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Warum raucht der Mensch?

Biologie.- Wie stark Nikotin den Einzelnen abhängig macht, dafür ist womöglich die genetische Veranlagung mitverantwortlich. Das berichten Forscher nun im Fachmagazin "PNAS". Das Erbgut entscheidet vielleicht sogar mit darüber, wie anfällig ein Mensch ist, mit dem Rauchen überhaupt erst anzufangen.

Von Katrin Zöfel | 17.05.2011
    Jeder vierte Mensch über 15 Jahren in Deutschland raucht, laut Zahlen des statistischen Bundesamtes. Weltweit sind es geschätzt eine Milliarde Menschen – und das allen gesundheitlichen Risiken zum Trotz. Warum das so ist, auf welche Weise Nikotin also süchtig macht, daran forschen Wissenschaftler schon lange. Inzwischen häufen sich Hinweise, dass das sogenannte endogene Opiodsystem im Gehirn dabei eine zentrale Rolle spielt. Caryn Lerman arbeitet am Tabakforschungszentrum der Universität von Pennsylvania.

    "Und das hat uns natürlich interessiert. Es gibt Studien, die zeigen, dass Nikotin im Gehirn dazu führen könnte, dass Endorphine freigesetzt werden. Diese wiederum beeinflussen das endogene Opioidsystem und zwar in Richtung positiver Gefühle. Das wäre dann der Grund für die angenehme Wirkung von Nikotin."

    Das endogene Opioidsystem funktioniert wie eine Art Informationsnetz, das Teile des Gehirns durchzieht. Die Informationen werden über Botenstoffe weitergegeben - wie zum Beispiel die Endorphine – diese Botenstoffe binden an spezielle Bindungsstellen, die Rezeptoren. Verändern Drogen die Menge an Botenstoffen, bringen sie das Informationsnetz durcheinander.

    Mehrere Rezeptortypen spielen dabei eine Rolle. Caryn Lerman konzentrierte sich auf den µ-Rezeptor - und untersuchte eine genetische Variante, die jeder vierte Mensch in sich trägt. Diese Menschen zeigen weniger Neigung, zur Zigarette zu greifen. Die Forscherin vermutet: diese Menschen haben nicht nur andere, sondern auch weniger µ-Rezeptoren, Nikotin müsste bei ihnen deshalb schwächer wirken. Um ihre These zu prüfen, holte sie sich 22 Raucher ins Labor, die eine Hälfte mit der seltenen Genvariante, die andere Hälfte mit der normalen, verbreiteten Variante. Beide Gruppen durften eine Zigarette rauchen. Dann mussten sie Auskunft geben:

    "Die Raucher füllten einen Fragebogen aus, wie sehr sie die Zigarette genossen hatten, und um wie viel besser sie sich durch die Zigarette fühlten. Das haben wir dann in Beziehung gesetzt zur Anzahl von Hirnrezeptoren."

    Die Zahl der bindungsfähigen Hirnrezeptoren bestimmten die Forscher durch Positronen-Emissions-Tomographie, ein bildgebendes Verfahren, das Rückschlüsse auf die Aktivität des Gehirns zulässt. Das Ergebnis: In der Gruppe mit der seltenen Genvariante war der Zusammenhang klar. die Versuchspersonen genossen ihre Zigarette umso mehr, je mehr freie µ-Rezeptoren ihr Hirn aufwies. In der zweiten Versuchsgruppe dagegen fehlte dieser Zusammenhang. Auch der Vergleich zwischen beiden Gruppen fiel nicht so eindeutig aus wie erhofft. Warum, das können die Forscher bisher nicht erklären. Die Ergebnisse deuten also zwar in eine Richtung, sind aber nicht eindeutig. Caryn Lerman:

    "Wir wollen diese Experimente deshalb mit einer größeren Gruppe von Rauchern und Nicht-Rauchern wiederholen. Außerdem wollen wir testen, wie die Wirkung von Medikamenten ist, die diesen Rezeptor blockieren."

    Wenn Caryn Lerman's These zutrifft, wäre ein Protein für das Suchtpotenzial von Nikotin entscheidend, nämlich eben dieser µ-Rezeptor. Versuche an Labortieren stützen ihre Annahme. Doch womöglich ist der Zusammenhang komplizierter. Der Neurobiologie Olivier George vom Scripps Forschungsinstitut in La Jolla, Kalifornien, untersucht seit Jahren einen anderen Opioid-Rezeptoren, den κ-Rezeptor. Dieser vermittelt im Gegensatz zum µ-Rezeptor nicht positive Gefühle, sondern Schmerz und Aversion. In Experimenten an Mäusen und Ratten konnte der Forscher nachweisen, dass der κ-Rezeptor das Verlangen nach Nikotin tatsächlich beeinflusst. µ und κ seien, sagt er, so etwas wie die helle und die dunkle Seite der Sucht.

    "Genau das ist die große Frage auf unserem Gebiet: was trägt mehr zur Sucht bei, die helle oder die dunkle Seite? Wird man also süchtig, weil man durch die Droge mehr positive Gefühle hat, oder andersherum, weil man mehr negative Gefühle hat, wenn die Droge fehlt."

    Klar ist, ob nun hell oder dunkel: die Mechanismen, die sich als Grundlage der Nikotinsucht nachweisen lassen, gelten wahrscheinlich auch für andere Abhängigkeiten, wie Alkohol, Kokain oder Heroin. Auch wenn die Wirkung im Gehirn von verschiedenen Substanzen ausgelöst wird, alle Wirkpfade treffen sich am Ende auf einem letzten, gemeinsamen Wegstück. Die Fehlfunktion, die zu einer Sucht führt, findet sich häufig hier und wäre dann bei allen ähnlich.