Freitag, 29. März 2024

Archiv


Weg von Venus

Da alles, was mit Moral und Erotik zu tun hat, heute eher locker gesehen wird, wird Richard Wagners "Tannhäuser" gern als Künstler-Außenseiter-Drama gedeutet. In Karlsruhe holte nun der Lichtzauber von Künstlerin rosalie das Bühnenwerk ins Jetzt.

Von Wolf-Dieter Peter | 08.10.2012
    Jubelndes Liebesglück und "der Gnade Heil" werden auch in Karlsruhe dem tabubrecherischen Künstler Tannhäuser nicht zuteil: Er stirbt als Außenseiter. In seinen Händen hält er eines seiner Notizbücher: schwarz eingebunden, aber innen lauter sündig rote Seiten. Dieses Buch nimmt eine Chordame, hält es begeistert hoch – alle anderen Pilger recken die Arme danach: eine mögliche Vereinigung von Spiritualität und Sinnlichkeit, ein später Triumph des Künstlers – wie so oft erst nach seinem Tod, während er zuvor als Sendbote des Künftigen verdammt wurde.

    Das ist die zentrale Aussage, mit der die Karlsruher Neuinszenierung endet. Hier wie den ganzen Abend über haben Regisseur Aron Stiehl und die für Raum, Lichtskulptur und Kostüme verantwortliche Künstlerin "rosalie" zusammengefunden. Keiner dominiert den anderen. Da Stiehl die Sinnenwelt des Venusbergs und die Scheinrationalität der Wartburgwelt als zwei Seiten einer Medaille, auch der menschlichen Natur sieht, hat rosalie einen Einheitsraum geschaffen. Viereckige gewölbte Lichtgauben – wie sie in Unterführungen zu finden sind – bilden streng geometrisch gegliederte Seiten- und Hinterwände. Doch zusammen mit Lichtmeister Stefan Woinke leuchtet rosalie sie vom sündigen Scharlachrot der Venuswelt über das Maigrün der landgräflichen Jagdgesellschaft hin zum Silbergrau des Wartburgfestes in nuancierten Mischungen immer wieder dramaturgisch handlungstragend aus – aber auch raffiniert die Wölbungen und Flächen in phantastische Raumwirkungen verwandelnd. Im ersten und im dritten Aufzug stehen zusätzlich Skulpturen aus schwarzen Kunststoffbahnen im Raumgeviert: mal Grotten, mal verdorrte Bäume, am Schluss auch fast barocke Wolkentürme, auf denen zwei stilisierte, nackte Engelsfiguren thronen: Luzifer und Seraphim.

    Dazu lassen Regisseur Stiehl und rosalie die Wartburgwelt scharf kontrastieren: Der Landgraf ist zum Öl-Baron mutiert, der Kunst sponsort – in einem Saal mit chromblitzenden Ölfässern, die halb zum Rundlehnsitz aufgeschnitten sind. Durch den gekonnt gegliederten Einzug der Fest-Society toben auch deren reichlich unerzogene Kinder samt Gouvernanten, ehe sich später eine Männerphalanx gegen den Revoluzzer Tannhäuser bildet: starke Chor-Wirkungen. Davide Bombanas Venusberg-Choreographie beeindruckte weibliche Zuschauer, männliche vermissten erotischen Zauber. All das dirigierte Justin Brown mit der Badischen Staatskapelle weniger straff und schlank als wuchtig und breit. Heidi Melton sang in nur nuanciert unterschiedlichen Kostümen eine schwarzhaarige Venus und eine blonde Elisabeth mit schöner Tiefe und strahlender Höhe. John Treleavens Tannhäuser steigerte sich in den "Erbarmen"-Rufen des zweiten Aufzugs und gestaltete dann ein beeindruckendes Ende des Außenseiters. Der vokale Lorbeer aber war Armin Kolarczyks Wolfram zu reichen - nicht nur, aber auch für sein "Abendstern"-Lied:

    Aus dem Karlsruher "Tannhäuser" nahm man nicht nur rosalies Lichtzauber mit, sondern auch die gezielt kitschigen, prompt belachten Jagdtableaus der Wartburg-Männer, vor allem aber die vier über der Venushandlung schwebenden pastellfarbenen Chrysanthemen-Tüllblüten, aus denen nackte Unterleibe ragten: Vorausdeutungen auf die auch reizvoll unwirklichen Blumenmädchen des "Parsifal", traumhafte Erotik, Bühnenzauber. Einhelliger Jubel, speziell für die Verpflichtung der Künstlerin rosalie, die nicht auf einen Ego-Trip der Selbstverwirklichung ging, sondern ein Bühnenwerk für Hier und Heute mitgestaltete.