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Was ist elementar in der Pädagogik?

Wann hilft Bildung Zukunft zu meistern und was muss Schule dafür leisten? Sich mit diesen Fragen auseinander zu setzen trafen sich in der vergangenen Woche Wissenschaftler auf einer onferenz an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Eingeladen hatte dazu der Lehrstuhl für Schulpädagogik und Schulentwicklung. Der Lehrstuhl unterhält mit dem Imaginata-Stationenpark eine Werkstatt zum Wahrnehmen und Staunen und damit ein herausforderndes Erfahrungsfeld, um über das Elementare nachzudenken.

Von Barbara Leitner |
    "Lernen ist nicht der Wirkabdruck des Lehrens, sondern das Lernen geht, weil es eine konstruktive Qualität hat, über das Lehren hinaus. Was Schüler lernen, ist durch die Lehre nicht determiniert. Und in diese Frage, greift die Frage des Elementaren sozusagen wie ein Katalysator ein. Sie zielt auf das einfache, aber sie zwingt uns dazu, das Ganze der Erziehung in den Blick zu nehmen."

    Peter Fauser, Professor für Erziehungswissenschaften am Lehrstuhl für Schulpädagogik und Schulentwicklung an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Mit der Einladung zu der Tagung gab sein Team eine verständlichere Definition des Elementaren:

    Elementar
    Was prägt
    Und was trägt,
    Worauf alles gründet,
    Was uns verbindet.
    Was allen nützt,
    Was Schwäche stützt.
    Was wirklich zählt
    In der Welt.
    Und was uns hält,
    Wenn alles fällt.


    Was sind diese grundlegenden Minima, die Schule prägen und halten und Kindern und Jugendlichen dazu verhelfen, eine zukunftsfeste Bildung zu erlangen?

    "Aus theologischer, religionspädagogischer oder ethischer Sicht ist mir am Elementaren wichtig, dass es zu einer menschlichen Bildung beiträgt."

    Friedrich Schweitzer, Professor an der evangelisch-theologischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen:

    "Das Elementare hat dann auch eine bestimmte Beziehung zu den lernenden Kindern und Jugendlichen zu den lernenden Subjekten, wo ihnen etwas aufgeht, an dem ihnen etwas gewiss wird, in dem sie für sich selber in ihrem Leben Orientierung und Gewissheit finden."
    Elementares geschieht, wenn ein Schüler beim Lernen in sein Element kommt. Doch das ist schwer planbar und oft auch unpassend. Denn auf der anderen Seite ist es für die Gesellschaft grundlegend, durch Schule ihre kulturellen Errungenschaften zu erhalten und weiter zu tragen. Sie verlangt ein zielbezogenes Lernen.

    "Das ist ja das, was die Schule will. Sie kann sich ja nicht daran vorbei stehlen. Sie hat bestimmte Bildungsziele im Blick und dazu muss man Lerngelegenheiten schaffen. Man braucht Anregungen, Stimulationen. Man muss auch die Bedeutung sichtbar machen."

    Manfred Prenzel, von Institut für Pädagogik der Naturwissenschaften an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel. Als Leiter der deutschen PISA-Studie berichtet er von einem Befund aus dem Jahr 2003. 42 Prozent der getesteten Schüler erreichten im Fach Mathematik und Naturwissenschaften am Ende der 10. Klasse keinen Lernzuwachs im Vergleich zum 9. Schuljahr. Dabei erhielten sie vier Stunden Unterricht pro Woche und wurden versetzt!

    Dieser Fakt zeigt: Die deutsche Schule durchziehen stillschweigende Vereinbarungen, die die Schüler nur für die nächste Arbeit lernen lassen, ohne zu fragen: Was bleibt übrig?

    Elementar wären deshalb nach Meinung von Manfred Prenzel individuelle Lernpläne für alle Schüler, mit denen sie sich selbst Ziele setzen: Was will ich wissen, was ich jetzt nicht kann.

