Wir reisen durch die weitläufige Weinlandschaft Bordeaux’s an. Hundert Kilometer, beiderseits der Gironde. Durch eine der teuersten Weinlagen der Welt. Selbst ein Papst Clemens aus dem 13. Jahrhundert war hier Weingutbesitzer.
Und nun queren wir mit der alten Autofähre die Gironde nach Blaye. Der Fluss ist hier imposante einunddreißigeinhalb Kilometer breit. Und da wo heute die Fähre pendelt, da setzen früher die schmalen Nachen mit den Jakobspilgern über, was sich aber wegen der starken Strömung ein mehrstündiger Kampf gewesen sein soll. Und es galt damals auch die Regel, wer gut betucht ist, lässt sich in Blaye übersetzten.
Die Harz-IV-Pilger dagegen tippeln einen Umweg von drei Tagesetappen über Bordeaux. Da müssen sie nämlich nur einen Brückenzoll entrichten.
Und wo ich Ihnen das erzähle und wo wir uns die abenteuerlichen Pilgerstrapazen bebildert vorstellen, ohne Bankcard und EURO-Schutzbrief, da sind wir mittlerweile auf dem Plateau der Zitadelle oben angekommen. Sehen Reste eines mittelalterlichen Turms des Château des Rudel. Die Rudels waren vor tausend Jahren die Grafen von Blaye. Und der bekannteste Spross dieser Sippe ist der junge Jaufre Rudel. Er ist Graf, Troubadour, Dichter. Und wie durch ein Wunder sind einige seiner Liebeslieder über 900 Jahre bis heute erhalten. Eine kleine Hörprobe ...
"Einspielung Musik von J. Rudel "
... schmachtende Zärtlichkeit klingt da durch. Und wenn wir –hier oben- die alten Gemäuer befragen, die das ja auch alles gehört und gesehen haben, könnten sie uns antworten....
Jaufre Rudel lebt etwa von 1120 bis 1148. Er wird nur 27 Jahre alt und gilt als der bedeutendste Troubadour in der Nachfolge von Guillaume de Poitiers, Herzog von Aquitanien. Guillaume ist der Vater der."Eleonore de Aquitaine", eine der aufregendsten Frauen des Mittelalters Eleonore wird Königin von Frankreich, dann Königin von England. Und sie ist gleichzeitig Herzogin von Aquitanien und gleich alte Zeitgenossin von Jaufre Rudel. Er ist auch ihr Untertan. Man darf ohne Quellenbestätigung annehmen, sie haben sich gekannt, denn an Eleonores Musenhof gingen Dichter, Troubadoure, Künstler ein und aus. Beide, Königin Eleonore und Jaufre, nehmen auch am 2. Kreuzzug der Christenheit 1147 in das Heilige Land teil
Und lassen wir die Steine der Burg von Blaye ruhig noch weiter erzählen. Walter von der Vogelweide schreibt ein Palästina-Lied. Das soll von der Lebenslegende dieses Jaufre Rudel inspiriert worden sein. Hätte es schon damals die "Charts" gegeben, also eine Rangliste der populärsten Tonträger, dann stünde Jaufre Rudel beim mittelalterlichen Grand Prix de la Chanson ganz oben platziert. Er besingt die höfische Liebe, die sich schmachtend verzehrende Leidenschaft zu einer angebeteten, vielleicht unbekannten Dame. Man könnte den adeligen Sänger Rudel einen Womanizer des Mittelalters nennen, seine Texte sind nicht nur platonisch. Und Rudel wird damals auch berühmt mit einem Chanson, das seine Liebe zu einer ihm unbekannten Gräfin von Tripolis besingt. Und diese Legende soll auch Realität geworden sein. Wir lesen weiter ...
Rudel erkrankt beim Kreuzzug oder auf dem Rückweg und er erreicht auf einem Schiff Tripolis. Der sterbenskranke Troubadour soll sein Ableben so lange hinausgezögert haben, bis er dann mit einem letzten Seufzer in den Armen der herbeigerufenen Gräfin von Tripolis sein Leben aushaucht.
