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Wegweiser für neues Leben

Biologie.- Seit Jahrzehnten versuchen Forscher aufzuklären, wie Spermien es gelingt, zur anvisierten Eizelle zu gelangen. Ein Bochumer Wissenschaftler ist der Meinung: Spermien können riechen – der Duft von Maiglöckchen lockt sie an. Bonner Forscher halten diese Theorie inzwischen für überholt.

Von Martin Winkelheide | 03.04.2012
    Etwa 300 Millionen Spermien machen sich nach einem Samenerguss auf einen langen Weg. Das Ziel: die Eizelle.

    "Stellen wir uns vor, ein Spermium wäre so groß wie eine Erbse und wir vergrößern den Eileiter um den selben Faktor, dann würde er sich zu einer 30 Kilometer lange Röhre aufblähen, deren Durchmesser der Breite einer vierspurigen Autobahn entspräche."

    Ein Rendezvous von Spermium und Eizelle wäre unwahrscheinlich, gäbe es nicht einen Wegweiser. Einen Lockstoff, an dem sich die Spermien orientieren. Der Bochumer Riechforscher Hans Hatt glaubte, ihn gefunden zu haben: den Duftstoff Bourgeonal. Maiglöckchenduft.

    "Das Spermium reagierte darauf: Es konnte tatsächlich riechen.",

    schreibt Hanns Hatt in seinem Buch "Das Maiglöckchenphänomen".

    "Lässt man Spermien in einem Parcours schwimmen und bietet ihnen aus einer bestimmten Richtung Maiglöckchenlockstoff an, folgen sie nicht nur der Spur in Richtung auf die Duftquelle, sondern verdoppeln sogar noch ihre Geschwindigkeit."

    Spermien als schwimmende Riechzellen. Bonner Forscher haben die Hypothese auf den Prüfstand gestellt.

    "In unserer neuesten Arbeit haben wir diese Geschichte widerlegt",

    sagt Benjamin Kaupp, wissenschaftlicher Direktor des Forschungszentrums "caesar".

    "Wir können die Komponenten, die man für einen Riechprozess benötigt, in den Spermien nicht finden. Die haben keine Nase."

    Dennoch ist die Befruchtung für Kaupp keine Zufallsbegegnung.

    "Es ist unbestritten, dass Spermien auf Lockstoffe reagieren. Aber das sind ganz andere Lockstoffe, das sind keine Duftstoffe."

    Ein möglicher Lockstoff ist das weibliche Sexualhormon Progesteron. Es wird auch in direkter Nachbarschaft der Eizelle gebildet.

    "Die Eizelle ist von einer schützenden Zellschicht umgeben, diese Zellen heißen Kumuluszellen. Diese Kumuluszellen, die synthetisieren das Progesteron und schütten es aus."

    Spermien reagieren auf Progesteron. Das Hormon, sagt Christoph Brenker, öffnet die sogenannten CatSper-Ionenkanäle. Die Folge: Kalzium strömt in die Spermien ein. Eine hohe Kalziumkonzentration wiederum verändert die Aktivität der Spermien, es lässt sie schneller schwimmen und kräftiger ausschlagen.

    "Und dieser Flagellenschlag ermöglicht es den Spermien, diese Wolke aus Kumuluszellen erst zu durchdringen."

    Voraussetzung für eine erfolgreiche Befruchtung. Auch auf den Maiglöckchenduft Bourgeonal, hat Brenker in Laborversuchen nachgewiesen, reagieren Spermien, indem die über CatSper-Ionenkanäle Kalzium einströmen lassen und so kräftiger schwimmen.

    "Das Bourgeonal, also der Maiglöckchenduft, imitiert sozusagen die Progesteronwirkung auf die Spermien. Allerdings braucht man deutlich höhere Konzentrationen von dem Maiglöckchenduft, als wir zum Beispiel Progesteron brauchen. Wir brauchen eine ungefähr tausendfach höhere Konzentration."

    Maiglöckchenduft kann Spermien aktivieren – aber nur, wenn es sehr hoch dosiert wird, so der Befund der Bonner Forscher. Die Aktivierung der Spermien ist eine Seite, sagt der Bochumer Riechforscher Hanns Hatt. Damit ist für ihn aber noch nicht widerlegt, dass Maiglöckchen- oder andere Duftstoffe für die Orientierung der Spermien eine Rolle spielen. Denn auf den Spermien gibt es Riech-Rezeptoren. Eine Frage, die seiner Meinung nach die Wissenschaft noch klären muss.

    Orientieren sich Spermien vor allem an Progesteron? Gibt es weitere chemische Signalstoffe? Spielt Temperatur eine Rolle? Auch Benjamin Kaupp sieht die Herausforderung darin, die komplexen natürlichen Verhältnisse im Eileiter so naturgetreu wie möglich im Labor nachzubauen, um die Wirkung einzelner Lockstoff-Kandidaten zu testen.

    "Man muss mit physikalisch chemischen Methoden das Schwimmverhalten und das Schlagmuster der Spermien genau untersuchen quantitativ untersuchen."

    Endgültig gelüftet ist das Geheimnis, wie Spermien zur Eizelle gelockt werden, noch lange nicht.