bislang in Deutschland gab, wie wird das im Ausland wahrgenommen?

    Wolff: Im Ausland wird in erster Linie bedauert, dass die Universitätsreform in Deutschland von den Gerichten und den Parlamenten organisiert wird und nicht aus den Hochschulen selbst kommt. Das ist vor allen Dingen für das angloamerikanische Universitätswesen eine undenkbare Sache, dass nicht die Universitäten selbst, das heißt, die Professoren und Studenten die Initiatoren einer letztlich permanenten Reform sind, sondern dass es hier im Hauruckverfahren politische Reformen gibt, die den Universitäten letztlich keine Zeit lassen, sich ihren eigenen Weg zu überlegen und hier Voraussetzungen zu schaffen für eine Entwicklung, die den gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Bedingungen einer sich ständig verändernden Welt entsprechen.

    Honecker: Professor Christoph Wolff, seit fast drei Jahrzehnten an der amerikanischen Harvard Universität. Herzlichen Dank.