Die so naiv klingende Formulierung hat nahezu eine kopernikanische Wende der ganzen Disziplin ausgelöst, die im vertraut geglaubten Gegenstand des Bildes auf einmal eine noch durchaus undurchschaute Quelle ihres fachspezifischen Wissens erkennen musste. Diese Wende, die auch auf Begriffe wie "visual" oder "iconic turn" gebracht wurde, bestimmte die radikale Neuorientierung der so genannten "Bildwissenschaften", die zugleich auf die interdisziplinäre Bedeutung des Bildes als Paradigma für Information und Kommunikation im Zeitalter der neuen Medien reagierte.
Was sind nun die Mächte des Bildes, dass sie so nachhaltig die geisteswissenschaftliche und - denkt man an die neuen bildgebenden Verfahren - auch die naturwissenschaftliche Forschung bestimmen?
Mit dieser Frage setzt das Buch des französischen Kunsthistorikers Louis Marin ein, das nun nach fünfzehn Jahren endlich auf Deutsch vorliegt. Marin, der 1992 verstarb, hat noch nicht die ihm zukommende Anerkennung in Deutschland erlangt. Obwohl der Diaphanes Verlag seit Jahren an der Komplettierung einer Gesamtausgabe der Werke Marins arbeitet, verläuft die Rezeption eher schleppend. Andere Namen wie der Georges Didi-Hubermans besetzen in Deutschland den Ort einer französischen Bildtheorie, hier haben wir es nun aber mit seinem Lehrer zu tun.
"Von den Mächten des Bildes" war Marins letztes Buch, das erst nach seinem Tod erschien und das als so etwas wie eine Summe seines Werkes betrachtet werden kann. Die grundlegende Frage nach dem, was das Bild ermächtigt, etwas zu bewirken, geht zurück auf eine dekonstruktive Kritik an der philosophischen Tradition. Für diese ist die Vorstellung vom Bild zugleich immer verbunden mit einer seinsmäßigen Abschwächung:
Das Bild als Kopie, Abklatsch oder Doppelgänger des Seins ist diesem gegenüber von geringerer Qualität. Es ist nur Re-Präsentation, also die Wiederholung einer Präsenz, die in ihr zum Widerschein, wenn nicht gar zum trügerischen Schein eines Trugbildes wird.
Demgegenüber geht es Marin um die Wendung vom Bild des Seins zum Sein des Bildes in seiner ursprünglichen Kraft, an die Stelle von etwa anderswo Präsentem treten zu können. Im Lateinischen nannte man dies virtú, im Griechischen dynamis, und beidesmal, bei der Virtualität und der Dynamik, geht es um eine Potenz, die auch den Effekten, das heißt den Wirkungen, und nicht nur den Ursachen innewohnt, und so fasst Marin zusammen:
Dies wäre der erste Effekt der Repräsentation im allgemeinen. Dies wäre die "Urform" der Repräsentation als Effekt: das Abwesende präsent zu machen, als ob das Wiederkehrende dasselbe wäre, ja manchmal sogar besser, intensiver, stärker, als wenn es dasselbe wäre.
Die Beispiele, die im Text genannt werden, verraten viel über die Arbeitsweise Marins, der sich mit souveräner Leichtigkeit durch die verschiedenen kulturwissenschaftlichen Denkmodelle bewegt. So führt er zunächst eine theologische Referenz auf das Neue Testament an, in dem die Abwesenheit des Leibes Christi nach der Auferstehung in die machtvolle Äußerung einer Botschaft seiner Verklärung zum Symbol umschlägt. Und sogleich folgt eine Argumentation der Kunstgeschichte, indem Albertis Lob der Malerei als Kunst der Beschwörung von Abwesenden zitiert wird und mit der erinnernden Funktion von aufgestellten Photos Verstorbener verglichen wird.
Aber Marin ist auch zu guter Kenner der semiotischen und literaturtheoretischen Debatten, um nicht in einem weiteren Anlauf die Ermächtigung des Bildes zur Erzeugung eines Mehrwertes an Sinn mit der Autorentheorie zu verbinden, nur dass eben das Bild selbst und nicht sein Maler zum Autor wird. Und schließlich wird der Aufschub von Kraft im Bild, den Marin mit dem von Jacques Derrida kreierten Neologismus als différance bezeichnet, durch das psychoanalytische Modell der Trauerarbeit erhellt, die gegenüber der narzisstischen Kränkung des Subjekts zu leisten ist, das nie in einem Bild das Absolute an Kraft darstellen kann.