    "Wichtig ist vor allem, dass man die Lernprozesse begleitet, dass sie Unterstützung bekommen, dass man je nachdem welche Voraussetzungen sie mitbringen, ihnen Gerüste gibt, an denen sie dann doch erfolgreich bestimmte Schritte machen können. "

    Doch die PISA-Befunde sagen auch: Lernzuwächse erreichen vor allem jene Kollegien, in denen zahlreiche aktive, disziplinorientierte Lehrer tätig sind, Kollegien, die sich ein eigenes Profil mit kooperativen Arbeits- und auch Evaluationsformen schaffen. Nur mit Vergleichsarbeiten die Ergebnisse des Lernens zu überprüfen, wie die Kultusbehörden es tun, genügt nicht. Notwendig ist vor allem, Unterrichtsentwicklung voranzutreiben. Denn auch das ist ein Ergebnis von PISA: Lehrer verfügen in der Mehrzahl nur über ein sehr enges methodisches Repertoire, um Lernprozesse anzuregen und zu unterstützen.

    Deshalb entstanden am Jenenser Lehrstuhl für Schulpädagogik und Schulentwicklung verschiedene Projekte zur Professionsentwicklung der Lehrer, unter anderem der Imaginata-Stationenpark, eine Werkstatt für die Sinne. Peter Fauser:

    "Wir versuchen Erfahrungen anzubieten, die aus dem Tritt bringen, kreative Irritation. Wenn man denkt, Hoppla, da verstehe ich etwas nicht. Und mit solch einer kognitive Dissonanz entsteht ein Perspektivwechsel und das ist der Anfang auch für ein Verstehen zweiter Ordnung."
    Diese Art von Verstehen hält der Erziehungswissenschafter für Lehrerinnen und Lehrer für elementar: anzuerkennen, dass die Lern- und Verstehensprozesse der Schüler unterschiedlich sind. Wenn Lehrer dazu keinen Zugang finden, wird Lernen verhindert.

    "Eine Lehrerin fünftes Schuljahr gibt zum Einstieg im Fach Biologie die Aufgabe, schreibt mal auf, was euch zum Thema Ohr einfällt und ein Schüler schreibt auf Ohrenschmalz und die Lehrerin sagt, das gehört nicht zum Thema und das war ein Fehler, weil der Schüler hat ein Problem mit Ohrenschmalz und hat den Mut gehabt, das Thema zur Sprache zu bringen und macht die Tür auf zu seinem wirklichen wichtigen Problemen und die Lehrerin versteht es nicht. Auf jeden Fall hätte sie nachfragen müssen: Was meinst du damit, was interessiert dich? Das ist das, was wir verstehen zweiter Ordnung nennen. Warum ist das nicht passiert. Sie ist im Verstehen erster Ordnung hängen geblieben und hat nur im Auge gehabt, was der Lehrplan zum Thema Ohr vorsieht, die Anatomie und so weiter."
    Auch für Prof. Lothar Krappmann vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung Berlin ist grundlegend, sich den konkreten Erfahrungen der Kinder zuzuwenden.

    "Die Kinder kommen oft in die Schule und können gar nicht zuhören, weil viele Bedürfnisse, die sie haben, nicht zufrieden gestellt worden sind. Das Bedürfnis nach Bewegung oder nach Wärme, nach Aufmerksamkeit. Vielleicht muss man Bildungsprozesse damit anfangen, dass eine Vertrauensbasis untereinander geschaffen wird. Dann kann man auch die anderen Dinge wieder betreiben."

    Sich in dieser Weise über das Unumstrittene, alle verbindende Gemeinsame zu verständigen - so die Meinung von Lothar Krappmann - hilft angesichts von Differenzen die Brücke zueinander zu finden: In dem sich Lehrer, Erzieher und Wissenschaftler sowie Verantwortliche aus den Schulverwaltungen, Fortbildungsinstituten und Ministerien besinnen: Welche elementaren Erinnerungen verbinden sie mit Schule. Was prägte sie?

    "Und ich glaube, wenn man das Jetzt ernst nimmt und die Beziehung der Kinder untereinander und zu den Erwachsenen, die ihnen etwas vermitteln wollen, dann schafft man besser die Voraussetzungen, das aufzunehmen, zu erproben, zu erkunden, was die Schule an die Kinder herantragen will."