Die Union ist eigentlich gegen den Mindestlohn und doch hob heute eine Mehrheit ihrer Abgeordneten im Bundestag die Hand für eine Lohnuntergrenze für Briefzusteller. Zu Beginn der großen Koalition schienen die Fronten dagegen noch klar: auf der einen Seite die Sozialdemokraten; sie kämpften gemeinsam mit den Gewerkschaften für einen einheitlichen, gesetzlichen Mindestlohn; auf der anderen Seite die Union; sie argumentierte genauso vehement dagegen. Die Begründung: Ein Mindestlohn vernichte Arbeitsplätze. Bundeskanzlerin Angela Merkel:
"Die Union hat immer wieder gesagt, dass wir einen einheitlichen, flächendeckenden Mindestlohn für falsch halten."
Trotz der klaren Ansage der Kanzlerin ließen die Sozialdemokraten nicht locker - allen voran der ehemalige Arbeitsminister Franz Müntefering. Es gelang, der Union das Zugeständnis abzuringen, die Einführung von branchenbezogenen Mindestlöhnen in einigen Wirtschaftszweigen zu prüfen. Die Wahl fiel auf die Post.
Der Hintergrund: Die Union wollte an dem Plan, das Briefmonopol zum 1. Januar 2008 aufzuheben, festhalten. Die SPD wollte im Gegenzug die Postbediensteten vor Dumping Löhnen schützen und hatte nicht nur die Gewerkschaft, sondern auch den größten Arbeitgeber auf ihrer Seite. Post-Chef Klaus Zumwinkel setzte sich für einen Mindestlohn für seine Angestellten ein.
Nach der Entscheidung für die Aufnahme in das Entsendegesetz wurde rasch ein von der Post dominierter Arbeitgeberverband gegründet. Zusammen mit Verdi und zwei kleineren Postgewerkschaften handelte er einen Tarifvertrag aus - mit Lohnuntergrenzen zwischen acht Euro und 9,80 Euro. Diese Vereinbarung legten die Tarifpartner der Regierung vor, die das Entsendegesetz jetzt geändert hat und den Tarifvertrag für allgemeingültig erklären lassen will. Dann müssen auch die nicht tarifgebundenen Firmen den Mindestlohn zahlen.
Ursprünglich sollte das Entsendegesetz deutsche Firmen vor Dumping-Konkurrenz aus dem Ausland schützen, allen voran die Baubranche vor billigen Arbeitskräften aus Osteuropa, so das Kalkül. Bald baten auch Gebäudereiniger um die Aufnahme ins Entsendegesetz. Die treibende Kraft waren auch hier die Arbeitgeber. Johannes Bungart, Geschäftsführer des Bundesinnungsverbandes des Gebäudereinigerhandwerks.
"In der Gebäudereinigung und in vielen anderen Bereichen im Niedriglohnsektor betragen die Lohnkosten rund 80 Prozent am Gesamtkostenblock. Und deswegen wird der Wettbewerb natürlich auch sehr stark über den Lohn geführt und wir möchten hier wenigstens eine Grenze nach unten abgesichert haben, dass unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen da nicht dem sogenannten freien Spiel der Kräfte, was immer das auch brutalst möglich sein mag, ausgesetzt sind."
Das hätte auch für die Unternehmen einen Unterbietungswettbewerb und damit ruinöse Konkurrenz bedeutet. Die Lohnuntergrenzen sind klar gezogen, es darf keine Firma mit Armutslöhnen denen Konkurrenz machen, die ihre Mitarbeiter ordentlich bezahlen.
Jetzt sind also auch die Briefträger an der Reihe. Während die SPD dies als weiteren Etappensieg verbuchen kann, sind bei der Union nicht alle mit dieser Entscheidung zufrieden, denn ein Mindestlohn ist in den Augen der parteiinternen Kritiker ein schädlicher Eingriff ins Marktgeschehen und führt zum Verlust von Arbeitsplätzen.
Besonders heikel in der Postbranche: Durch den ausgehandelten Mindestlohn werde die marktbeherrschende Stellung der Deutschen Post AG auch nach der Liberalisierung konserviert und so der Wettbewerb verhindert. Der Christdemokrat Michael Fuchs ist einer von 19 Unionsabgeordneten, die heute im Bundestag gegen den Mindestlohn für Briefzusteller gestimmt haben.
"Wir dürfen keinen Tarifvertrag allgemeinverbindlich erklären, der nichts anderes ist, als eine Monopolverlängerung für die Post beziehungsweise eine Wettbewerbsverhinderung. Wir brauchen Wettbewerb, auch auf dem Postsektor."
Einen Wettbewerb, der sich aber, so Michael Fuchs, bei einem Mindestlohn von bis zu 9,80 Euro gar nicht entwickeln könne. Ganz anders sehen das die Sozialdemokraten. SPD-Generalsekretär Hubertus Heil prangert das Gebaren der Postkonkurrenten an.