Und der Dichter Heinrich Heine, Romantiker, schreibt in Paris dann 700 Jahre später eine Hommage über dieses Liebespaar von 1147. Nur einige Strophen
Geoffroy Rudel und Melisande von Tripolis
In dem Schlosse Blay erblickt man
die Tapete an den Wänden,
die die Gräfin Tripolis
einst gestickt mit klugen Händen:
Wie die Gräfin den Rudel
sterbend sah am Strande liegen,
Und das Urbild ihrer Sehsucht
gleich erkannt in seinen Zügen.
Und Rudel hat hier zum ersten
und zum letzten Mal erblicket
in der Wirklichkeit die Dame,
die ihn oft im Traum entzücket (Ende)
Heinrich Heine, wie ein Minnelied geschrieben. Heine schreibt es, auch selber schon in den vorletzten Zügen seines Lebens in der sogenannten Matratzengruft in Paris.
Denken wir uns wieder in die Zeiten des Jaufre Rudel, also 1100 zurück. Nicht nur Troubadoure treten damals besonders zahlreich hier in Südwestfrankreich auf, auch sogenannte "Jongleurs", also Spielleute, Sänger, fahrendes Volk. Sie singen einmal Gedichten und Lieder von Rudel, dessen "Endstation Sehnsucht" bei der Gräfin in Tripolis. Ähnlich populär ist in der gleichen Zeit das Lied von Roland, französisch das "Chanson de Roland". Und vorweg gesagt, dieses Roland-Heldenepos ist aber 291 Strophen lang.
291, das vorzutragen geht über mehrere Abende. Wie in einer heutigen TV-Serie oder einem Mehrteiler. Oben auf den Burgen singen dieses Chanson de Roland die Troubadoure. Und die Jongleurs singen "unten", auch in den Herbergsstationen der Jakobspilger auf dem Weg nach Santiago de Compostella. Dieses Chanson um den tapferen Roland ist also abendländisches Kulturgut. Und nun wollen wir den roten Faden des Rolandsliedes aufrollen und die Frage stellen, was will Karl, der Frankenkönig, 778 in Spanien? Der Romanist Dr. Wolf Steinsieck:
"Es handelt sich um einen internen arabischen Streit auf der Iberischen Halbinsel. Im Winter 777/78 ist eine Delegation aus Spanien gekommen, und zwar nach Paderborn. Die Delegierten bitten Karl mit seinen Soldaten nach Spanien zukommen um dem Emir von Cordoba mal zu zeigen, wo der Hammer hängt. Um es mal salopp zu sagen. Karl zieht dann 78 durch das Frankenreich, um nicht zu sagen Frankreich. Und als er nun unten in Spanien ankommt, haben sich aber die ver-feindeten arabischen Parteien wieder vertragen. Und Karl ist sozusagen umsonst da runter gekommen, denn er hatte natürlich im Hinterkopf, sein Frankenreich abzusichern. Und nach einigen Monaten der Belagerung im August kommt es dann eben bei dem Rückzug der Fränkischen Armee zu diesem Überfall von, wie es im Text von Einhard auch später heißt, der "Wascones", wo von man nicht sicher weiß, ob die Wascones Gascogner oder Basken sind?"
Das wären aber Abendländler gewesen, und nicht Sarazenen ...
"So ist es. Das ist eine spätere Erfindung. Es handelt sich um einen Überfall von Gascogner oder von Basken, die die Nachhut von Karl dem Großen empfindlich treffen. Und über diese Niederlage durfte zu Lebzeiten von Karl dem Großen gar nicht gesprochen werden. Es wurde überhaupt nicht erwähnt."
Also Nachrichtensperre über das missglückte Ende von Karls spanischem Abenteuer. Und nun sind wir am unteren Wallgraben der Zitadelle von Blaye angekommen. Eine Hinweistafel, übersetzt, diese Steine und Fundamente hier sind die Ruinen der Abtei Saint-Romain aus dem Jahre 315. Und hier sind die Recken von Charlemagne, Roland, sein Kompagnon Olivier, und der Erzbischof Turpin in der Krypta beigesetzt worden.
