Archiv


Was anderen verborgen bleibt

Als Ingenieur hat Lutz Newiger aus dem brandenburgischen Börnicke Züge für Bombardier gebaut. Als er dann vor zwei Jahren arbeitslos wurde, hat er sein Hobby kurzerhand zum Beruf gemacht: Er bezeichnet sich selbst als Landstreicher und führt nun andere Naturliebhaber durch Brandenburg - auf kaum befahrenen Nebenstrecken, immer auf der Suche nach den schönsten Orten.

Von Andrea Kalbe |
    "So, wir sind jetzt in Kremmen angekommen. Kremmen ist also quasi wie auf einem Sandhügel im Luch errichtet worden. Und wir fahren jetzt den kleinen Hügel runter und schlängeln uns den Weg direkt ins Rhinluch rein."

    Lutz Newigers weißer Kleinbus holpert die unwegsame Straße entlang. Am Rande der Kleinstadt Kremmen biegt er links ab und steuert den Wagen auf eine endlos scheinende Wiesen- und Weidelandschaft zu. Die Tour ist fast ausgebucht. Fünf Ausflügler wollen heute mit ihm die Gegend erkunden. Ihnen will Newiger vor allem die kleinen Dinge in der Natur näher bringen - abseits von den ausgetretenen Touristenpfaden. Er hält an und kurbelt das Fenster herunter.

    "Hier sehen wir ein Beispiel für rostige Bäume. Das ist jetzt auch etwas für den Detailblick. Hier ..."

    "Ja, rostige Bäume, siehste ..."

    "Da rosten die Holunderbüsche. Das ist natürlich kein Rost, das ist so eine spezielle Flechte, aber man sieht die nicht überall. Aber die werden wir jetzt auch noch mal des Öfteren sehen."(24 sek)

    Weiter geht es kilometerweit über das ausgedehnte flache Land. Die Straße ist nicht mehr geteert und gerade mal so breit wie das Auto. Ab und zu taucht eine Baumreihe am Horizont auf. Ein paar Schafe grasen auf einer umzäunten Wiese. Nach und nach wird die Landschaft waldiger: Birken, Weiden und Erlen stehen in urwüchsigen Formationen zusammen. Alles scheint naturbelassen. An einem mit Schilf bewachsenen Weiher parkt der 48-Jährige den Wagen. Sein Ziel ist der Rhin - der Fluss, dem das Rhinluch seinen Namen verdankt. (32 sek)

    "So, jetzt werden wir vielleicht so eine halbe Stunde laufen."

    Lutz Newiger, eingepackt in warme Funktionskleidung, hängt sich zwei Stative um. Am Rhin will er später mit dem Fernrohr noch Vögel beobachten. Der kleine sportliche Mann mit der runden Brille stapft einen matschigen Trampelpfad voran, vorbei an Trauerweiden und umgestürzten Bäumen. Nebenbei erklärt er die Vegetation und deutet immer wieder auf Tierspuren. (

    "Hier haben wir zum Beispiel ältere Biberfraßspuren , aber die sind bestimmt schon zwei Jahre alt. Das hier ist ein bisschen frischer. Das ist ein paar Wochen alt, würde ich sagen, aber da sehen wir dann noch viel mehr."

    "Was ist das?"

    "Fraßspuren vom Biber. Also die äußeren, die dunkelbraunen sind bestimmt noch vom vergangenen Jahr, aber hier oben hat er vor ein paar Wochen würde ich sagen, so nach der Färbung zu urteilen, noch mal probiert, ob es schmackhaft ist oder auch nicht."

    "Die Zähne an der Seite, schau mal, das ist richtig von den Zähnen dieses Runtergeschabte."

    "Genau, man sieht die Schneidezähne, die vorderen, man kann genau sehen, wie breit die sind."

    Nach ein paar Metern geht es erst mal nicht mehr weiter. Ein massiver Baum liegt quer über dem Weg.

    "Das ist der Fitnessanteil jetzt hier. Man muss sich hier die Landschaft auch manchmal im wahrsten Sinne des Wortes erobern. Es braucht etwas Mühe und Anstrengung, aber dafür wird man nachher von den Ausblicken her belohnt. Deshalb würde ich sagen, schauen wir mal, wie wir hier jetzt drüberkommen."

    Die Gruppe findet es amüsant und aufregend. Einer nach dem anderen klettert über den Baum hinweg oder robbt unten durch. Noch ein Stück auf einen kleinen Damm hinauf - dann ist es geschafft: Der Blick fällt auf den Rhin, der sich träge durch die Landschaft windet. Lutz Newiger kennt viele solcher Ecken in Brandenburg. Schon als Kind hat er die Gegend regelmäßig erkundet. Auf einer kleinen Brücke baut Newiger dann sein Fernrohr auf. Konzentriert sucht er den Fluss ab.

    "Hier, da ist der Eisvogel. Guckt mal jetzt hier durch."

    "Schnell, schnell. Scheiße, ich sehe ihn nicht."

    "Na, da sitzt er doch."

    "Genau in der Mitte."

    "Doch, ich sehe ihn, ich sehe ihn."

    "Und wo?"

    "Ja, genau in der Mitte. Der ist ganz klein, und der hat auch die Flügel nicht auseinander - von daher."

    Zurück am Auto haben alle Hunger. In Windeseile klappt Newiger vier schmale Bänke und einen Tisch auseinander. Aus einer großen Kiste zaubert er Porzellangeschirr und Weingläser. Es gibt dick belegte Brote und selbstgemachten Holunderpunsch.

    Lutz Newiger bereitet seine Touren gut vor. Schon früh steht er auf, fährt zum Bäcker, packt die Proviantkiste. Eine ordentliche Verpflegung ist ihm wichtig, denn meist ist er mit den Leuten den ganzen Tag unterwegs - auf Tierbeobachtungen, Fotostreifzügen, Kräuterwanderungen. Rund 20 verschiedene Touren hat er im Angebot.

    Eine Stunde später in der Nähe des kleinen Örtchens Hakenberg am Rande des Rhinluchs: Eilig steigen die Ausflügler einen gut 40 Meter hohen Aussichtsturm hinauf. Das sogenannte Neue Denkmal erinnert an die Schlacht zwischen Preußen und Schweden bei Fehrbellin im Jahr 1675. Es ist schon dämmerig, aber dennoch geht der Blick weit ins Land hinein.

    "Also, was man jetzt hier so schön sieht, wie sich die Nebellandschaft langsam füllt. Also, man sieht hier unten in Bodennähe den Nebel, dort hinten haben wir die Landstraße. Dahinten sieht man von Fehrbellin ein bisschen Licht. "

    Lutz Newiger erzählt noch ein bisschen was zur Geschichte des Denkmals, dann führt er seine Gäste wieder hinunter. Selbst für die, die aus der Gegend kommen - so wie die Malerin Eva Paul -, gab es heute viel Neues zu entdecken.
    "
    "Ich fand es sehr schön, dass wir hier so durch diese Wildnis geklettert sind. Das ist doch schon außergewöhnlich. Und der Blick auf dieses Land hier allgemein. Auch jedes Detail, das man sieht. Ob das kleine Sachen sind, die direkt am Weg sind, oder ob man in die Ferne guckt - das ist alles schön. Und alleine macht man so eine Tour nicht so ohne Weiteres."
    In der Dunkelheit geht es zurück über Brandenburger Landstraßen. Am Ende dieses kalten Tages sind alle erschöpft, aber glücklich.


    Wer auch gerne mal mit dem Landstreicher unterwegs sein möchte, für den haben wir hier noch die Internetadresse: www.newiger.eu.