"Die haben Geschäftsmodelle aufgebaut auf Armutslöhnen und das ist nicht in Ordnung und das tragen die jetzt auf dem Rücken der Mitarbeiter aus. Das ist nicht in Ordnung. Der Tarifvertrag ist nicht von der Politik gemacht worden, der ist zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeber ausgehandelt worden. Und wir haben die Aufgabe, ihn allgemeinverbindlich zu erklären. Die Frage von Mindestlöhnen ist nicht nur eine sozialpolitische. Es geht nicht nur darum, dass Menschen von ihrer Arbeit leben können müssen. Es ist auch eine wettbewerbspolitische. Wir wollen fairen Wettbewerb und zwar um die besten Dienstleistungen auch im Postgewerbe und nicht um die niedrigsten Löhne."
Frühmorgens in Niederaußem bei Bergheim in Nordrhein-Westfalen. Wilhelm Jutz ist Briefzusteller bei der PIN Group, neben TNT Post der bislang wichtigste Herausforderer der Deutschen Post. Jutz ist für die heftige politische Debatte über die Einführung von Mindestlöhnen für den Zustellerdienst mit verantwortlich, zumindest indirekt. Denn wie die meisten der rund 50.000 Beschäftigten bei den anderen privaten Zustellerfirmen verdient der 49-Jährige nur einen Bruchteil dessen, was die Kollegen mit der gelben Uniform bekommen:
"Ich sage ja, 5,39 Euro bin ich zurzeit, weil: Ich hab ungefähr 120 Stunden und wenn ich das durch 700 Brutto teile, dann komme ich auf 5,39 Euro Stundenlohn."
Zum Vergleich: Der durchschnittliche Lohn bei der Post liegt bei 11,29 Euro. Dazu kommen Urlaubs- und Weihnachgeld. Doch von solchen Bedingungen kann Jutz nur träumen:
"Wenn einer krank ist, wenn einer Urlaub hat, dann müssen da die anderen einspringen und mit übernehmen. Es bleibt bei den 700 Euro. Weil: Dann heißt es, kann man irgendwie abfeiern. Bloß ich warte drauf, wie ich meine Überstunden abfeiern kann. Es gibt keine Zulagen. Es gibt bloß zwölf Monate lang denselben Lohn: 700 Euro brutto."
Zum Leben reicht das nicht. Deshalb ist auch Jutz ein so genannter Aufstocker. Dass heißt, der Staat finanziert einen Teil seiner Lebenshaltungskosten.
Gerade auf dem arbeitsintensiven Postmarkt bestimmen die Personalausgaben bis zu 70 Prozent der Kosten. Insofern bietet sich gerade hier die Chance für die rund 700 Wettbewerber der Post, den Branchenriesen herauszufordern. Das wiederum hat der Branche ihren schlechten Ruf eingebracht: Miserable Arbeitsbedingungen seien das Geschäftsprinzip, lautet der Vorwurf auch von der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Bundesfachgruppenleiter Rolf Bauermeister:
"Dabei geht es auch nicht um einzelne schwarze Schafe, sondern um eine Entwicklung in der gesamten Branche. Während der Anteil der geringfügig Beschäftigten in der Gesamtwirtschaft bei 19,6 Prozent liegt, müssen wir feststellen, dass es außerhalb der Post bei den Briefdienstleistungen einen Anteil von 62,3 Prozent geringfügig Beschäftigter gibt. Und das ist eine Entwicklung, die wir so nicht hinnehmen können."
Die betroffenen Unternehmen sehen dies natürlich ganz anders. Zum einen biete man gerade Geringqualifizierten eine Perspektive, heißt es etwa bei PIN. Darüber hinaus müsse man überhaupt erst einmal die Grundlagen in diesem noch jungen Wettbewerbsmarkt schaffen, um gegen die übermächtige Post bestehen zu können, erklärt auch Elmar Müller vom Verband für Post, Informationstechnologie und Telekommunikation:
"Ein Zusteller der Post-AG bedient in einer Stunde etwa 160 Haushalte, weil er eben Sendungsmengen von 90 Prozent des Marktes hat. Ein Zusteller eines privaten Zustelldienstes bedient in der gleichen Zeit in einer Stunde nur 15 bis 20 Haushalte. Daran misst man die Produktivität und es ist klar, dass bei diesen beiden Zustellern nicht der gleiche Lohn bezahlt werden kann, aber die Lohnbedingungen in den Ballungszentren nähern sich bereits aneinander an."
Dennoch haben Pin und ihr bisheriger Mehrheitseigentümer Springer die Mindestlohnentscheidung zum Anlass genommen, die Notbremse zu ziehen. So hat die Axel Springer AG heute beschlossen, der von Insolvenz bedrohten Brieftochter PIN kein weiteres Geld zur Verfügung zu stellen. Das Unternehmen erklärte sich außerdem bereit, seine Mehrheit an PIN abzugeben. Interesse an den Anteilen hat der Vorstandsvorsitzende der PIN Gruppe, Günter Thiel, abermals bekräftigt. Zudem haben nach Informationen von "Spiegel online" sowohl PIN als auch der Post-Konkurrent TNT beim Arbeitsministerium heute einen eigenen Mindestlohn beantragt. Im Osten Deutschlands wollen sie 6,50 Euro bezahlen, im Westen 7,50 Euro.