Und damit sind wir mitten im Rolandslied, in den Passagen, die das Städtchen Blaye und diese Kirche erwähnen. Und da bitten wir den Romanisten Wolf Steinsieck um eine kurze Hörprobe dieses abendländischen Heldenepos in mittelalterlichem Altfranzösisch.
Das ist also die Sprache des Rolandsliedes, wie es vor circa 800 Jahren verfasst worden ist. Klingt sehr melodisch. Und wir hören eben den Beginn der Totenklage Karls, als er am "Tatort Roncevalles", in einem Pyrenäental den Leichnam von Roland findet und beweint. Ich habe hier eine Kopie einer mittelalterlichen Miniatur. Da liegt der tote Roland im Kettenhemd, der entsetzte Karl kniet und beugt sich über ihn. Roland ist Karls Markgraf der Bretange. Karl ist damals 35 Jahre alt, seit zehn Jahren König des gewaltigen Frankenreiches. Von den Pyrenäen bis nach Thüringen. Und von Mittelitalien bis an die Nordsee. Was ist das Rolandslied?
"Es handelt sich eigentlich um ein historisches Ereignis aus dem Jahre 778. Der ursprüngliche Text ist wahrscheinlich von 1080. Unsere Handschrift ist von 1170. Jetzt wird also in dieser Handschrift, über die wir überhaupt verfügen als beste und älteste, die Oxforder Handschrift, also etwas zusammengefügt, was aus völlig unterschiedlichen Jahrhunderten besteht. Einmal wie man sich das vorgestellt hat im 8. Jahrhundert. Und dann haben wir etwas aus dem 11. Jahrhundert und dann haben wir etwas aus dem 12 Jahrhundert. Das ist natürlich ganz schön diffizil diese Geschichte. Was eindeutig klar ist, ist, dass es sich bei diesem Text wohl um eine Propagandaschrift handelt. Allerdings nicht, um Karl den Großen heilig sprechen zu lassen. Sondern um eine Propagandaschrift, die im Kontext des ersten Kreuzzugs geschrieben worden ist. Das ist auch eine eindeutige Erklärung, warum aus diesen Basken auf einmal Sarazenen geworden sind. In einer unglaublichen Überzahl."
Das Rolandslied, ein Helden-Epos beschreibt also den ewigen Kampf Gut gegen Böse, Das kennen wir schon seit Alexander der Große. Im Rolandslied sind es gottesfürchtige Christen gegen heidnische Muslime, selbst ernannte Edelmenschen gegen hinterhältige Verräter. Und umgekehrt darf man auch festhalten, die Barbaren aus dem Frankenreich erleben, an sich, in Spanien eine reiche arabische Hochkultur, dass ihnen der Unterkiefer runter fällt.
Kommen wir zum Rolandslied zurück: Nachdem sich König Karl nach dem Pyrenäenüberfall von dem Verlust seiner reich beladenen Versorgungswagen mit der Kriegskasse, und vom Verlust Tausender Soldaten und einiger seiner wichtigsten Heerführer halbwegs gefangen hat. Da heißt es dann im Rolandslied:
Der Kaiser lässt Roland,
Oliver und den Erzbischof Turpin herrichten
Vor seinen Augen lässt er alle drei öffnen
Und ihre Herzen in weißes Seidentuch schlagen
In einen weißen Marmorsarg werden sie hineingelegt
Dann haben sie die Körper der edlen Herren in Hirschleder gelegt,
Man hat jene sorgfältig mit Gewürzwein und Wein gewaschen
Dann zieht Karl 250 Kilometer weiter, erreicht wieder die breite Gironde. Wir springen in die Strophe 268 des Rolandsliedes.
Der König überquert die Gironde
mit den großen Schiffen, die dort liegen.
Bis nach Blaye hat er seinen Neffen geleitet.
und Olivier, seinen edlen Gefährten.
Und den Erzbischof, der klug und tapfer war.
In weiße Särge lässt er die edlen Herren legen.
