"Das Haus rast Beifall. Was für ein Kerl ist doch dieser Kleist gewesen!", notiert Joseph Goebbels, Propagandaminister des Tausendjährigen Dritten Reiches am 19. März 1941 in sein Tagebuch. Am Abend zuvor hatte er in Posen eine Aufführung des Prinz von Homburg gesehen, die im Rahmen der Ostdeutschen Kulturtage 1941 über die Bühne gegangen war. Heinrich von Kleist, ein "Kerl"? Er, der altem preußischem Militäradel entfloh, er, den immer wieder neue Lebensentwürfe und hochfliegende Ideen umtrieben, er, der sich als Dichter verstand und dem das Dichten doch nie genügte, er, der sich, wenig über dreißig, am Kleinen Wannsee eine Kugel in den Kopf schoss? Heinrich von Kleist ist einer der anfälligsten "Klassiker in finsteren Zeiten" gewesen, im ganzen Reich wurden seine Stücke inszeniert und aufgeführt, immer wieder musste sein Patriotismus herhalten als vermeintliche Quelle eines vernichtungswütenden Nationalsozialismus. Aber auch Exil und Widerstand nahmen Kleist als Kronzeugen für sich in Anspruch. Diese Instrumentalisierung eines Dichters wird seit einigen Jahren am Kleist-Museum in Frankfurt/Oder erforscht. Weil aber dort das bitter nötige Geld fehlt, werden die anschaulichen Ergebnisse dieser längst überfälligen Recherchen nun in einer Doppelausstellung zu großen Teilen in der Stiftung Neuhardenberg gezeigt, mit über 300 Briefen, Zeitungen, Büchern und Zeitschriften, Film- und Theaterplakaten, in Gemälden, Zeichnungen und Skulpturen, in Photographien, Filmausschnitten und Lebenszeugnissen.
Gut 300 Objekte sind zu sehen, vom Kleist-Klassiker für Wehrmachtssoldaten über Plakate zur UFA-Verfilmung des "Zerbrochenen Krug" bis hin zu einem gigantischen "Penthesilea"-Projekt von Leni Riefenstahl, dazu Bühnenbildentwürfe oder Fotoreportagen von Thing-Festspielen und der Kleist-Tournee einer "Reichsautobahnbühne".
"Man hat vor 45 den Homburg, die Hermannsschlacht, den Kohlhaas hochgejubelt. Nach 45 waren dann einige Jahre nur das Käthchen und die Penthesilea gesellschaftsfähig. Diese Unterscheidung politischer und unpolitischer Stücke bei Kleist kann natürlich gar nicht greifen, das scheitert allein schon an Kleists gesellschaftskritischer Ironie."
Dass Missverständnisse und auch der ideologische Missbrauch des Dichters dennoch - oder gerade deshalb - nicht ausgeblieben sind, weiß Martin Maurach nur zu gut. Seit nunmehr fast 200 Jahren, seit von Kleists Selbstmord im November 1811, wird der angeblich so geradlinig preußische, tatsächlich aber sympathisch widersprüchliche Bühnenautor und Novellist gerne vor den nationalistischen Karren gespannt. Die nochmalige Verschärfung dieser Indienstnahme durch das NS-Regime, etwa die Instrumentalisierung der "Hermannsschlacht" als Verherrlichung dumpfen Germanen-Kultes und als Vorbild für einen gnadenlosen Vernichtungskrieg hat der Literaturwissenschaftler Maurach in den vergangenen Jahren erforscht, in den Archiven des Kleist-Museums in Frankfurt/Oder.
"Dieses Museum dümpelt an der Oder vor sich hin, es ist ein Leuchtturm, gefördert von Stadt, Land, Bund. Und dieses Museum braucht - unzweideutig und unbestritten - einen kleinen Museumsanbau, damit es endlich die Archive, die Bibliothek, die Sammlung hinlänglich unterbringt. Und vielleicht auch einmal eine Wechselausstellung machen kann."