Jenseits des Mindestlohns spielen jedoch weitere Gründe eine Rolle, warum sich die Hauptherausforderer der Post so schwer tun. So dürfte sich etwa die grüne PIN bei ihrem Expansionskurs in den letzten Jahren schlicht übernommen haben. Unternehmenschef Thiel hatte im großen Stil Wettbewerber aufgekauft:
"Wir haben sehr, sehr viele Briefdienste übernommen, dutzende von Firmen übernommen. Teilweise kleine Firmen, die sich aus ’Zwei-Mann-Unternehmen’ entwickelt haben, 40 bis 50 Leute beschäftigt haben, 400 bis 500 Leute beschäftigt haben."
Doch die Integration von solchen Zukäufen dauert, geht nicht selten sogar schief. Deshalb, so Branchenbeobachter, trage letztlich auch das Management einen Teil der Verantwortung für die aktuellen Problemen von PIN. TNT wiederum hat auf den Einstieg in das Privatkundengeschäft zum kommenden Jahreswechsel vorerst verzichtet. Geplant war eine Zusammenarbeit mit den rund 13.000 Paketshops des Hermes-Versand, die zu Briefannahmestellen erweitert werden sollten. Offiziell begründet TNT die Absage an das Privatkundengeschäft wiederum mit dem Mindestlohn. Experten zufolge konnten sich Hermes und TNT aber auch nicht über die Verteilung der notwendigen Investitionskosten einigen.
Insofern wird sich für die Verbraucher trotz der vollständigen Postmarktliberalisierung zunächst einmal überhaupt nichts ändern, so auch die Erwartung beim Branchenführer, der bei den Privatkunden auf einen Marktanteil von 90 Prozent, bei den Geschäftskunden auf 85 Prozent kommt. Postpressesprecher Dirk Klasen:
"Ob es hier tatsächlich zu einem intensiven Wettbewerb in Richtung Preissenkung kommen wird, muss man abwarten. Bisher deutet sich nicht an, dass sehr viele Wettbewerber auch für Privatkunden Produkte anbieten werden, so dass der Privathaushalt nach unserer Einschätzung weniger vom Wettbewerb profitieren wird."
Ganz anders die Lage bei den Geschäftskunden: Hier hat die Post erst vor wenigen Tagen die Preise noch einmal gesenkt, denn ab dem 1. Januar verliert sie auch ihr letztes Monopol, das für Briefsendungen unter 50 Gramm. Es ist immerhin die Hälfte des rund zehn Milliarden Euro schweren Briefmarktes in Deutschland, für den dann ebenfalls der Wettbewerb gelten wird.
Dabei sind für die rund 700 Konkurrenten allerdings vor allem die gewerblichen Kunden interessant, erklärt auch Elmar Müller vom Verband der Nachfrager für Postdienste:
"Täglich werden etwa 73 Millionen Brief verschickt, davon etwa nur zwölf bis 14 Prozent von privaten Verbrauchern. Der Rest sind gewerbliche Kunden und diese gewerblichen Kunden sind natürlich lukrativer, weil sie größere Mengen auf einmal abliefern. Nehmen sie nur die Mobilfunkbetreiber, die Monat für Monat mit über 30 Millionen Rechnungen und Sendungen ihren Kunden Briefe liefern. Das ist natürlich ein lukratives Geschäft."
Ganz anders die Privatkunden: Pro Monat gibt ein deutscher Haushalt durchschnittlich gerade einmal 4,40 Euro für Briefe und Pakete aus, Tendenz weiter fallend.
Ganz spurlos werden die neuen Freiheiten auf dem Postmarkt allerdings auch an den Verbrauchern nicht vorbeigehen. Die Zahl der Briefkästen, die nicht postgelb lackiert sind, dürfte ebenso steigen, wie die der Postabgabestellen. Immer häufiger auch dürften Briefträger unterschiedlicher Zustellfirmen an der Haustür klingeln.
Zudem könnte es bald auch neue Service-Angebote geben: die Unterscheidung etwa in eine sogenannte A- und eine B-Post, wobei die B-Post bei längeren Zustellzeiten günstiger wäre als der Brief mit einer regulären Laufzeit. Oder Kunden sind bereit, für die persönliche Abholung eines Briefes von zu Hause mehr zu zahlen als die bisherigen 55 Cent. Innovationen gibt es also viele. Derzeit ist allerdings völlig unklar, wann sie am Markt im großen Umfang angeboten werden.
"Wir werden als Post unsere Grundversorgungsdienstleistungen nicht einschränken, sondern mindestens im gleichen Umfang aufrecht erhalten wie in der Vergangenheit auch. Das heißt, dass die Zahl der Briefkästen, die Zahl der Filialen, die Zustellung an sechs Tagen in der Woche mindestens auch in Zukunft beibehalten werden, wie wir es bislang getan haben. Das heißt, der Verlust des Monopols spielt hier keine Rolle."
Darüber wird allerdings auch die Politik wachen. Interne Überlegungen der Post, etwa die Zustellung am Samstag einzustellen, wurden nach scharfer öffentlicher Kritik schnell dementiert. Ohnehin muss der Branchenführer auch in naher Zukunft seine Preise weiterhin von der Bundesnetzagentur absegnen lassen. Zu groß ist die Gefahr, über Dumpingangebote die Wettbewerber aus dem Markt zu drängen.
Die dürften weiterhin verstärkt auf Nischenangebote setzen, gerade auch im Geschäftskundenbereich. Die sogenanten Konsolidierer etwa sammeln die Briefe von mehreren Versendern ein, um sie dann in großer Stückzahl bei der Post abzugeben. Der gewährte Rabatt wird wiederum mit den Absendern geteilt.