Die edlen Krieger ruhen nun in Saint-Romain
Das ist hier in Blaye in dem vormaligen Augustinerkloster. Quellen zufolge ist diese romanische Kirche und das Kloster abgerissen worden, weil es dem Bau der Zitadelle und dem Schussfeld der Kanonen im Wege steht. Andere Quellen sagen, Engländer oder Normannen haben das Kloster zerstört? Fragezeichen?
Und wenn man sich dann in dem Heute des unscheinbaren Städtchen umsehen will, dann mag vielleicht auch der Place de La Poste, das Gefallenen-Ehrenmal von Blaye auffallen. Man überfliegt die verwitterten Namen von Bürgern, die in Indochina und Algerien gefallen sind. Tafeln mit den Toten des Ersten und Zweiten Weltkriegs. Und dann sehe ich eine kleine weiße Tafel mit vier Namen und dem Zusatz "1942 Auschwitz, Dachau". Diese Tafel berichtet von deutscher Besetzung, von Denunzierung, berichtet von Abtransport und dann Tod in der Gaskammer oder Vernichtung durch Arbeit made in Germany. Auch diesem "Denk-mal-nach" muss man sich als Deutscher stellen. Man kann der Geschichte nicht einfach davon laufen.
Weitere Information: Dieses Chanson de Roland ist bei unseren Nachbarn in Frankreich, als eines der ältesten Kultur-Dokumente in Altfranzösischer Sprache, noch etwas populärer als in Deutschland. Aber immerhin hat Georg Friedrich Händel 1733 in London eine Oper komponiert "Orlando". Eine italienische Oper. Orlando ist die Übersetzung für "Roland".
Und der bekannte Literaturwissenschaftler Wilhelm Grimm, Bruder von Jakob Grimm, hat 1838 eine in Vergessenheit geratene, umgedichtete Version des Rolandsliedes herausgegeben: Der mittelalterliche Text des sogenannten "Pfaffen Konrad", den dieser unbekannte Kleriker mit deutschen Schwerpunkten umgeschrieben und ergänzt hatte. Das ist in der Zeit von Heinrich dem Löwen und Kaiser Barbarossas und Jaufre Rudel.
Und nun queren wir mit der alten Autofähre die Gironde nach Blaye. Der Fluss ist hier imposante einunddreißigeinhalb Kilometer breit. Und da wo heute die Fähre pendelt, da setzen früher die schmalen Nachen mit den Jakobspilgern über, was sich aber wegen der starken Strömung ein mehrstündiger Kampf gewesen sein soll. Und es galt damals auch die Regel, wer gut betucht ist, lässt sich in Blaye übersetzten.
Die Harz-IV-Pilger dagegen tippeln einen Umweg von drei Tagesetappen über Bordeaux. Da müssen sie nämlich nur einen Brückenzoll entrichten.
Und wo ich Ihnen das erzähle und wo wir uns die abenteuerlichen Pilgerstrapazen bebildert vorstellen, ohne Bankcard und EURO-Schutzbrief, da sind wir mittlerweile auf dem Plateau der Zitadelle oben angekommen. Sehen Reste eines mittelalterlichen Turms des Château des Rudel. Die Rudels waren vor tausend Jahren die Grafen von Blaye. Und der bekannteste Spross dieser Sippe ist der junge Jaufre Rudel. Er ist Graf, Troubadour, Dichter. Und wie durch ein Wunder sind einige seiner Liebeslieder über 900 Jahre bis heute erhalten. Eine kleine Hörprobe ...
"Einspielung Musik von J. Rudel "
... schmachtende Zärtlichkeit klingt da durch. Und wenn wir –hier oben- die alten Gemäuer befragen, die das ja auch alles gehört und gesehen haben, könnten sie uns antworten....
