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Weg mit der Werbung

Zwei österreichische Künstler haben das Bild der Wiener Neubaugasse völlig verändert. Mit ihrer Installation "Delete!" wollen sie die Einkaufsstraße zwei Wochen lang werbefrei machen. Die Firmennamen über den Läden sind verklebt und quer über die Straße ragende Schilder verpackt.

Von Beatrix Novy |
    "Das ist nicht ein Projekt, das sich grundsätzlich gegen Werbung richtet, Schrift ist Stadt, das ist ein Leitsystem, es geht darum, dass wir so was wie eine Bestandsaufnahme machen, den status quo visualisieren."

    Christoph Steinbrener ist Künstler und auf Aufmerksamkeit angewiesen. Für seine Aktion "Delete" hat er fleißig die Werbetrommel gerührt, was angesichts des Themas nur scheinbar paradox ist, und überraschend viel Aufmerksamkeit geerntet: Alle finden Christoph Steinbreners und Rainer Dempfs Idee, eine Einkaufsstraße zwei Wochen lang unleserlich, also werbefrei zu machen, hochinteressant – ein Nerv ist getroffen, ein kollektiv empfundenes und ertragenes Übel wird benannt.

    " Der Höhepunkt war, dass hier montiert wurden 2000 Rolling Boards, also auch noch sich bewegende Werbung, ohne das eine öffentliche Diskussion darüber stattgefunden hätte. Daraus ist eine Idee entstanden subversiv zunächst, dagegen was zu machen, wir wollten Graffitis sprühen, wollten sogar die Dinger absägen, haben aber beschlossen, nicht ins Gefängnis zu gehen und stattdessen das hier zu machen."

    Die Neubaugasse ist eine Querstraße, die von den Käuferströmen der Mariahilfer Straße zehrt, Wiens ältester, bekanntester und grellster Einkaufsmeile, deren Geschäftsleute sich aber längst zu eigenem Marketing zusammengeschlossen und ihrer Neubaugasse ein eigenes branding verpasst haben: "Die Straße der Spezialisten". Schreibwaren, Regenschirme, Handschuhe - hier sind Geschäfte und Angebot noch in der Kleinteiligkeit zu erleben, die Stadt im traditionellen Sinn ausmacht, die Stadt, die gleich nebenan von Ketten und Filialisten zur auswechselbaren Kulisse gemacht wird. Wenn man genau hinschaut, sieht man auch in der Neubaugasse den einen oder anderen global player die Rückstandsidylle bedrohen. Aber alle haben mitgemacht bei Steinbrener und Dempfs "Entschriftungsaktion"

    " Das war eigentlich der Hauptteil der Vorbereitungsarbeit, dass wir anderthalb Jahre in Einzelgesprächen …sie überzeugt haben, und das war ein hartes Schwert. "

    Verklebt sind die Firmennamen über den Läden, verpackt die quer in die Straße ragenden Firmenschilder: "Christo?" fragen verdutzt die Passanten, schon ein Stück hineingezogen in Richtung Schreibwarengeschäft, Regenschirmgeschäft, Handschuhgeschäft. Die Farbe des Verhüllungsmaterials ist gelb. Es war schwer, ein Gelb zu finden, das nicht besetzt war von irgendwelchen Weltfirmen und also ganz andere Signale gesetzt hätte als das von "Delete". Das Delete-Gelb ist kein ästhetisches Ereignis, es markiert aber in aller Deutlichkeit den Platz, den die Werbung im städtischen Raum beansprucht.

    "Wenn man historisch recherchiert, weiß man, dass es in Wien um die Jahrhundertwende wesentlich mehr Beschriftung gegeben hat als heute, nur es waren individuelle Beschriftungen und handwerklich gemacht, wo man anhand der Schrifttypen erkennen konnte in welcher Stadt man sich befindet, das geht ja immer mehr verloren."

    Die Invasion der Marken und die mit ihr einhergehende Nivellierung unterwirft den öffentlichen Raum aggressiver als zuvor privaten Interessen, verhält sich brutal und gleichgültig gegenüber alten Fassaden und städtischen Gewohnheiten. Ebenso aggressiv ist die schrille Mobilmachung der kleinen New Economy-Läden, der Foto-und Internetshops, die den härter gewordenen Konkurrenzkampf auf unterster Ebene austragen.

    Die Werbung im Massenmedienzeitalter hat zigmal ihre Fähigkeit bewiesen, kulturkritische Angriffe in Aufmerksamkeitspotential umzumünzen. Alles wird Werbung. Treuherzig erklärte eine Sprecherin der Wiener Wirtschaftskammer, die die Aktion "Delete" mitsponsorte: Die Neubaugasse sei ja die Straße der Spezialisten, das wolle dieses Projekt zeigen. Das wollte das Projekt zwar sicher nicht, aber es funktioniert so: als Wirtschaftswerbung. Und das darf es auch. Als gemeinsame Erfahrung, die ein bisschen Reflexion über die gemeinsam bewohnte Stadt mit sich bringt, hat es schon etwas erreicht.