Wie erfolgreich ein solcher Dienst künftig am Markt sein wird, hängt allerdings auch von einer noch ausstehenden politischen Entscheidung ab: der künftige Umfang der Mehrwertsteuerbefreiung. Bislang wird dieses Steuerprivileg allein der Post als Universaldienstleister zugestanden. Im Zuge der vollständigen Marktliberalisierung soll sich dies jedoch ändern.
Noch hat sich die Große Koalition nicht für ein neues Modell entschieden. Doch viele Experten sind sich einig: Hier für faire Wettbewerbsbedingungen zu sorgen, ist für die künftige Entwicklung auf dem Postmarkt weit aus wichtiger als die heute beschlossene Einführung von Mindestlöhnen für die Briefzusteller.
Bis auf weiteres aber bleibt der Mindestlohn der große Zankapfel. Die Post wolle sich mit Hilfe der Politik die Konkurrenten vom Hals halten. Diesen Vorwurf erhebt etwa Florian Gerster, der Präsident des Arbeitsgeberverbandes der neuen Brief- und Zustelldienste. Er beklagt: Bei einem Lohnkostenanteil von 70 bis 80 Prozent könnten Post-Konkurrenten wie PIN oder TNT eine durch den Mindestlohn hervorgerufene Kostensteigerung nicht verkraften.
"Glauben sie, dass die sprunghafte Steigerung des Aktienwertes der Deutschen Post AG nichts zu tun hat mit dem Monopolschutz durch den überhöhten Mindestlohn? Die anlegende Welt, die ja nur rechnet und sonst gar nichts, die interessiert sich für Politik überhaupt nicht. Die sagt, aha, das Postmonopol wird de facto verlängert und die neuen Wettbewerber werden entweder verschwinden oder werden über Monate, wenn nicht Jahre krebsen, bis sie irgendwann mal ernstzunehmende Wettbewerber sind. Also bleibt die Deutsche Post AG auf längere Sicht der einzig ernstzunehmende Player im Markt."
Während die Gewerkschaften gemeinsam für den Mindestlohn kämpfen, präsentiert sich die Arbeitgeberseite beim Thema Mindestlohn keineswegs einheitlich. Einige, besonders solche, die ruinöse Konkurrenz fürchten wie Baufirmen, Putzfirmen oder eben die Post, wollen sich schützen. Andere, wie Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt, sehen in Mindestlohn nur einen Kostentreiber, der Arbeitsplätze vernichtet.
"Wir brauchen mehr Arbeitsplätze im Niedriglohnbereich, damit diejenigen eine Einstiegschance auf dem Arbeitsmarkt bekommen, die keine Ausbildung und keinerlei Qualifizierung haben oder seit Jahren arbeitslos sind."
Bisher wussten die Vertreter dieser Meinung die Union, allen voran die Kanzlerin, auf ihrer Seite. Die Kanzlerin ist zwar auch heute noch gegen einen einheitlichen, gesetzlichen Mindestlohn, wie er in den meisten europäischen Ländern wie zum Beispiel in Großbritannien gilt, aber:
"Wir kommen in eine ganz entscheidende Phase miteinander. Ich möchte keine Arbeitsplätze vernichten, niemand will das. Aber ich glaube auch, dass die Tarifautonomie sich in den nächsten Monaten wirklich bewähren muss. Sie ist ein Recht, sie ist eine Möglichkeit. Aber sie muss auch genutzt werden, wenn sie wirklich eine Zukunft haben soll."
Verwunderlich ist dieser Wandel nicht. Etwa 80 Prozent der Deutschen, und sogar die Mehrheit der Unionsanhänger, sind für einen Mindestlohn. Das geht auch an der Volkspartei CDU nicht spurlos vorüber. Schon gleich gar nicht, wenn wichtige Wahlen anstehen, wie zum Beispiel in Hessen und Niedersachsen. SPD-Chef Kurt Beck macht klar, was das bedeutet.
"Also, insoweit treiben wir schon. Wenn die Union sich weiterhin so zögerlich und ablehnend verhält, dann werden wir das auch bei den Wahlkämpfen zum Thema machen, gar keine Frage."
Für die Union steht also einiges auf dem Spiel und doch bleiben vor allem Marktliberale der Partei bei ihrer strikten Ablehnung. Mindestlöhne kommen für sie allenfalls unter einer Bedingung in Frage. Kurt Lauk, Abgeordneter im Europäischen Parlament und Vorsitzender des CDU-Wirtschaftsrates.
"Die Union muss sich strategisch eine neue Option verschaffen und sagen, wir übernehmen das in einem Paket, wir machen flächendeckenden Mindestlohn, aber nur dann, wenn wir gleichzeitig wie in anderen Ländern in Europa, die den Mindestlohn haben, der Kündigungsschutz flexibilisiert, gelockert wird."
Doch ein flexibler Kündigungsschutz wird mit der SPD kaum zu machen sein. Bis Ende März sammelt das Arbeitsministerium Vorschläge für weitere Branchen, danach wird geprüft, ob sich das Entsendegesetz auf sie anwenden lässt.