Jaufre Rudel lebt etwa von 1120 bis 1148. Er wird nur 27 Jahre alt und gilt als der bedeutendste Troubadour in der Nachfolge von Guillaume de Poitiers, Herzog von Aquitanien. Guillaume ist der Vater der."Eleonore de Aquitaine", eine der aufregendsten Frauen des Mittelalters Eleonore wird Königin von Frankreich, dann Königin von England. Und sie ist gleichzeitig Herzogin von Aquitanien und gleich alte Zeitgenossin von Jaufre Rudel. Er ist auch ihr Untertan. Man darf ohne Quellenbestätigung annehmen, sie haben sich gekannt, denn an Eleonores Musenhof gingen Dichter, Troubadoure, Künstler ein und aus. Beide, Königin Eleonore und Jaufre, nehmen auch am 2. Kreuzzug der Christenheit 1147 in das Heilige Land teil
Und lassen wir die Steine der Burg von Blaye ruhig noch weiter erzählen. Walter von der Vogelweide schreibt ein Palästina-Lied. Das soll von der Lebenslegende dieses Jaufre Rudel inspiriert worden sein. Hätte es schon damals die "Charts" gegeben, also eine Rangliste der populärsten Tonträger, dann stünde Jaufre Rudel beim mittelalterlichen Grand Prix de la Chanson ganz oben platziert. Er besingt die höfische Liebe, die sich schmachtend verzehrende Leidenschaft zu einer angebeteten, vielleicht unbekannten Dame. Man könnte den adeligen Sänger Rudel einen Womanizer des Mittelalters nennen, seine Texte sind nicht nur platonisch. Und Rudel wird damals auch berühmt mit einem Chanson, das seine Liebe zu einer ihm unbekannten Gräfin von Tripolis besingt. Und diese Legende soll auch Realität geworden sein. Wir lesen weiter ...
Rudel erkrankt beim Kreuzzug oder auf dem Rückweg und er erreicht auf einem Schiff Tripolis. Der sterbenskranke Troubadour soll sein Ableben so lange hinausgezögert haben, bis er dann mit einem letzten Seufzer in den Armen der herbeigerufenen Gräfin von Tripolis sein Leben aushaucht.
Und der Dichter Heinrich Heine, Romantiker, schreibt in Paris dann 700 Jahre später eine Hommage über dieses Liebespaar von 1147. Nur einige Strophen
Geoffroy Rudel und Melisande von Tripolis
In dem Schlosse Blay erblickt man
die Tapete an den Wänden,
die die Gräfin Tripolis
einst gestickt mit klugen Händen:
Wie die Gräfin den Rudel
sterbend sah am Strande liegen,
Und das Urbild ihrer Sehsucht
gleich erkannt in seinen Zügen.
Und Rudel hat hier zum ersten
und zum letzten Mal erblicket
in der Wirklichkeit die Dame,
die ihn oft im Traum entzücket (Ende)
Heinrich Heine, wie ein Minnelied geschrieben. Heine schreibt es, auch selber schon in den vorletzten Zügen seines Lebens in der sogenannten Matratzengruft in Paris.
Denken wir uns wieder in die Zeiten des Jaufre Rudel, also 1100 zurück. Nicht nur Troubadoure treten damals besonders zahlreich hier in Südwestfrankreich auf, auch sogenannte "Jongleurs", also Spielleute, Sänger, fahrendes Volk. Sie singen einmal Gedichten und Lieder von Rudel, dessen "Endstation Sehnsucht" bei der Gräfin in Tripolis. Ähnlich populär ist in der gleichen Zeit das Lied von Roland, französisch das "Chanson de Roland". Und vorweg gesagt, dieses Roland-Heldenepos ist aber 291 Strophen lang.