Bernd Kauffmann, Generalbevollbemächtigter der Stiftung Schloss Neuhardenberg, hat zumindest diese Aufgabe übernommen: Die augenfällige und für ein breiteres Publikum zugängliche Präsentation von Maurachs Recherchen zum immer noch unterbelichteten Thema "Heinrich von Kleist im 'Dritten Reich‘". Gut 300 Objekte sind zu sehen, vom Kleist-Klassiker für Wehrmachtssoldaten über Plakate zur UFA-Verfilmung des "Zerbrochenen Krug" bis hin zu einem gigantischen "Penthesilea"-Projekt von Leni Riefenstahl, dazu Bühnenbildentwürfe oder Fotoreportagen von Thing-Festspielen und der Kleist-Tournee einer "Reichsautobahnbühne". Kristallisationspunkt der Schau ist eine zarte Pastell-Miniatur, das einzige authentisch überlieferte Porträt des Dichters Heinrich von Kleist. Diese winzige Kostbarkeit reicht aus, die verfälschende Sicht des Nationalsozialismus auf ein ebenso facettenreiches wie in sich so widersprüchliches literarisches Erbe bloßzustellen: Auf dem Ausstellungsplakat nämlich ist ein Frakturstempel in das sensibel dreinschauende Antlitz gefahren, hat mit der markigen Parole "Was für ein Kerl" Kleist die Lippen versiegelt. Caroline Gille, Kuratorin in Neuhardenberg, versteht sich auf die erhellende Konfrontation solch gegensätzlicher Bildmotive:
"Eben dieses ganz weiche, ganz sensible, fast übernervöse Gesicht mit diesem "Was für ein Kerl", dieses Goebbels-Zitat. Und die Vokabel "Kerl" ist eine derer, die mit Sicherheit nicht zu Kleist mir sofort einfallen würden."
Der Nazi-Propaganda allerdings fiel noch sehr viel mehr ein: Kleists Schrift etwa "Was gilt es in diesem Kriege?", eine Reflektion seiner Eindrücke auf den Schlachtfeldern der napoleonischen Feldzüge, druckten die Greifswalder Bühnenblätter 1942 in Form einer stilisierten Fliegerbombe ab. Ein meterhohes Faksimile hängt nun im Eingang zu dem labyrinthischen, aber durchaus nicht verwirrenden, weil klug gehängten Ausstellungs-Parcours:
"Um zu zeigen: Die Nazis sind nicht in den Kleist-Text hineingegangen. Sie haben ihn zu einem Bildgedicht zuschneiden müssen, um ihre Interpretation darauf zu setzen."
Vor allem der totale Krieg wird dabei propagiert, etwa mit Dichterworten in SS-Lehrbüchern oder Sinnsprüchen in den sogenannten "Monatsweisungen" der Partei.
"Wenn man darüber nachdenkt, wie kompliziert und komplex, und wie unglaublich schön auch in ihrer Komplexität die Kleistsche Sprache ist: Die Vereinnahmung ist eine Vereinfachung. Bis auf ein einziges Exponat, das ist eine 1942 in Paris erschienene Ausgabe des Michael Kohlhaas. Da versucht man in irgendeiner Form immerhin dem Sprachkünstler Kleist noch etwas Respekt zu zollen."
In seiner Heimat wird Kleists "Kohlhaas" aber auch vom Widerstand aus Bürgertum und Militäradel in Anspruch genommen. Und selbst die Moskauer Exilzeitschrift "Das Wort" beruft sich auf "Kohlhaas" als "Schulbeispiel" einer nicht nur psychologisch überzeugenden Novelle. Jene Parole, die am Ende der Ausstellung in der Pseudofraktur der NS-Propaganda verkündet: "Heinrich von Kleist ist unser Kleist", sie wurde vor 1945 immerhin in Einzelfällen ad absurdum geführt - danach aber ganz schnell vergessen.
"Heinrich von Kleist im 'Dritten Reich‘", eine Ausstellung der Stiftung Neuhardenberg in Zusammenarbeit mit der Kleist-Gedenk- und Forschungsstätte e. V. / Kleist-Museum Frankfurt (Oder), bis 23. November
Gut 300 Objekte sind zu sehen, vom Kleist-Klassiker für Wehrmachtssoldaten über Plakate zur UFA-Verfilmung des "Zerbrochenen Krug" bis hin zu einem gigantischen "Penthesilea"-Projekt von Leni Riefenstahl, dazu Bühnenbildentwürfe oder Fotoreportagen von Thing-Festspielen und der Kleist-Tournee einer "Reichsautobahnbühne".
"Man hat vor 45 den Homburg, die Hermannsschlacht, den Kohlhaas hochgejubelt. Nach 45 waren dann einige Jahre nur das Käthchen und die Penthesilea gesellschaftsfähig. Diese Unterscheidung politischer und unpolitischer Stücke bei Kleist kann natürlich gar nicht greifen, das scheitert allein schon an Kleists gesellschaftskritischer Ironie."
Dass Missverständnisse und auch der ideologische Missbrauch des Dichters dennoch - oder gerade deshalb - nicht ausgeblieben sind, weiß Martin Maurach nur zu gut. Seit nunmehr fast 200 Jahren, seit von Kleists Selbstmord im November 1811, wird der angeblich so geradlinig preußische, tatsächlich aber sympathisch widersprüchliche Bühnenautor und Novellist gerne vor den nationalistischen Karren gespannt. Die nochmalige Verschärfung dieser Indienstnahme durch das NS-Regime, etwa die Instrumentalisierung der "Hermannsschlacht" als Verherrlichung dumpfen Germanen-Kultes und als Vorbild für einen gnadenlosen Vernichtungskrieg hat der Literaturwissenschaftler Maurach in den vergangenen Jahren erforscht, in den Archiven des Kleist-Museums in Frankfurt/Oder.