Als mögliche nächste Kandidaten gelten die Zeitarbeit, das Fleischerhandwerk, das Bewachungsgewerbe, die Pflegekräfte, die Entsorgungsbranche und den Gartenbau. Auch die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten hat Bedarf angemeldet: beim Bäckerhandwerk und im Hotel- und Gaststättengewerbe.
"Die Union hat immer wieder gesagt, dass wir einen einheitlichen, flächendeckenden Mindestlohn für falsch halten."
Trotz der klaren Ansage der Kanzlerin ließen die Sozialdemokraten nicht locker - allen voran der ehemalige Arbeitsminister Franz Müntefering. Es gelang, der Union das Zugeständnis abzuringen, die Einführung von branchenbezogenen Mindestlöhnen in einigen Wirtschaftszweigen zu prüfen. Die Wahl fiel auf die Post.
Der Hintergrund: Die Union wollte an dem Plan, das Briefmonopol zum 1. Januar 2008 aufzuheben, festhalten. Die SPD wollte im Gegenzug die Postbediensteten vor Dumping Löhnen schützen und hatte nicht nur die Gewerkschaft, sondern auch den größten Arbeitgeber auf ihrer Seite. Post-Chef Klaus Zumwinkel setzte sich für einen Mindestlohn für seine Angestellten ein.
Nach der Entscheidung für die Aufnahme in das Entsendegesetz wurde rasch ein von der Post dominierter Arbeitgeberverband gegründet. Zusammen mit Verdi und zwei kleineren Postgewerkschaften handelte er einen Tarifvertrag aus - mit Lohnuntergrenzen zwischen acht Euro und 9,80 Euro. Diese Vereinbarung legten die Tarifpartner der Regierung vor, die das Entsendegesetz jetzt geändert hat und den Tarifvertrag für allgemeingültig erklären lassen will. Dann müssen auch die nicht tarifgebundenen Firmen den Mindestlohn zahlen.
Ursprünglich sollte das Entsendegesetz deutsche Firmen vor Dumping-Konkurrenz aus dem Ausland schützen, allen voran die Baubranche vor billigen Arbeitskräften aus Osteuropa, so das Kalkül. Bald baten auch Gebäudereiniger um die Aufnahme ins Entsendegesetz. Die treibende Kraft waren auch hier die Arbeitgeber. Johannes Bungart, Geschäftsführer des Bundesinnungsverbandes des Gebäudereinigerhandwerks.
"In der Gebäudereinigung und in vielen anderen Bereichen im Niedriglohnsektor betragen die Lohnkosten rund 80 Prozent am Gesamtkostenblock. Und deswegen wird der Wettbewerb natürlich auch sehr stark über den Lohn geführt und wir möchten hier wenigstens eine Grenze nach unten abgesichert haben, dass unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen da nicht dem sogenannten freien Spiel der Kräfte, was immer das auch brutalst möglich sein mag, ausgesetzt sind."
Das hätte auch für die Unternehmen einen Unterbietungswettbewerb und damit ruinöse Konkurrenz bedeutet. Die Lohnuntergrenzen sind klar gezogen, es darf keine Firma mit Armutslöhnen denen Konkurrenz machen, die ihre Mitarbeiter ordentlich bezahlen.
Jetzt sind also auch die Briefträger an der Reihe. Während die SPD dies als weiteren Etappensieg verbuchen kann, sind bei der Union nicht alle mit dieser Entscheidung zufrieden, denn ein Mindestlohn ist in den Augen der parteiinternen Kritiker ein schädlicher Eingriff ins Marktgeschehen und führt zum Verlust von Arbeitsplätzen.
Besonders heikel in der Postbranche: Durch den ausgehandelten Mindestlohn werde die marktbeherrschende Stellung der Deutschen Post AG auch nach der Liberalisierung konserviert und so der Wettbewerb verhindert. Der Christdemokrat Michael Fuchs ist einer von 19 Unionsabgeordneten, die heute im Bundestag gegen den Mindestlohn für Briefzusteller gestimmt haben.
"Wir dürfen keinen Tarifvertrag allgemeinverbindlich erklären, der nichts anderes ist, als eine Monopolverlängerung für die Post beziehungsweise eine Wettbewerbsverhinderung. Wir brauchen Wettbewerb, auch auf dem Postsektor."
Einen Wettbewerb, der sich aber, so Michael Fuchs, bei einem Mindestlohn von bis zu 9,80 Euro gar nicht entwickeln könne. Ganz anders sehen das die Sozialdemokraten. SPD-Generalsekretär Hubertus Heil prangert das Gebaren der Postkonkurrenten an.
"Die haben Geschäftsmodelle aufgebaut auf Armutslöhnen und das ist nicht in Ordnung und das tragen die jetzt auf dem Rücken der Mitarbeiter aus. Das ist nicht in Ordnung. Der Tarifvertrag ist nicht von der Politik gemacht worden, der ist zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeber ausgehandelt worden. Und wir haben die Aufgabe, ihn allgemeinverbindlich zu erklären. Die Frage von Mindestlöhnen ist nicht nur eine sozialpolitische. Es geht nicht nur darum, dass Menschen von ihrer Arbeit leben können müssen. Es ist auch eine wettbewerbspolitische. Wir wollen fairen Wettbewerb und zwar um die besten Dienstleistungen auch im Postgewerbe und nicht um die niedrigsten Löhne."