291, das vorzutragen geht über mehrere Abende. Wie in einer heutigen TV-Serie oder einem Mehrteiler. Oben auf den Burgen singen dieses Chanson de Roland die Troubadoure. Und die Jongleurs singen "unten", auch in den Herbergsstationen der Jakobspilger auf dem Weg nach Santiago de Compostella. Dieses Chanson um den tapferen Roland ist also abendländisches Kulturgut. Und nun wollen wir den roten Faden des Rolandsliedes aufrollen und die Frage stellen, was will Karl, der Frankenkönig, 778 in Spanien? Der Romanist Dr. Wolf Steinsieck:
"Es handelt sich um einen internen arabischen Streit auf der Iberischen Halbinsel. Im Winter 777/78 ist eine Delegation aus Spanien gekommen, und zwar nach Paderborn. Die Delegierten bitten Karl mit seinen Soldaten nach Spanien zukommen um dem Emir von Cordoba mal zu zeigen, wo der Hammer hängt. Um es mal salopp zu sagen. Karl zieht dann 78 durch das Frankenreich, um nicht zu sagen Frankreich. Und als er nun unten in Spanien ankommt, haben sich aber die ver-feindeten arabischen Parteien wieder vertragen. Und Karl ist sozusagen umsonst da runter gekommen, denn er hatte natürlich im Hinterkopf, sein Frankenreich abzusichern. Und nach einigen Monaten der Belagerung im August kommt es dann eben bei dem Rückzug der Fränkischen Armee zu diesem Überfall von, wie es im Text von Einhard auch später heißt, der "Wascones", wo von man nicht sicher weiß, ob die Wascones Gascogner oder Basken sind?"
Das wären aber Abendländler gewesen, und nicht Sarazenen ...
"So ist es. Das ist eine spätere Erfindung. Es handelt sich um einen Überfall von Gascogner oder von Basken, die die Nachhut von Karl dem Großen empfindlich treffen. Und über diese Niederlage durfte zu Lebzeiten von Karl dem Großen gar nicht gesprochen werden. Es wurde überhaupt nicht erwähnt."
Also Nachrichtensperre über das missglückte Ende von Karls spanischem Abenteuer. Und nun sind wir am unteren Wallgraben der Zitadelle von Blaye angekommen. Eine Hinweistafel, übersetzt, diese Steine und Fundamente hier sind die Ruinen der Abtei Saint-Romain aus dem Jahre 315. Und hier sind die Recken von Charlemagne, Roland, sein Kompagnon Olivier, und der Erzbischof Turpin in der Krypta beigesetzt worden.
Und damit sind wir mitten im Rolandslied, in den Passagen, die das Städtchen Blaye und diese Kirche erwähnen. Und da bitten wir den Romanisten Wolf Steinsieck um eine kurze Hörprobe dieses abendländischen Heldenepos in mittelalterlichem Altfranzösisch.
Das ist also die Sprache des Rolandsliedes, wie es vor circa 800 Jahren verfasst worden ist. Klingt sehr melodisch. Und wir hören eben den Beginn der Totenklage Karls, als er am "Tatort Roncevalles", in einem Pyrenäental den Leichnam von Roland findet und beweint. Ich habe hier eine Kopie einer mittelalterlichen Miniatur. Da liegt der tote Roland im Kettenhemd, der entsetzte Karl kniet und beugt sich über ihn. Roland ist Karls Markgraf der Bretange. Karl ist damals 35 Jahre alt, seit zehn Jahren König des gewaltigen Frankenreiches. Von den Pyrenäen bis nach Thüringen. Und von Mittelitalien bis an die Nordsee. Was ist das Rolandslied?
"Es handelt sich eigentlich um ein historisches Ereignis aus dem Jahre 778. Der ursprüngliche Text ist wahrscheinlich von 1080. Unsere Handschrift ist von 1170. Jetzt wird also in dieser Handschrift, über die wir überhaupt verfügen als beste und älteste, die Oxforder Handschrift, also etwas zusammengefügt, was aus völlig unterschiedlichen Jahrhunderten besteht. Einmal wie man sich das vorgestellt hat im 8. Jahrhundert. Und dann haben wir etwas aus dem 11. Jahrhundert und dann haben wir etwas aus dem 12 Jahrhundert. Das ist natürlich ganz schön diffizil diese Geschichte. Was eindeutig klar ist, ist, dass es sich bei diesem Text wohl um eine Propagandaschrift handelt. Allerdings nicht, um Karl den Großen heilig sprechen zu lassen. Sondern um eine Propagandaschrift, die im Kontext des ersten Kreuzzugs geschrieben worden ist. Das ist auch eine eindeutige Erklärung, warum aus diesen Basken auf einmal Sarazenen geworden sind. In einer unglaublichen Überzahl."
