Samstag, 23. September 2023

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Weg voller Hindernisse

Das EU-Parlament will das Bahnfahren in Europa einfacher und sicherer machen. So sind etwa Entschädigungszahlungen für Verspätungen und die Einführung eines gemeinsamen Lokführerscheins in der EU geplant. Die ersten Regelungen könnten in zwei Jahren in Kraft treten. Doch europäisch denken, ist bei den europäischen Bahnunternehmen noch immer selten - zum Nachteil der Fahrgäste. Ruth Reichstein berichtet aus Brüssel.

25.09.2007

    Michael Cramer steht am Schalter "Internationaler Verkehr" am Bahnhof "Luxemburg" der direkt neben dem Europäischen Parlament liegt. Abgeordnete aus allen 27 EU-Mitgliedsstaaten kaufen hier ihre Tickets. Michael Cramer will eine Fahrkarte in den hessischen Ort Michelstadt lösen.

    "Possible d’ici à Michelstadt? – pas possible, gare est trop petite."

    Die Stadt sei wohl zu klein, meint der Bahnbeamte. Michelstadt habe er nicht in seinem System. Immerhin 20.000 Einwohner hat der Ort in Hessen. Aber der Computer der belgischen Bahn kennt ihn nicht.

    In Brüssel könne Cramer nur eine Fahrkarte bis Frankfurt am Main lösen. Dann müsse er umsteigen und sich am dortigen Bahnhof das Ticket bis zu seiner Endhaltestelle besorgen, erklärt der Bahnbeamte.

    "Die Deutsche Bahn hat ein System. Die belgische Eisenbahn hat ein anderes System. Die Franzosen haben noch ein anderes. Und wir wollen das auf europäischer Ebene verknüpfen. Eigentlich ist es nicht schwer, im Zeitalter des Internets, der digitalen Technik. Mit den Kursbüchern wäre das schon anders. Da müssten sie noch 27 Regale anbauen,"
    sagt Michael Cramer.

    Er ist einer der Vorkämpfer für mehr einheitliche Regeln auf dem europäischen Eisenbahnmarkt. Immerhin haben die EU-Abgeordneten erreicht, dass ab 2009 alle Bahnhöfe in ganz Europa Informationen und Tickets für die gesamte EU anbieten müssen. Schon das war nicht einfach, sagt Cramer:

    "Der Bremsklotz sind die Regierungen und deren Eisenbahngesellschaften. Wir müssen einfach feststellen: Das sind die letzten Horte des Nationalismus. Die denken nicht europäisch, die denken nur national. Und das ist für die Fahrgäste und für Europa, das zusammen wächst, verheerend. Das ist die letzte Bastion. Wir haben es beim Flugverkehr geschafft, der ist liberalisiert. Mit dem Lkw ist es kein Problem, von Tallin nach Lissabon zu fahren. Mit der Eisenbahn ist es schwieriger."

    Noch immer gibt es 20 verschiedene Zugsicherungssysteme. Sechs Stromspannungen und vier unterschiedliche Spurweiten bei den Gleisen. Das hat zum Teil groteske Auswirkungen: An vielen Grenzen innerhalb der Europäischen Union müssen Lokomotiven und Lokführer gewechselt werden, weil die Systeme nicht miteinander übereinstimmen.
    Der französische Hochgeschwindigkeitszug Thalys hat sechs verschiedene Systeme in der Lokomotive eingebaut, um auch außerhalb Frankreichs fahren zu können. Das kostet Zeit, Geld und macht das Zugfahren teurer.

    Auch die Europäische Kommission leide unter der Blockade der Mitgliedsstaaten und der Lobbyisten, sagt Sprecher Michele Cercone:

    "Der Schienenmarkt ist sehr fragmentiert in Europa. Die Märkte sind national orientiert und da wollen sich die Mitgliedsstaaten auch nicht unbedingt reinreden lassen. Sie haben noch immer die meisten Kompetenzen und das legt uns natürlich Hindernisse in den Weg. Und wir sind auch einem gewissen Druck ausgesetzt, der von den Transportunternehmen kommt."

    Die drohen zum Beispiel mit einem Anstieg der Lebensmittelpreise, sollten sie ihre Fracht auf die Schiene verlagern müssen. Auch die Bahnunternehmen wehren sich gegen zu viele Auflagen. Es wird zum Beispiel auch in Zukunft nicht möglich sein, in Hochgeschwindigkeitszügen Fahrräder mitzunehmen.

    Trotzdem: Auf europäischer Ebene passiert immerhin mehr als in den einzelnen Mitgliedsstaaten. Das Geld, das die EU für Verkehrsprojekte ausgibt, fließt größtenteils in die Schiene. So sollen vor allem die zentralen Verbindungen von Nord nach Süd und Ost nach West verbessert werden.

    Und die EU-Abgeordneten konnten den nationalen Regierungen einen kleinen Bonus für die Zugreisenden abringen: Entschädigungszahlungen bei Verspätungen. Der grüne Abgeordnete Michael Cramer:

    "Das war auch eine intensive Diskussion mit dem Rat. Der wollte es nur für grenzüberschreitende Verbindungen haben, also internationale Verbindungen. Das würde dann bedeuten, wenn einer von Köln nach Brüssel fährt – wenn einer in dem selben Zug nur von Köln bis Aachen fährt, kriegt er nichts, fährt er von Aachen bis Lüttich, kriegt er was, fährt er von Lüttich bis Brüssel, kriegt er wieder nichts. Das haben wir durchgesetzt, dass für alle Langstreckenzüge diese Entschädigungsregel gilt. Wenn der Zug eine Stunde Verspätung hat, kriegt man 25 Prozent des Fahrgelds zurück. Bei zwei Stunden 50 Prozent."