Frühmorgens in Niederaußem bei Bergheim in Nordrhein-Westfalen. Wilhelm Jutz ist Briefzusteller bei der PIN Group, neben TNT Post der bislang wichtigste Herausforderer der Deutschen Post. Jutz ist für die heftige politische Debatte über die Einführung von Mindestlöhnen für den Zustellerdienst mit verantwortlich, zumindest indirekt. Denn wie die meisten der rund 50.000 Beschäftigten bei den anderen privaten Zustellerfirmen verdient der 49-Jährige nur einen Bruchteil dessen, was die Kollegen mit der gelben Uniform bekommen:
"Ich sage ja, 5,39 Euro bin ich zurzeit, weil: Ich hab ungefähr 120 Stunden und wenn ich das durch 700 Brutto teile, dann komme ich auf 5,39 Euro Stundenlohn."
Zum Vergleich: Der durchschnittliche Lohn bei der Post liegt bei 11,29 Euro. Dazu kommen Urlaubs- und Weihnachgeld. Doch von solchen Bedingungen kann Jutz nur träumen:
"Wenn einer krank ist, wenn einer Urlaub hat, dann müssen da die anderen einspringen und mit übernehmen. Es bleibt bei den 700 Euro. Weil: Dann heißt es, kann man irgendwie abfeiern. Bloß ich warte drauf, wie ich meine Überstunden abfeiern kann. Es gibt keine Zulagen. Es gibt bloß zwölf Monate lang denselben Lohn: 700 Euro brutto."
Zum Leben reicht das nicht. Deshalb ist auch Jutz ein so genannter Aufstocker. Dass heißt, der Staat finanziert einen Teil seiner Lebenshaltungskosten.
Gerade auf dem arbeitsintensiven Postmarkt bestimmen die Personalausgaben bis zu 70 Prozent der Kosten. Insofern bietet sich gerade hier die Chance für die rund 700 Wettbewerber der Post, den Branchenriesen herauszufordern. Das wiederum hat der Branche ihren schlechten Ruf eingebracht: Miserable Arbeitsbedingungen seien das Geschäftsprinzip, lautet der Vorwurf auch von der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Bundesfachgruppenleiter Rolf Bauermeister:
"Dabei geht es auch nicht um einzelne schwarze Schafe, sondern um eine Entwicklung in der gesamten Branche. Während der Anteil der geringfügig Beschäftigten in der Gesamtwirtschaft bei 19,6 Prozent liegt, müssen wir feststellen, dass es außerhalb der Post bei den Briefdienstleistungen einen Anteil von 62,3 Prozent geringfügig Beschäftigter gibt. Und das ist eine Entwicklung, die wir so nicht hinnehmen können."
Die betroffenen Unternehmen sehen dies natürlich ganz anders. Zum einen biete man gerade Geringqualifizierten eine Perspektive, heißt es etwa bei PIN. Darüber hinaus müsse man überhaupt erst einmal die Grundlagen in diesem noch jungen Wettbewerbsmarkt schaffen, um gegen die übermächtige Post bestehen zu können, erklärt auch Elmar Müller vom Verband für Post, Informationstechnologie und Telekommunikation:
"Ein Zusteller der Post-AG bedient in einer Stunde etwa 160 Haushalte, weil er eben Sendungsmengen von 90 Prozent des Marktes hat. Ein Zusteller eines privaten Zustelldienstes bedient in der gleichen Zeit in einer Stunde nur 15 bis 20 Haushalte. Daran misst man die Produktivität und es ist klar, dass bei diesen beiden Zustellern nicht der gleiche Lohn bezahlt werden kann, aber die Lohnbedingungen in den Ballungszentren nähern sich bereits aneinander an."
Dennoch haben Pin und ihr bisheriger Mehrheitseigentümer Springer die Mindestlohnentscheidung zum Anlass genommen, die Notbremse zu ziehen. So hat die Axel Springer AG heute beschlossen, der von Insolvenz bedrohten Brieftochter PIN kein weiteres Geld zur Verfügung zu stellen. Das Unternehmen erklärte sich außerdem bereit, seine Mehrheit an PIN abzugeben. Interesse an den Anteilen hat der Vorstandsvorsitzende der PIN Gruppe, Günter Thiel, abermals bekräftigt. Zudem haben nach Informationen von "Spiegel online" sowohl PIN als auch der Post-Konkurrent TNT beim Arbeitsministerium heute einen eigenen Mindestlohn beantragt. Im Osten Deutschlands wollen sie 6,50 Euro bezahlen, im Westen 7,50 Euro.
Jenseits des Mindestlohns spielen jedoch weitere Gründe eine Rolle, warum sich die Hauptherausforderer der Post so schwer tun. So dürfte sich etwa die grüne PIN bei ihrem Expansionskurs in den letzten Jahren schlicht übernommen haben. Unternehmenschef Thiel hatte im großen Stil Wettbewerber aufgekauft:
"Wir haben sehr, sehr viele Briefdienste übernommen, dutzende von Firmen übernommen. Teilweise kleine Firmen, die sich aus ’Zwei-Mann-Unternehmen’ entwickelt haben, 40 bis 50 Leute beschäftigt haben, 400 bis 500 Leute beschäftigt haben."