"Dieses Museum dümpelt an der Oder vor sich hin, es ist ein Leuchtturm, gefördert von Stadt, Land, Bund. Und dieses Museum braucht - unzweideutig und unbestritten - einen kleinen Museumsanbau, damit es endlich die Archive, die Bibliothek, die Sammlung hinlänglich unterbringt. Und vielleicht auch einmal eine Wechselausstellung machen kann."
Bernd Kauffmann, Generalbevollbemächtigter der Stiftung Schloss Neuhardenberg, hat zumindest diese Aufgabe übernommen: Die augenfällige und für ein breiteres Publikum zugängliche Präsentation von Maurachs Recherchen zum immer noch unterbelichteten Thema "Heinrich von Kleist im 'Dritten Reich‘". Gut 300 Objekte sind zu sehen, vom Kleist-Klassiker für Wehrmachtssoldaten über Plakate zur UFA-Verfilmung des "Zerbrochenen Krug" bis hin zu einem gigantischen "Penthesilea"-Projekt von Leni Riefenstahl, dazu Bühnenbildentwürfe oder Fotoreportagen von Thing-Festspielen und der Kleist-Tournee einer "Reichsautobahnbühne". Kristallisationspunkt der Schau ist eine zarte Pastell-Miniatur, das einzige authentisch überlieferte Porträt des Dichters Heinrich von Kleist. Diese winzige Kostbarkeit reicht aus, die verfälschende Sicht des Nationalsozialismus auf ein ebenso facettenreiches wie in sich so widersprüchliches literarisches Erbe bloßzustellen: Auf dem Ausstellungsplakat nämlich ist ein Frakturstempel in das sensibel dreinschauende Antlitz gefahren, hat mit der markigen Parole "Was für ein Kerl" Kleist die Lippen versiegelt. Caroline Gille, Kuratorin in Neuhardenberg, versteht sich auf die erhellende Konfrontation solch gegensätzlicher Bildmotive:
"Eben dieses ganz weiche, ganz sensible, fast übernervöse Gesicht mit diesem "Was für ein Kerl", dieses Goebbels-Zitat. Und die Vokabel "Kerl" ist eine derer, die mit Sicherheit nicht zu Kleist mir sofort einfallen würden."
Der Nazi-Propaganda allerdings fiel noch sehr viel mehr ein: Kleists Schrift etwa "Was gilt es in diesem Kriege?", eine Reflektion seiner Eindrücke auf den Schlachtfeldern der napoleonischen Feldzüge, druckten die Greifswalder Bühnenblätter 1942 in Form einer stilisierten Fliegerbombe ab. Ein meterhohes Faksimile hängt nun im Eingang zu dem labyrinthischen, aber durchaus nicht verwirrenden, weil klug gehängten Ausstellungs-Parcours:
"Um zu zeigen: Die Nazis sind nicht in den Kleist-Text hineingegangen. Sie haben ihn zu einem Bildgedicht zuschneiden müssen, um ihre Interpretation darauf zu setzen."
Vor allem der totale Krieg wird dabei propagiert, etwa mit Dichterworten in SS-Lehrbüchern oder Sinnsprüchen in den sogenannten "Monatsweisungen" der Partei.
"Wenn man darüber nachdenkt, wie kompliziert und komplex, und wie unglaublich schön auch in ihrer Komplexität die Kleistsche Sprache ist: Die Vereinnahmung ist eine Vereinfachung. Bis auf ein einziges Exponat, das ist eine 1942 in Paris erschienene Ausgabe des Michael Kohlhaas. Da versucht man in irgendeiner Form immerhin dem Sprachkünstler Kleist noch etwas Respekt zu zollen."
In seiner Heimat wird Kleists "Kohlhaas" aber auch vom Widerstand aus Bürgertum und Militäradel in Anspruch genommen. Und selbst die Moskauer Exilzeitschrift "Das Wort" beruft sich auf "Kohlhaas" als "Schulbeispiel" einer nicht nur psychologisch überzeugenden Novelle. Jene Parole, die am Ende der Ausstellung in der Pseudofraktur der NS-Propaganda verkündet: "Heinrich von Kleist ist unser Kleist", sie wurde vor 1945 immerhin in Einzelfällen ad absurdum geführt - danach aber ganz schnell vergessen.
"Heinrich von Kleist im 'Dritten Reich‘", eine Ausstellung der Stiftung Neuhardenberg in Zusammenarbeit mit der Kleist-Gedenk- und Forschungsstätte e. V. / Kleist-Museum Frankfurt (Oder), bis 23. November