Das Rolandslied, ein Helden-Epos beschreibt also den ewigen Kampf Gut gegen Böse, Das kennen wir schon seit Alexander der Große. Im Rolandslied sind es gottesfürchtige Christen gegen heidnische Muslime, selbst ernannte Edelmenschen gegen hinterhältige Verräter. Und umgekehrt darf man auch festhalten, die Barbaren aus dem Frankenreich erleben, an sich, in Spanien eine reiche arabische Hochkultur, dass ihnen der Unterkiefer runter fällt.
Kommen wir zum Rolandslied zurück: Nachdem sich König Karl nach dem Pyrenäenüberfall von dem Verlust seiner reich beladenen Versorgungswagen mit der Kriegskasse, und vom Verlust Tausender Soldaten und einiger seiner wichtigsten Heerführer halbwegs gefangen hat. Da heißt es dann im Rolandslied:
Der Kaiser lässt Roland,
Oliver und den Erzbischof Turpin herrichten
Vor seinen Augen lässt er alle drei öffnen
Und ihre Herzen in weißes Seidentuch schlagen
In einen weißen Marmorsarg werden sie hineingelegt
Dann haben sie die Körper der edlen Herren in Hirschleder gelegt,
Man hat jene sorgfältig mit Gewürzwein und Wein gewaschen
Dann zieht Karl 250 Kilometer weiter, erreicht wieder die breite Gironde. Wir springen in die Strophe 268 des Rolandsliedes.
Der König überquert die Gironde
mit den großen Schiffen, die dort liegen.
Bis nach Blaye hat er seinen Neffen geleitet.
und Olivier, seinen edlen Gefährten.
Und den Erzbischof, der klug und tapfer war.
In weiße Särge lässt er die edlen Herren legen.
Die edlen Krieger ruhen nun in Saint-Romain
Das ist hier in Blaye in dem vormaligen Augustinerkloster. Quellen zufolge ist diese romanische Kirche und das Kloster abgerissen worden, weil es dem Bau der Zitadelle und dem Schussfeld der Kanonen im Wege steht. Andere Quellen sagen, Engländer oder Normannen haben das Kloster zerstört? Fragezeichen?
Und wenn man sich dann in dem Heute des unscheinbaren Städtchen umsehen will, dann mag vielleicht auch der Place de La Poste, das Gefallenen-Ehrenmal von Blaye auffallen. Man überfliegt die verwitterten Namen von Bürgern, die in Indochina und Algerien gefallen sind. Tafeln mit den Toten des Ersten und Zweiten Weltkriegs. Und dann sehe ich eine kleine weiße Tafel mit vier Namen und dem Zusatz "1942 Auschwitz, Dachau". Diese Tafel berichtet von deutscher Besetzung, von Denunzierung, berichtet von Abtransport und dann Tod in der Gaskammer oder Vernichtung durch Arbeit made in Germany. Auch diesem "Denk-mal-nach" muss man sich als Deutscher stellen. Man kann der Geschichte nicht einfach davon laufen.
Weitere Information: Dieses Chanson de Roland ist bei unseren Nachbarn in Frankreich, als eines der ältesten Kultur-Dokumente in Altfranzösischer Sprache, noch etwas populärer als in Deutschland. Aber immerhin hat Georg Friedrich Händel 1733 in London eine Oper komponiert "Orlando". Eine italienische Oper. Orlando ist die Übersetzung für "Roland".
Und der bekannte Literaturwissenschaftler Wilhelm Grimm, Bruder von Jakob Grimm, hat 1838 eine in Vergessenheit geratene, umgedichtete Version des Rolandsliedes herausgegeben: Der mittelalterliche Text des sogenannten "Pfaffen Konrad", den dieser unbekannte Kleriker mit deutschen Schwerpunkten umgeschrieben und ergänzt hatte. Das ist in der Zeit von Heinrich dem Löwen und Kaiser Barbarossas und Jaufre Rudel.