Doch die Integration von solchen Zukäufen dauert, geht nicht selten sogar schief. Deshalb, so Branchenbeobachter, trage letztlich auch das Management einen Teil der Verantwortung für die aktuellen Problemen von PIN. TNT wiederum hat auf den Einstieg in das Privatkundengeschäft zum kommenden Jahreswechsel vorerst verzichtet. Geplant war eine Zusammenarbeit mit den rund 13.000 Paketshops des Hermes-Versand, die zu Briefannahmestellen erweitert werden sollten. Offiziell begründet TNT die Absage an das Privatkundengeschäft wiederum mit dem Mindestlohn. Experten zufolge konnten sich Hermes und TNT aber auch nicht über die Verteilung der notwendigen Investitionskosten einigen.
Insofern wird sich für die Verbraucher trotz der vollständigen Postmarktliberalisierung zunächst einmal überhaupt nichts ändern, so auch die Erwartung beim Branchenführer, der bei den Privatkunden auf einen Marktanteil von 90 Prozent, bei den Geschäftskunden auf 85 Prozent kommt. Postpressesprecher Dirk Klasen:
"Ob es hier tatsächlich zu einem intensiven Wettbewerb in Richtung Preissenkung kommen wird, muss man abwarten. Bisher deutet sich nicht an, dass sehr viele Wettbewerber auch für Privatkunden Produkte anbieten werden, so dass der Privathaushalt nach unserer Einschätzung weniger vom Wettbewerb profitieren wird."
Ganz anders die Lage bei den Geschäftskunden: Hier hat die Post erst vor wenigen Tagen die Preise noch einmal gesenkt, denn ab dem 1. Januar verliert sie auch ihr letztes Monopol, das für Briefsendungen unter 50 Gramm. Es ist immerhin die Hälfte des rund zehn Milliarden Euro schweren Briefmarktes in Deutschland, für den dann ebenfalls der Wettbewerb gelten wird.
Dabei sind für die rund 700 Konkurrenten allerdings vor allem die gewerblichen Kunden interessant, erklärt auch Elmar Müller vom Verband der Nachfrager für Postdienste:
"Täglich werden etwa 73 Millionen Brief verschickt, davon etwa nur zwölf bis 14 Prozent von privaten Verbrauchern. Der Rest sind gewerbliche Kunden und diese gewerblichen Kunden sind natürlich lukrativer, weil sie größere Mengen auf einmal abliefern. Nehmen sie nur die Mobilfunkbetreiber, die Monat für Monat mit über 30 Millionen Rechnungen und Sendungen ihren Kunden Briefe liefern. Das ist natürlich ein lukratives Geschäft."
Ganz anders die Privatkunden: Pro Monat gibt ein deutscher Haushalt durchschnittlich gerade einmal 4,40 Euro für Briefe und Pakete aus, Tendenz weiter fallend.
Ganz spurlos werden die neuen Freiheiten auf dem Postmarkt allerdings auch an den Verbrauchern nicht vorbeigehen. Die Zahl der Briefkästen, die nicht postgelb lackiert sind, dürfte ebenso steigen, wie die der Postabgabestellen. Immer häufiger auch dürften Briefträger unterschiedlicher Zustellfirmen an der Haustür klingeln.
Zudem könnte es bald auch neue Service-Angebote geben: die Unterscheidung etwa in eine sogenannte A- und eine B-Post, wobei die B-Post bei längeren Zustellzeiten günstiger wäre als der Brief mit einer regulären Laufzeit. Oder Kunden sind bereit, für die persönliche Abholung eines Briefes von zu Hause mehr zu zahlen als die bisherigen 55 Cent. Innovationen gibt es also viele. Derzeit ist allerdings völlig unklar, wann sie am Markt im großen Umfang angeboten werden.
"Wir werden als Post unsere Grundversorgungsdienstleistungen nicht einschränken, sondern mindestens im gleichen Umfang aufrecht erhalten wie in der Vergangenheit auch. Das heißt, dass die Zahl der Briefkästen, die Zahl der Filialen, die Zustellung an sechs Tagen in der Woche mindestens auch in Zukunft beibehalten werden, wie wir es bislang getan haben. Das heißt, der Verlust des Monopols spielt hier keine Rolle."
Darüber wird allerdings auch die Politik wachen. Interne Überlegungen der Post, etwa die Zustellung am Samstag einzustellen, wurden nach scharfer öffentlicher Kritik schnell dementiert. Ohnehin muss der Branchenführer auch in naher Zukunft seine Preise weiterhin von der Bundesnetzagentur absegnen lassen. Zu groß ist die Gefahr, über Dumpingangebote die Wettbewerber aus dem Markt zu drängen.
Die dürften weiterhin verstärkt auf Nischenangebote setzen, gerade auch im Geschäftskundenbereich. Die sogenanten Konsolidierer etwa sammeln die Briefe von mehreren Versendern ein, um sie dann in großer Stückzahl bei der Post abzugeben. Der gewährte Rabatt wird wiederum mit den Absendern geteilt.