Diese Theorie der Bildermacht wird in einer für Marin typischen offenen Form in neun Glossen und sechs Zwischenglossen an entsprechenden kulturgeschichtlichen Beispielen der Philosophie-, Literatur- und Kunstgeschichte durchgespielt. Schon die beiden Eingangsmotti machen deutlich, dass es um ein Denken als Baustelle und nicht als systematisches Gebäude geht und zugleich um ein kommentierendes Beiwerk, das sich an den Werken anderer emporrankt.
Insofern ist unverständlich, warum die deutsche Ausgabe im Inhaltsverzeichnis die Belegstellen weggelassen hat, die zum Verständnis der einzelnen Gesichtspunkte der in drei Abschnitte unterteilten Spekulationen hilfreich sind. Unter dem Oberbegriff der spiegelbildhaften Begründung einer Position des Ich wird so nämlich gleich ersichtlich, dass Textauszüge von La Fontaine, Rousseau und Diderot zur Debatte stehen, die unter anderem die mythologischen Bezüge von Narziss und Pygmalion wiederaufgreifen.
Unter dem Gesichtspunkt einer Politik des Bildes kommen Texte von Perrault und Shakespeare bis Pascal über die Verkörperung von Macht zur Sprache, die im dritten Teil thematische Dialektik von Licht und Schatten schlägt den Bogen vom Johannes-Evangelium über Vasaris Künstlerviten bis Nietzsches Geburt der Tragödie.
Die Ausführungen des französischen Kultur- und Kunstwissenschaftlers sind von einer Brillanz und Tiefe, wie man sie heute selten in den wissenschaftlichen Diskussionen findet. Die ganze Weite humanwissenschaftlicher Bildung steht mit der Leichtigkeit eines assoziativen Winks zu Gebote und lässt die schnellen Flüge durch die abendländischen Bildarchive zum Genuss werden. Man kann nur hoffen, dass dieses Buch wie die anderen der neuen deutschen Edition von Marin seine Leserschaft findet, die Geistreichtum als ein nicht-börsentaugliches Vermögen noch zu schätzen weiß.
Louis Marin: Von den Mächten des Bildes. Glossen.
Aus dem Französischen von Till Bardoux. Louis Marin Werkausgabe,
hrsg. von Michael Heitz und Heinz Jatho unter Mitarbeit von Till Bardoux.
Diaphanes Verlag Zürich/Berlin 2007
Was sind nun die Mächte des Bildes, dass sie so nachhaltig die geisteswissenschaftliche und - denkt man an die neuen bildgebenden Verfahren - auch die naturwissenschaftliche Forschung bestimmen?
Mit dieser Frage setzt das Buch des französischen Kunsthistorikers Louis Marin ein, das nun nach fünfzehn Jahren endlich auf Deutsch vorliegt. Marin, der 1992 verstarb, hat noch nicht die ihm zukommende Anerkennung in Deutschland erlangt. Obwohl der Diaphanes Verlag seit Jahren an der Komplettierung einer Gesamtausgabe der Werke Marins arbeitet, verläuft die Rezeption eher schleppend. Andere Namen wie der Georges Didi-Hubermans besetzen in Deutschland den Ort einer französischen Bildtheorie, hier haben wir es nun aber mit seinem Lehrer zu tun.
"Von den Mächten des Bildes" war Marins letztes Buch, das erst nach seinem Tod erschien und das als so etwas wie eine Summe seines Werkes betrachtet werden kann. Die grundlegende Frage nach dem, was das Bild ermächtigt, etwas zu bewirken, geht zurück auf eine dekonstruktive Kritik an der philosophischen Tradition. Für diese ist die Vorstellung vom Bild zugleich immer verbunden mit einer seinsmäßigen Abschwächung:
Das Bild als Kopie, Abklatsch oder Doppelgänger des Seins ist diesem gegenüber von geringerer Qualität. Es ist nur Re-Präsentation, also die Wiederholung einer Präsenz, die in ihr zum Widerschein, wenn nicht gar zum trügerischen Schein eines Trugbildes wird.
