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Warum muss der documenta-Leiter eigentlich links sein?

Kaum hat die Kasseler Documenta Kassensturz gemacht und ihren umfassenden Erfolg ausgerufen, beginnen die Vorbereitungen für die nächste Schau, von der zweierlei feststeht: Erstens, dass sie "documenta 12" heißen, und zweitens, dass sie vom 16. Juni bis zum 23. September des Jahres 2007 in Kassel stattfinden wird. Das Merkwürdige an der Documenta und ihrer Planung ist, dass es überhaupt keinen Auftrag gibt, sie in der einen oder der anderen Weise zu gestalten. Selbst der Umstand, dass es sich um eine Kunstausstellung handelt, ist nirgendwo niedergelegt, und schon gar nicht - wie man naiver Weise vielleicht denken würde - dass es darum ginge, internationale zeitgenössische Kunst zu zeigen. Ob das so sein wird oder nicht, liegt allein in den Händen der Leiterin oder des Leiters, die oder der berufen wird. Um diese Person vorzuschlagen, hat der Aufsichtsrat eine Findungskommission eingesetzt, und die Findungskommission für die documenta 12 kommt gerade jetzt in Kassel zum ersten Mal zusammen. Es sind sieben Direktoren von Museen und Kunsthallen in Kassel, London, Barcelona, Chicago, Düsseldorf, Oslo und Warschau, plus ein leitender Kustos vom Nationalmuseum moderner Kunst in Kioto, also insgesamt acht Leute. Keiner von ihnen hat je die Documenta geleitet.

Von Ulf-Erdmann Ziegler | 28.05.2003
    Die Documenta war jahrzehntelang in der Hand deutscher Kuratoren, 1972 ließ man einen jungen Schweizer dran, und zwanzig Jahre später einen festiv gestimmten Holländer. Völlig neu war beim vorletzten Mal die Berufung einer Frau, Catherine David aus Paris, und beim letzten Mal die Berufung eines afrikanischen Kurators mit New Yorker Prägung, Okwui Enwezor. Selbstverständlich wurde jeweils von allen Beteiligten vehement bestritten, dass irgendein Proporzgedanke im Spiel gewesen sei. Dennoch hat sich mit diesen Entscheidungen der Charakter der Documenta spürbar verändert.

    Die Leiter von 1959 bis 1992 hatten die Richtung der Documenta über eine Kette von Entscheidungen vorgegeben, wobei die jeweils lang geheim gehaltene Künstlerliste das zentrale Instrument der Steuerung gewesen war. Vor allem wurde in Kassel nie ganz vergessen, dass die Documenta im Kalten Krieg gegründet worden und eben deshalb im äußersten Osten des Westens heimisch geworden war: die Documenta war eine Feier westlicher Kunst, nicht immer im Detail, aber im Kern.

    Das war nach 1989 so nicht mehr selbstverständlich, und ohne einen Dreh in Richtung Globalisierung war die große Show gewiss nicht mehr hinzulegen. Dabei vertraten Catherine David und Okwui Enwezor deutlich unterschiedene Positionen. David setzte an bei einer Generalkritik der Bedingungen westlicher Kunst, deren Bezug auf den "white cube" - das moderne Museum - ihr speziell verdächtig erschien. Enwezor gab der Documenta durch vier weltweite Konferenzen einen sozialgeschichtlichen und politologischen Vorlauf, der so massiv vermarktet wurde, dass der künstlerische Leiter daraus sogar ein Monopol seiner Mannschaft auf Publikumsführungen ableitete. Und diese Führungen waren reinste Indoktrination.

    Wenn man sich also fragt, welche Tendenz der Documenta sich nach dem Ende des Kalten Kriegs durchgesetzt hat, dann ist es die eines mehr oder weniger deutlichen politischen Bekenntnisses. Die Documenta ist links. Sie ist nicht nur links, sondern sie ist direkt oder indirekt auf marxistische Theorie bezogen. Dies ist aber keineswegs der späte Sieg der untergegangenen Sowjets. Denn die Kaderschmieden einer kultisch betriebenen Ideologiekritik, deren Parametern jede Betrachtung unterworfen wird, sind die amerikanischen Universitäten. Dort hat sich eine Lehre breit gemacht, die sich den Sturz der Siedlerkultur - die weiße, angelsächsische Hegemonie - auf ihre Fahnen schrieb und mit genau jenem puritanischem Eifer verficht, der dem Objekt ihrer Kritik eigen ist oder einstmals war. Jede Kunst, die die Gesinnungsmaschinerie nicht bedient - weil sie zum Beispiel formalen Fragen nachgeht -, wird als patriarchal, repressiv oder rassistisch denunziert. Unter dem Bann dieser letztlich ängstlichen Interpretation von Kunst stehen der zeitgenössische Betrieb und seine globalen Eliten. Eine tiefsitzende Bilderfeindlichkeit ist ihm eigen.

    Wenn also die Wahl der "künstlerischen Leitung" für die Documenta des Jahres 2007 ansteht, sollte dringend daran erinnert werden, dass niemand die Kommission zwingt, die "künstlerische Leitung" einem der üblichen Verdächtigen anzuvertrauen.

    Überhaupt nichts spräche etwa dagegen, dass das Haupt einer Documenta glühender Zionist oder gläubige Katholikin sein dürfe. Ja, nur um das Klischee zu widerlegen, sollte die nächste Documenta jemand leiten, der nicht angedockt ist an den eifernden Wettbewerb salonmarxistischer Streber, ein leitender Kopf, der der politisch korrekten Hirnwäsche durch Glück oder Willensstärke entgangen ist. Nur eines sollte zählen: Ob dieser Mann oder ob diese Frau die Kunst kennt und liebt. Die weltanschaulichen Fragen sollten zurückgegeben werden an die Künstler selbst, denen es ohnehin freisteht, sie offen zu lassen.

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