Wie erfolgreich ein solcher Dienst künftig am Markt sein wird, hängt allerdings auch von einer noch ausstehenden politischen Entscheidung ab: der künftige Umfang der Mehrwertsteuerbefreiung. Bislang wird dieses Steuerprivileg allein der Post als Universaldienstleister zugestanden. Im Zuge der vollständigen Marktliberalisierung soll sich dies jedoch ändern.
Noch hat sich die Große Koalition nicht für ein neues Modell entschieden. Doch viele Experten sind sich einig: Hier für faire Wettbewerbsbedingungen zu sorgen, ist für die künftige Entwicklung auf dem Postmarkt weit aus wichtiger als die heute beschlossene Einführung von Mindestlöhnen für die Briefzusteller.
Bis auf weiteres aber bleibt der Mindestlohn der große Zankapfel. Die Post wolle sich mit Hilfe der Politik die Konkurrenten vom Hals halten. Diesen Vorwurf erhebt etwa Florian Gerster, der Präsident des Arbeitsgeberverbandes der neuen Brief- und Zustelldienste. Er beklagt: Bei einem Lohnkostenanteil von 70 bis 80 Prozent könnten Post-Konkurrenten wie PIN oder TNT eine durch den Mindestlohn hervorgerufene Kostensteigerung nicht verkraften.
"Glauben sie, dass die sprunghafte Steigerung des Aktienwertes der Deutschen Post AG nichts zu tun hat mit dem Monopolschutz durch den überhöhten Mindestlohn? Die anlegende Welt, die ja nur rechnet und sonst gar nichts, die interessiert sich für Politik überhaupt nicht. Die sagt, aha, das Postmonopol wird de facto verlängert und die neuen Wettbewerber werden entweder verschwinden oder werden über Monate, wenn nicht Jahre krebsen, bis sie irgendwann mal ernstzunehmende Wettbewerber sind. Also bleibt die Deutsche Post AG auf längere Sicht der einzig ernstzunehmende Player im Markt."
Während die Gewerkschaften gemeinsam für den Mindestlohn kämpfen, präsentiert sich die Arbeitgeberseite beim Thema Mindestlohn keineswegs einheitlich. Einige, besonders solche, die ruinöse Konkurrenz fürchten wie Baufirmen, Putzfirmen oder eben die Post, wollen sich schützen. Andere, wie Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt, sehen in Mindestlohn nur einen Kostentreiber, der Arbeitsplätze vernichtet.
"Wir brauchen mehr Arbeitsplätze im Niedriglohnbereich, damit diejenigen eine Einstiegschance auf dem Arbeitsmarkt bekommen, die keine Ausbildung und keinerlei Qualifizierung haben oder seit Jahren arbeitslos sind."
Bisher wussten die Vertreter dieser Meinung die Union, allen voran die Kanzlerin, auf ihrer Seite. Die Kanzlerin ist zwar auch heute noch gegen einen einheitlichen, gesetzlichen Mindestlohn, wie er in den meisten europäischen Ländern wie zum Beispiel in Großbritannien gilt, aber:
"Wir kommen in eine ganz entscheidende Phase miteinander. Ich möchte keine Arbeitsplätze vernichten, niemand will das. Aber ich glaube auch, dass die Tarifautonomie sich in den nächsten Monaten wirklich bewähren muss. Sie ist ein Recht, sie ist eine Möglichkeit. Aber sie muss auch genutzt werden, wenn sie wirklich eine Zukunft haben soll."
Verwunderlich ist dieser Wandel nicht. Etwa 80 Prozent der Deutschen, und sogar die Mehrheit der Unionsanhänger, sind für einen Mindestlohn. Das geht auch an der Volkspartei CDU nicht spurlos vorüber. Schon gleich gar nicht, wenn wichtige Wahlen anstehen, wie zum Beispiel in Hessen und Niedersachsen. SPD-Chef Kurt Beck macht klar, was das bedeutet.
"Also, insoweit treiben wir schon. Wenn die Union sich weiterhin so zögerlich und ablehnend verhält, dann werden wir das auch bei den Wahlkämpfen zum Thema machen, gar keine Frage."
Für die Union steht also einiges auf dem Spiel und doch bleiben vor allem Marktliberale der Partei bei ihrer strikten Ablehnung. Mindestlöhne kommen für sie allenfalls unter einer Bedingung in Frage. Kurt Lauk, Abgeordneter im Europäischen Parlament und Vorsitzender des CDU-Wirtschaftsrates.
"Die Union muss sich strategisch eine neue Option verschaffen und sagen, wir übernehmen das in einem Paket, wir machen flächendeckenden Mindestlohn, aber nur dann, wenn wir gleichzeitig wie in anderen Ländern in Europa, die den Mindestlohn haben, der Kündigungsschutz flexibilisiert, gelockert wird."
Doch ein flexibler Kündigungsschutz wird mit der SPD kaum zu machen sein. Bis Ende März sammelt das Arbeitsministerium Vorschläge für weitere Branchen, danach wird geprüft, ob sich das Entsendegesetz auf sie anwenden lässt.
Als mögliche nächste Kandidaten gelten die Zeitarbeit, das Fleischerhandwerk, das Bewachungsgewerbe, die Pflegekräfte, die Entsorgungsbranche und den Gartenbau. Auch die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten hat Bedarf angemeldet: beim Bäckerhandwerk und im Hotel- und Gaststättengewerbe.