Demgegenüber geht es Marin um die Wendung vom Bild des Seins zum Sein des Bildes in seiner ursprünglichen Kraft, an die Stelle von etwa anderswo Präsentem treten zu können. Im Lateinischen nannte man dies virtú, im Griechischen dynamis, und beidesmal, bei der Virtualität und der Dynamik, geht es um eine Potenz, die auch den Effekten, das heißt den Wirkungen, und nicht nur den Ursachen innewohnt, und so fasst Marin zusammen:
Dies wäre der erste Effekt der Repräsentation im allgemeinen. Dies wäre die "Urform" der Repräsentation als Effekt: das Abwesende präsent zu machen, als ob das Wiederkehrende dasselbe wäre, ja manchmal sogar besser, intensiver, stärker, als wenn es dasselbe wäre.
Die Beispiele, die im Text genannt werden, verraten viel über die Arbeitsweise Marins, der sich mit souveräner Leichtigkeit durch die verschiedenen kulturwissenschaftlichen Denkmodelle bewegt. So führt er zunächst eine theologische Referenz auf das Neue Testament an, in dem die Abwesenheit des Leibes Christi nach der Auferstehung in die machtvolle Äußerung einer Botschaft seiner Verklärung zum Symbol umschlägt. Und sogleich folgt eine Argumentation der Kunstgeschichte, indem Albertis Lob der Malerei als Kunst der Beschwörung von Abwesenden zitiert wird und mit der erinnernden Funktion von aufgestellten Photos Verstorbener verglichen wird.
Aber Marin ist auch zu guter Kenner der semiotischen und literaturtheoretischen Debatten, um nicht in einem weiteren Anlauf die Ermächtigung des Bildes zur Erzeugung eines Mehrwertes an Sinn mit der Autorentheorie zu verbinden, nur dass eben das Bild selbst und nicht sein Maler zum Autor wird. Und schließlich wird der Aufschub von Kraft im Bild, den Marin mit dem von Jacques Derrida kreierten Neologismus als différance bezeichnet, durch das psychoanalytische Modell der Trauerarbeit erhellt, die gegenüber der narzisstischen Kränkung des Subjekts zu leisten ist, das nie in einem Bild das Absolute an Kraft darstellen kann.
Diese Theorie der Bildermacht wird in einer für Marin typischen offenen Form in neun Glossen und sechs Zwischenglossen an entsprechenden kulturgeschichtlichen Beispielen der Philosophie-, Literatur- und Kunstgeschichte durchgespielt. Schon die beiden Eingangsmotti machen deutlich, dass es um ein Denken als Baustelle und nicht als systematisches Gebäude geht und zugleich um ein kommentierendes Beiwerk, das sich an den Werken anderer emporrankt.
Insofern ist unverständlich, warum die deutsche Ausgabe im Inhaltsverzeichnis die Belegstellen weggelassen hat, die zum Verständnis der einzelnen Gesichtspunkte der in drei Abschnitte unterteilten Spekulationen hilfreich sind. Unter dem Oberbegriff der spiegelbildhaften Begründung einer Position des Ich wird so nämlich gleich ersichtlich, dass Textauszüge von La Fontaine, Rousseau und Diderot zur Debatte stehen, die unter anderem die mythologischen Bezüge von Narziss und Pygmalion wiederaufgreifen.
Unter dem Gesichtspunkt einer Politik des Bildes kommen Texte von Perrault und Shakespeare bis Pascal über die Verkörperung von Macht zur Sprache, die im dritten Teil thematische Dialektik von Licht und Schatten schlägt den Bogen vom Johannes-Evangelium über Vasaris Künstlerviten bis Nietzsches Geburt der Tragödie.
Die Ausführungen des französischen Kultur- und Kunstwissenschaftlers sind von einer Brillanz und Tiefe, wie man sie heute selten in den wissenschaftlichen Diskussionen findet. Die ganze Weite humanwissenschaftlicher Bildung steht mit der Leichtigkeit eines assoziativen Winks zu Gebote und lässt die schnellen Flüge durch die abendländischen Bildarchive zum Genuss werden. Man kann nur hoffen, dass dieses Buch wie die anderen der neuen deutschen Edition von Marin seine Leserschaft findet, die Geistreichtum als ein nicht-börsentaugliches Vermögen noch zu schätzen weiß.
Louis Marin: Von den Mächten des Bildes. Glossen.
Aus dem Französischen von Till Bardoux. Louis Marin Werkausgabe,
hrsg. von Michael Heitz und Heinz Jatho unter Mitarbeit von Till Bardoux.
Diaphanes Verlag Zürich/Berlin 2007