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Weiterbauen im US-Hochwassergebiet

3,7 Zentimeter im Jahrzehnt steigt der Meeresspiegel an der US-Atlantikküste. Erheblich schneller, als der globale Durchschnitt. Wissenschaftler appellieren nun: Die großen Städte müssten dem eigenen Untergang klimapolitisch entgegensteuern – die Staaten schlagen die Ratschläge allerdings in den Wind.

Von Heike Wipperfürth | 27.09.2013
    Anstatt elf Monate nach der Zerstörung von Hurrikan Sandy ein Küstenschutzprogramm zu entwickeln, um weitere Schäden zu vermeiden und Menschenleben zu retten, werden wissenschaftliche Klimaprognosen von US-Politikern ignoriert – und sogar verboten. Neuester Vorstoß: North Carolina. Dabei ist der Küstenstaat gleich doppelt gefährdet: durch Hurrikans wie Irene und den Anstieg des Meeresspiegels.

    "Sie haben eine tolle Lösung gefunden. Wenn die Wissenschaft dir ein Ergebnis liefert, das du nicht magst, erlass ein Gesetz, das die Ergebnisse für illegal erklärt. Schon ist das Problem gelöst."

    Nahm der US TV-Komiker Stephen Colbert den Entschluss der Regierung des US-Bundesstaates North Carolina aufs Korn, neue Prognosen, die den Anstieg des Meeresspiegels berechnen, bei der Küstenplanung einfach zu verbieten. Ein Sieg der Baulöwen und Klimaskeptiker über die Wissenschaft, sagt Dale Jamieson, Umweltprofessor an der New York Universität.

    "Es bedeutet, dass Immobilien weiter wertvoll bleiben, oder noch wertvoller werden, weil sie wieder aufgebaut werden können, obwohl wir genau wissen, dass die Häuser zerstört werden und die Inseln im Meer versinken – und das vielleicht bereits in einigen Jahrzehnten."

    Auslöser des Gesetzes waren Prognosen der staatlichen Küstenschutzkommission "Coastal Resources Commission", der Meeresspiegel würde innerhalb des nächsten Jahrhunderts um knapp einen Meter ansteigen – ein Problem für die Immobilienbranche, weil neue Überschwemmungszonen ausgewiesen und Abwasseraufbereitungsanlagen erbaut werden müssten. Angekündigte Bauprojekte aber könnten dann nicht umgesetzt und vermarktet werden.

    North Carolina ist extrem, aber kein Einzelfall, sagt Michael Gerrard, Juraprofessor an der Columbia Universität.

    "In vielen Gegenden wird einfach weiter gebaut. Sie bereiten sich nicht auf die Zukunft vor. Miami ist ganz besonders von Prognosen des Meeresspiegelanstiegs betroffen. Es ist eine der am meisten gefährdeten Städte der USA, aber das Bauen wird kaum begrenzt."

    Bei Klimaprognosen den Kopf in den Sand zu stecken, ist auch die Taktik der US-Katastrophenschutzbehörde Federal Emergency Management Agency, kurz Fema. Zwar entwirft sie gerade neue Hochwasserkarten, um Überschwemmungsgebiete in ganz Amerika auszuweisen - aber ohne die neuesten Meeresspiegelanstiegsprognosen in ihre Kalkulationen einzubeziehen. New York mache es inzwischen anders, sagt Michael Gerrard. Es habe das neue, von der Fema ausgewiesene Überschwemmungsgebiet, darunter auch die Glitzertürme in der Finanzgegend an der Südspitze Manhattans, auf eigene Faust einfach erweitert und strengere Regeln eingeführt.

    "Das Bauen wird natürlich nicht verboten, aber es wird mehr Schutz wie die Errichtung von Hafendämmen oder der Bau von versenkbaren Pumpen verlangt. So kann die Gegend eine Überflutung überstehen."

    Während das Bauen in den gefährdeten Küstengegenden Amerikas munter weitergeht, rutscht die staatliche Hochwasserversicherung, der National Flood Insurance Plan, immer tiefer in die roten Zahlen: Nachdem sie die Versicherungsschäden in Milliardenhöhe durch Hurrikan Sandy beglichen hat, ist sie mit 25 Milliarden Dollar ins Minus gerutscht.

    Auch in Washington gibt es erste Bemühungen, die auf die Steuerzahler abgewälzten Kosten der Klimaschäden für Steuerzahler zu vermindern. So wurden die Versicherungsbeiträge vieler Hausbesitzer in besonders gefährdeten Gebieten drastisch erhöht. Das gefällt den Anwohnern dort natürlich nicht: Mehrere Protestmärsche dagegen sind bereits geplant. Dass der Protest viel nützt, glaubt allerdings keiner, denn die Prämien werden weiter steigen, solange das Überschwemmungsrisiko wächst. Vielleicht wird Washington den Protestlern ja eines Tages dabei helfen müssen, in höher gelegene Gegenden umzusiedeln.