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Weihnachtsgänse aus dem Freiland

Sechs Millionen Gänse werden in Deutschland pro Jahr verspeist, zum Teil schon Mitte November als "Martinsgans," aber die meisten, etwa 85 Prozent, enden als Weihnachtsgänse. Doch wenngleich die Weihnachtsgans ein nationales Traditionsessen - nur die wenigsten Gänse, nämlich 13 Prozent, stammen aus deutscher Aufzucht. Als Vorboten der kommenden EU-Osterweiterung findet man in den Tiefkühltruhen der Supermärkte heute 8 mal so viele Gänse aus Polen und Ungarn als auf den heimischen Gänse-Weiden.

von Michael Schlag |
    Es ist kurz vor acht und wie an jedem Morgen derselbe Rabbatz in dem Ort Rockenberg nördlich von Frankfurt am Main. Landwirt Berthold Antony öffnet das Tor des Gänsestalles. 500 schneweiße Gänse stürmen flügelschlagend und mit hochgerecktem Hals auf die Weide. Insgesamt hat die Gänseherde drei Hektar Land als Auslauf, alle vier Wochen wird der Weideplatz gewechselt, damit Gras nachwachsen kann. Jetzt bewegt sich die Schar in Richtung Futterwagen. Berthold Antony:

    Die bekommen also außer jede Menge Gras bekommen sie Schrot in Form von hofeigenem Getreide. Das ist Gerste, Winterweizen und als Eiweißergänzung etwas Soja-Schrot, die Saison über je nach dem vielleicht Kartoffeln, rohe Kartoffeln, oder Rüben eventuell wenn das Gras etwas knapp ist dann kann man Rüben zufüttern und das fressen die dann auch ganz gerne muss man sagen.

    Diese Freilandmast ist teuer, denn sie belegt viel Land, das sonst keinen Ertrag bringt und sie dauert lange, etwa ein halbes Jahr von Juni bis Dezember. Außerdem steht sie unter Konkurrenz durch zollfreie Gänse-Importe vor allem aus Polen und Ungarn. Nach den vor 2 Jahren zwischen der EU und osteuropäischen Ländern geschlossenen Doppel-Null Abkommen können heute schon 75 Prozent aller Agrarexporte der künftigen Beitrittsländer zollfrei in die Europäische Union, darunter auch die Gänse. So bleibt die Aufzucht von Weihnachtsgänsen aus Deutschland eine Domäne bäuerlicher Direktvermarkter, die mit frischer Ware garantierter Herkunft vergleichsweise hohe Preise erzielen. Eine frisch geschlachtete Gans kostet ab Hof etwa 8 Euro pro Kilo – das ist glatt doppelt so viel wie eine Tiefkühlgans aus Polen oder Ungarn. Wer etwa 10 Euro pro Kilo anlegt, der bekommt dafür auch eine Gans aus ökologischer Haltung.

    Bauerbach, ein Dorf bei Marburg. Auf dem Bio-Hof Böhm verlassen 180 Gänse morgens den Stall und patschen durch strömenden Regen der Weide zu. Nur etwa 1 Prozent der ohnehin seltenen Gänse stammen aus dem ökologischen Landbau. Hier sind Auslauf-Fläche pro Tier, Herkunft des Futters, Zusatzstoffe, und die Mastdauer genau vorgeschrieben. Bettina Böhm:

    Bei uns ist es so, dass wir eine begrenzte Anzahl von Tieren, diese 180 Tiere auf cirka drei Hektar Weidefläche halten. Die Tiere haben also sehr viel Platz zum Grasen, zum Weiden und um sich auszuleben. Daneben haben sie noch einen Bach zur Verfügung, den sie zur Zeit rege nutzen. Das ist in Intensivbetrieben alles nicht möglich.

    Intensivbetriebe, aus denen viele der importierten Gänse stammen, mästen die Tiere bisweilen in nur zehn Wochen auf ihr Schlachtgewicht hoch. Damit verglichen, so Bettina Böhm, könne man ihre Haltung eigentlich gar nicht als "Tiermast" bezeichnen. Das teuerste der heimischen Gänsezucht ist aber die Vermarktung. Die Schlachtzeit im November und Dezember macht extrem viel Arbeit, die Höfe brauchen eigene hygienische Schlachträume. Und weil Gänse das einzige Fleisch liefern, das ausschließlich saisonal gekauft wird, hat die Produktion auch Risiken. Berthold Antony:

    Man hat die Vermarktung nur von Ende Oktober bis zum 24. Dezember. Zwischen den Jahren und im Januar will eigentlich keiner mehr eine Gans essen. Wir können also nicht auf Überschuss produzieren, wir können nur so viele Gänse halten wie wir tatsächlich auch vermarkten können und müssen sehen, dass wir am 20. Dezember wenn es geht die letzte Gans verkauft haben.